Schätze der Sammlungen
Die Hohenheimer Stichsammlung [01.06.16]
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Wenn Herzog Carl Eugen von Württemberg schlechte Laune hat, geht man ihm besser aus dem Weg: Das weiß auch seine Mätresse und spätere Ehefrau Franziska von Hohenheim. Wenn der Haussegen im Schloss schiefhängt, die Gräfin selbst Migräne hat oder einfach Ruhe zum Lesen haben will, zieht sie sich an ihren Lieblingsort in den Hohenheimer Gärten zurück: die Köhlerhütte.
Die rustikale kleine Hütte ist Teil des „Englischen Dörfle“, einer bunt zusammengewürfelten Ansammlung aus Gebäuden, Monumenten und Gartenanlagen rund um das Gelände des heutigen Exotischen Gartens. Dort stehen römische Tempelruinen neben idyllischen Bauernhof- und Wirtshausszenerien oder einer gotischen Kapelle – eine scheinbar willkürliche Mischung an Bauten, die der Herzog von 1776 an in den Hohenheimer Gärten errichten lässt. Sein Hof- und Dekorationsmaler Viktor Heideloff dokumentiert die exzentrische Gartenanlage in Kupferstichen. Die mit Wasserfarben kolorierten Drucke, Gouachen genannt, hängen heute in ihrer Originalrahmung im Residenzschloss Ludwigsburg.
Ausstellung |
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Anlässlich des Themenjahrs 2016 „Welt der Gärten“ und des 240. Geburtstags des „Englischen Dörfles“ sind die bunt kolorierten Drucke vom 10. Juni bis 24. Juli 2016 in einer Ausstellung im Schloss Ludwigsburg zu sehen. Ergänzend befassen sich am 9. und 10. Juli 2016 Vorträge im Residenzschloss Ludwigsburg mit Themen rund um die historischen Gärten, unter anderem auch von Prof. Dr. Fellmeth. |
Zwei auf den ersten Blick sehr gegensätzliche Trends lassen sich darauf erkennen: einerseits romantisch-verfallene antike Säulen, Aquädukte, Tempel und Paläste – wie Zeugen aus einer vergangenen Epoche, die die Zeit überdauert haben. Andererseits einfache Motive des dörflichen Lebens: Mühle, Köhlerhütte, Einsiedelei, Meierhof mit Käserei und Taubenschlag. Wie passen diese zwei Elemente zusammen?
Landschaftsarchitektur im „Englischen Dörfle“: Chaos oder Kalkül?
Die Idee hinter dem Konzept beschreibt der an der Hohen Karlsschule ausgebildete Maler und Kunstprofessor Heideloff in seinem Einführungstext zu den Stichen: „Wer in den Garten von Hohenheim kommt, der solle und müsse es wissen, dass er hier viele Gärten in einem Garten, und noch mehr, dass er die Nachbildung einer ganzen Colonie zu sehen hat, welche sich in den Trümmern einer römischen niederließ – und das ganze Räthsel ist gelöst. Nur aus diesem Gesichtspunkt kann und darf der Garten betrachtet werden.“
Nicht jeder Besucher ist bereit zu solchem Rätselraten: Johann Wolfgang von Goethe zum Beispiel findet die Anlage einfach nur kitschig. Was die einen jedoch als schlechten Geschmack abtun, interpretieren die anderen als politische Botschaft, so der Leiter des Museums zur Geschichte Hohenheims Prof. Dr. Ulrich Fellmeth: „In den 1760er Jahren ist der Landesfürst innen- wie außenpolitisch am Ende und extrem unbeliebt. Mit dem Umzug nach Hohenheim versucht Carl Eugen einen Imagewechsel: Nachdem er in Stuttgart jahrelang geprasst hat, gibt er in Hohenheim den einfachen Landedelmann und Wohltäter. Für diese Neuinszenierung braucht er Kulissen."
Kulissen für den Imagewandel
Die errichtet Carl Eugen in Hohenheim. Zum einen mit einer Reihe an Maßnahmen zur Förderung des verarmten Landes: Er gründet die Karlsschule, an der Söhne aus angesehenen Familien zur neuen Elite herangezogen werden, legt neue und bessere Straßen an, pflanzt Obstbäume zur Versorgung der Bevölkerung. „Auch die Heirat mit der pietistisch-evangelischen Franziska ist ein Signal der Abwendung vom höfischen Prunk“, erklärt Prof. Dr. Fellmeth. „Franziska stammt aus verarmtem niederem Adel, sie beherrscht weder Französisch noch höfische Manieren und fühlt sich am Hofe denkbar unwohl.“ Dafür ist sie als Wohltäterin beim Volk beliebt und steht später in dem Ruf, der Grund für die positive Wandlung des Herzogs zu sein.
Diese Wandlung soll auch der Garten widerspiegeln. Mit antiken Ruinen auf der einen, dörflicher Idylle auf der anderen Seite, steht das Englische Dörfle im Spannungsfeld zwischen zwei Extremen. So interpretiert auch Friedrich Schiller die Anlage: „Ländliche Simplizität und versunkene städtische Herrlichkeit, die zwei äußersten Zustände der Gesellschaft, grenzen auf eine rührende Art aneinander, und das ernste Gefühl der Vergänglichkeit verliert sich wunderbar schön in dem Gefühl des siegenden Lebens.“
Der letzte Vorhang für die Garteninszenierung
Mit dem Tod des Herzogs 1793 hat die Inszenierung ein jähes Ende. Carl Eugens Familie baut die Kulissen wieder ab. Franziska schiebt die herzogliche Familie auf ihren Witwensitz in Kirchheim/Teck ab. Die Bauten im Park werden entweder an andere Standorte gebracht, wie die gotische Kapelle, die heute als Ruine auf einer Insel im Monrepos-See steht, oder einfach stehengelassen und nach und nach von der umliegenden Bevölkerung als Baumaterial abgetragen. Und Schloss Hohenheim, der geliebte Rückzugsort Franziskas und Carl Eugens, steht die nächsten 25 Jahre leer – bis König Wilhelm I. dort seine landwirtschaftliche Unterrichts- Versuchs- und Musteranstalt gründet, den Vorläufer der heutigen Universität.
Von den knapp 60 Anlagen und Gebäuden existieren heute nur noch drei: das Spielhaus im Exotischen Garten, das Römische Wirtshaus und die inzwischen umgefallenen Säulen des Jupiter. Die ursprünglich 21 Hektar große Gartenanlage ist heute nur noch etwa halb so groß wie zu Carl Eugens Zeiten. Die Drucke nach den Kupferstichen Viktor Heideloffs, die dieser nach dem Tod des Herzogs in Eigenvermarktung anfertigen und verkaufen lässt, tragen wesentlich dazu bei, dass wir uns den Garten in seiner ursprünglichen Form heute überhaupt noch vorstellen können.
Text: Dorothee Barsch