Verblüffend ähnlich:
Forscher finden Parallele im Stammbaum von Insekt & Amphibie [23.02.18]
Auf dem Stammbaum liegen die Zweige der Insekten und Wirbeltiere weit entfernt – doch im Innersten haben beide ungeahnte Gemeinsamkeiten. Das zeigt ein neuer Fachartikel.
Bei allen Unterschieden zeigen Insekten und Wirbeltiere eine verblüffende Gemeinsamkeit in ihrem Körperbau. Außen symmetrisch gebaut, windet sich der Darm im Inneren asymmetrisch in immer die gleiche Richtung. Individuen, die davon abweichen, erfahren schmerzhafte und mitunter lebensgefährliche Fehlentwicklungen. Forscher der Universität Hohenheim in Stuttgart stießen nun auf ein weiteres Puzzleteil in dem komplexen Prozess, der die asymmetrische Ausbildung der inneren Organe anstößt – und zudem auf eine Gemeinsamkeit zwischen den zwei entfernt verwandten Tiergruppen verweist. Die Ergebnisse erscheinen heute in der renommierten Fachzeitschrift Current Biology: doi.org/10.1016/j.cub.2018.01.075
Auf die Richtung kommt es an: Bei den asymmetrisch angelegten inneren Organen kann die korrekte Ausrichtung lebenswichtig sein – und diese entscheidet sich bereits in den frühesten Entwicklungsstadien. Teile dieses komplexen Prozesses konnte Entwicklungsbiologe Prof. Dr. Martin Blum von der Universität Hohenheim in jahrelanger Forschung bereits nachweisen. Nun entdeckte er mit seinem Team einen weiteren Faktor, der den Ablauf steuert – und das bei zwei Tiergruppen, die in dieser Hinsicht bislang keine Gemeinsamkeiten aufwiesen.
Mit zwei wichtigen Faktoren für die embryonale Entwicklung und die dabei stattfindende Ausprägung der asymmetrischen Organe hat Prof. Dr. Blum sich bereits in der Vergangenheit beschäftigt: Dem Nodal-Gen und den Cilien genannten Zellhärchen. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass sich Zellen in die korrekte Richtung ausrichten, um die inneren Organe asymmetrisch auszuprägen und in die richtige Position zu bringen.
Insekten verfügen weder über ein Nodal-Gen noch über Cilien, dennoch haben auch sie asymmetrische Organe wie zum Beispiel den Darm. Verantwortlich hierfür ist das Protein Myosin1D – das, wie Prof. Dr. Blum herausfand, auch in frühen Embryonalstadien von Fröschen vorkommt und dort mit dem Nodal-Gen und den Cilien zusammenarbeitet.
Myosin1D: Motorprotein als wichtiges Puzzleteil in der Asymmetrie-Entwicklung
Als sogenanntes Motorprotein reguliert Myosin1D hierbei die Ausrichtung des Zellskeletts, sorgt also dafür, dass sich jede Zelle im Darm von Insekten wie der Taufliegenart Drosophila korrekt ausrichtet. Eben dieses Protein fand Prof. Dr. Blum auch in den Urdarmzellen von Kaulquappen, also Vertretern der Gruppe der Wirbeltiere.
Und nicht nur das: Versuche mit Kaulquappen ergaben, dass Myosin1D auch die beiden anderen Faktoren in der Entwicklung bei den Wirbeltieren, das Nodal-Gen und die Cilien, beeinflusst. „Wenn man die Bildung des Myosin1D-Proteins experimentell verhindert, bilden sich weniger und kürzere Cilien. Dies sorgt dafür, dass die eigentlich links-asymmetrische Nodal-Genkaskade auf beiden Seiten im Embryo aktiviert wird. Bei fehlendem Myosin ist also die gesamte Asymmetrie-Ausrichtung gestört“, fasst Prof. Dr. Blum zusammen.
„Die Versuche haben somit einen wichtigen neuen Faktor im Prozess der Asymmetrie-Ausrichtung der Wirbeltiere identifiziert – und uns damit auch ein Stückchen weiter in dem Versuch gebracht, diese lebenswichtigen Prozesse in den frühesten Entwicklungsstadien zu verstehen“, so Prof. Dr. Blum.
Evolutionsbiologisch bedeutsame Gemeinsamkeit
Dass sich das wichtige Myosin1D-Gen bei den Insekten ebenso wie bei den Fröschen als Vertreter der Wirbeltiere findet, ist für Prof. Dr. Blum auch aus evolutionsbiologischer Sicht bemerkenswert: „Das lässt darauf schließen, dass Asymmetrie im Tierreich nur einmal entstanden ist und dass diese Asymmetrie ursprünglich den Darm betraf.“
Weitere Tests müssten nun zeigen, ob das Myosin1D auch noch in anderen Tiergruppen der Wirbeltiere und von Wirbellosen vorkommt, ergänzt Doktorandin Melanie Tingler. „Falls das der Fall ist, bedeutet das, dass der durch Myosin bedingte Mechanismus älter ist als andere Mechanismen wie der Cilien- und Nodal-Mechanismus.“
Hintergrund: Einsatz von Tieren im Projekt
Für das Projekt wurden ca. 3.400 Frosch-Embryonen in unterschiedlichen Stadien (11 Stunden alte Keime bis 5 Tage alte Kaulquappen) untersucht, die durch künstliche Befruchtung von Gelegen weiblicher Frösche gewonnen wurden. Ein Gelege enthält in der Regel mehrere Hundert Eier. Die zur Eiablage hormonstimulierten Weibchen werden nach einer halbjährigen Ruheperiode erneut zur Gewinnung von Gelegen eingesetzt. Zur Gewinnung von Spermien werden Männchen getötet und die Hoden entnommen. Aus einem Hoden können über eine Woche hinweg befruchtungsfähige Spermien gewonnen werden.
Um die Bedeutung des Motorproteins Myosin1D zu testen, manipulierten die Wissenschaftler mithilfe von Antisinn-Oligonukleotiden und der CRISPR/CAS9-Technologie gezielt die Aktivität des Myosin1D-Gens, welches für das Motorprotein codiert. Zur Bedeutung des Myosin1D bei Insekten forschten Wissenschaftler der Universität Nizza an Taufliegen der Art Drosophila melanogaster.
Weitere Informationen
Text: Barsch / Klebs
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Martin Blum, Universität Hohenheim, Leiter des Fachgebiets Zoologie
T 0711-459-22255, E Martin.Blum@uni-hohenheim.de