Sprachbarrieren & Kulturschocks:
Nährstoffmangel bei Schwangeren und Müttern in Flüchtlingsheimen  [12.04.17]

Masterarbeiten der Universität Hohenheim analysieren Gesundheit, Nährstoffversorgung und Zugänge zu Lebensmitteln von Flüchtlingen

Obwohl es in Deutschland nicht an einer Vielfalt an Lebensmitteln aus aller Welt fehlt, weisen vor allem schwangere Frauen und junge Mütter in Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende Mangelerscheinungen auf. Der Grund dafür sind neben den sprachlichen Barrieren die ungewohnte Präsentation der Speisen, sowie das fehlende Wissen, wo spezielle Nahrungsmittel wie beispielsweise Halāl-Fleisch zu finden ist. Drei Studentinnen der Unversität Hohenheim im Masterkursprogramm Environmental Protection and Agricultural Food Production und Molekulare Ernährungswissenschaft haben Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Pakistan, Nigeria, Eritrea und Gambia zu ihrer Ernährungslage befragt. Die Arbeiten entstanden in Zusammenarbeit mit dem Food Security Center der Universität Hohenheim, dem Institut für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft und der Caritas Stuttgart. Die Caritas will die Ergebnisse für Verbesserungen in den Gemeinschaftsunterkünften nutzen.

Bis zu 90 Tage sind Flüchtlinge aus Krisengebieten als Familie oder in kleineren Gruppen unterwegs. Während dieser Zeit ist die Nahrung wenig abwechslungsreich: Dosenfisch, Biskuits, Brot und Trockenfrüchte. Hauptsache haltbar, auf Nährstoffe wird nicht geachtet. Auch der Mangel an Wasser macht den Betroffenen zu schaffen, wird sogar noch als ein größeres Problem wahrgenommen als Nahrungsmangel.

In enger Zusammenarbeit mit der Caritas Stuttgart haben zwei Studentinnen im letzten Jahr von April bis Anfang Juni 96 Flüchtlinge nach ihrem Ernährungsverhalten befragt, darunter zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer. Untersucht wurde hierbei die Gesundheit, Nährstoffversorgung, Zugänge zu Lebensmitteln und der BMI (Body-Mass-Index).

Das Ergebnis: Vor allem der Konsum von Fleisch und Fisch, aber auch von traditionellen alltäglichen Lebensmittel wie Linsen und Bohnen ist im Vergleich zum Herkunftsland deutlich zurückgegangen.


Appetitlosigkeit, Sprachbarrieren und unbekannte Lebensmittel

„Die befragten Flüchtlinge berichteten von einer Appetitlosigkeit nach der Flucht, die auch nach der Ankunft in Deutschland lange vorherrscht“, sagt Privatdozentin Dr. Veronika Scherbaum, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft der Universität Hohenheim und Betreuerin der beiden Master-Arbeiten. „Hier wird das erlebte Trauma durch Kriege nochmals deutlich, dass durch die Gefahren während der Flucht verstärkt werden kann. Aber auch sprachliche Hürden machen den Flüchtlingen in der Anfangszeit zu schaffen“.

Die Probanden haben außerdem angegeben, dass die Wege zwischen den Sammelunterkünften und dem nächstgelegenen preiswerten Supermarkt oft weit sind, erklärt Dr. Scherbaum. „Vor allem schwangere Frauen und Mütter mit Kleinkindern trauen sich oft nicht, weite Strecken alleine zurück zu legen. Hier spielt Verunsicherung eine große Rolle."

Auch die Vielfalt an unbekannten Lebensmitteln irritiert einige Flüchtlinge, so die Ernährungswissenschaftlerin weiter. „Es gibt viele verpackte Lebensmittel aber auch Gemüse, welche den Flüchtlingen unbekannt sind wie beispielsweise Mangold oder Lauch. Selbst gefrorene Fische sind ihnen fremd, sie kennen es meist nur frisch von kleinen regionalen Märkten. Oft wissen sie auch nicht, wie es richtig zubereitet werden soll. So fanden sie den selbst zubereiteten, zuvor gefrorenen Fisch nicht schmackhaft und verzichteten lieber ganz darauf.“


Zu kleine Küchen, zu viele Männer


Neben Sprach- und Wissensbarrieren sind es aber auch kulturelle Unterschiede, die sich im Nährstoffmangel bemerkbar machen. „Flüchtlinge aus muslimischen Ländern essen ihr Fleisch nur von geschächteten Tieren, sogenanntes Halāl-Fleisch“, erklärt Dr. Scherbaum. „Sie kaufen das billigere Fleisch im Supermarkt aus Unsicherheit nicht.“

Auch in der Unterkunft selbst hören die Schwierigkeiten und Gründe für die Mangelernährung nicht sofort auf. „Die Küchen sind nicht sehr groß und bieten kaum Platz, damit alle kochen können. Auch halten sich Frauen während ihrer Schwangerschaft aus kulturellen Gründen nicht gerne darin auf, wenn zu viele oder nur fremde Männer anwesend sind.“

Um also möglichst wenig Zeit in der Küche mit fremden Männern zu verbringen, bereiten viele Frauen einen Großteil der Mahlzeit in ihren Zimmern vor. „Das ist natürlich nicht ideal, da sie in ihren Schlafzimmern keinen Kühlschrank haben und somit Lebensmittel auch leichter verderben können.“


Männer essen außer Haus, Mütter bleiben häufiger in ihren Zimmern


Damit binden sich vor allem junge oder werdende Mütter noch mehr an ihr Zimmer, sagt die Ernährungswissenschaftlerin.

„Die Studie zeigt, dass Mütter mit Kindern oder Schwangere in der Anfangszeit kaum ihr Zimmer verlassen. So beauftragen sie häufig die Männer einkaufen zu gehen. Dies führt dazu, dass Männer – auch wenn sie anfangs ebenso mit der Sprache zu kämpfen haben – auch außerhalb der Unterkunft Essen gehen. Ihre Ernährung ist ausgewogener und nahrhafter als die der Frauen, sie sind gesünder, körperlich aktiver und leiden weniger an Übergewicht.“

Einen Zuwachs konnten die Nachwuchswissenschaftler allerdings ebenfalls feststellen. „Die Probanden haben angegeben hier in Stuttgart mehr Früchte zu essen. Es sei besser verfügbar als in ihrem Heimatland.“


Bessere Aufklärung für eine gesunde Ernährung

Die Caritas will die Ergebnisse der Masterarbeiten nun nutzen, um die Flüchtlingsunterkünfte und die Eingliederung der Flüchtlinge in die neue Umgebung zu verbessern. Weiter soll auch die Aufklärung stillender Mütter optimiert werden.

„Traditionell geben einige der Flüchtlinge ihren Neugeborenen noch vor dem ersten Anlegen Kuhmilch oder gesüßten Tee. Die wertvolle Vormilch hingegen, das Kolostrum, wird aufgrund ihrer leicht gelblichen Farbe und dickflüssiger Konsistenz als unsauber empfunden und deshalb verworfen. Die Säuglinge erhalten somit nicht den besonderen Schutz dieser ersten Immunisierung. Auch das soll sich zukünftig ändern.“

In 2017 haben qualitative Erhebungen einer Masterstudentin bei Frauen gezeigt, dass die Asylbewerberinnen versuchen, sich hier in Deutschland fast identisch zu ihrem Heimatland zu ernähren. Der Begriff „gesunde Ernährung“ war hingegen unbekannt.

„Viele der Probanden haben hier den Wunsch geäußert, mehr darüber zu erfahren. Auch die Ergebnisse dieser Masterarbeit sollen deshalb zukünftig in die Arbeit der Caritas integriert werden und für eine bessere Aufklärung sorgen.“

Text: C. Schmid

Kontakt für Medien:

PD. Dr. Veronika Scherbaum, Institut für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft der Universität Hohenheim
T 0711 459-23496; E veronika.scherbaum@uni-hohenheim.de


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