Schätze der Sammlungen
Carl Mühls Insektenschaukästen [10.10.16]
Friseur ist er immer nur widerwillig. Auch nachdem Carl Mühl sich mit seiner Frau in Stuttgart niedergelassen und dort ein eigenes Friseurgeschäft gegründet hat, beschäftigt er sich im Hinterzimmer des Ladens weiter mit seinem Lieblingsgebiet: der Entomologie, also der Insektenkunde.
Über 150 verglaste Holzkästen mit Insekten stellt der Friseurmeister im Laufe seines Lebens her, die er unter anderem an Schulen und an den Stuttgarter Kosmos Verlag verkauft. Auch zwei Bücher gibt er in den Jahren 1908 und 1909 heraus: „Raupen und Schmetterlinge“ sowie „Larven und Käfer“.
150 der Schaukästen, sogenannte Insekten-Biologien, sind heute im Zoologischen und Tiermedizinischen Museum der Universität Hohenheim zu sehen. Pauschal als „Schädlinge der Land- und Forstwirtschaft“ eingeordnet gehören dazu Käfer, Motten, Schmetterlinge, Bienen, Wespen, Hornissen und andere Insekten.
„Nicht alle dieser Arten würden wir heute als Schädlinge bezeichnen“, ordnet Museumsleiter Prof. Dr. Johannes Steidle ein. „Aber ansonsten sind die Kästen beeindruckend gründlich und biologisch absolut korrekt.“
Das Zoologische und Tiermedizinische Museum |
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Das Zoologische und Tiermedizinische Museum |
Ein Lebenslauf für Insekten
Für den Laien mögen die sorgsam präparierten Insekten seltsam anmuten. Die liebevoll zusammengestellten Dioramen bergen aber einen wahren Schatz an Wissen, erklärt Prof. Dr. Steidle: „Ein solcher Schaukasten ist wie ein Lebenslauf für Insekten. Er zeigt das Tier in jedem Stadium seines Lebens, vom Ei über die Puppe oder Larve bis hin zur ausgewachsenen Form.“
Nicht nur das: Auch den Lebensraum der Insekten hat Carl Mühl in jedem der Kästen abzubilden versucht. So sind Eier und Larven in Erdhöhlen eingebettet, verpuppte Schmetterlinge hängen von Ästen und Bienen, Wespen und Hornissen werden in ihren Waben gezeigt. Rindenstücke, Blätter, Getreidehalme und sogar ein toter Vogel dienen als Beispiele für die Ernährung der Tiere.
Kunstvolle Verarbeitung
Nicht nur die gründliche und korrekte biologische Darstellung beeindruckt den Tierökologen Prof. Dr. Steidle, sondern auch die Qualität der anspruchsvoll konservierten Exemplare. „Solche Präparate herzustellen ist extrem schwierig. Besonders Larven und Schmetterlingspuppen haben eine sehr feine, hauchdünne Haut.“
Um sie zu konservieren, muss der Hobby-Entomologe die Larven vorsichtig aushöhlen, ohne dabei die empfindliche Haut zu beschädigen. Dann bläst er sie vorsichtig auf und lässt sie trocknen. Auch die Farbe der bunten Schmetterlinge zu erhalten erfordert ein großes Maß an Geschick.
Vielfältiges Anschauungsmaterial
Die etwa 150 Schaukästen des Museums sind mehr als eine Kuriosität. Tierpräparate haben besonders für Insektenforscher große Bedeutung, erklärt Prof. Dr. Steidle: „Gerade bei Insekten wüssten wir ohne solche Präparate nichts über die unzähligen Arten.“
Das Problem: Gerade bei sehr kleinen Tieren ist eine genaue Bestimmung von Art und Geschlecht im lebendigen Zustand nicht möglich. Schaukästen wie die von Carl Mühl dokumentieren diese Merkmale und halten sie für die Nachwelt fest.
Auch die Entwicklung der Artenvielfalt ließe sich an den Insekten-Biologien ablesen, vermutet Prof. Dr. Steidle: „Carl Mühl sammelte seine Exemplare hier im Raum Stuttgart. Man könnte die Schaukästen also mit heute in der Region heimischen Arten vergleichen, um zu sehen, welche davon es noch gibt.“
Text: Barsch / Klebs