Hohenheimer Gärten: Die Kannenpflanzen
Was blüht uns im November? [23.11.20]
Die Kannenpflanzen zählen zu den außergewöhnlichsten Pflanzen der Erde. Ihre Blätter sind einzigartig gestaltet. Die Blattspreite ist zu einer Kanne umgewandelt, in der durch Verdauungsdrüsen eine enzymreiche, saure Flüssigkeit entsteht. In diesen attraktiven Gebilde werden Tiere, meist Insekten gelockt und zersetzt.
Das Verbreitungsgebiet der Kannenpflanzen erstreckt sich von Madagaskar über Indien bis nach Neukaledonien, mit dem Diversitätszentrum in Südost-Asien auf den Inseln Borneo und Sumatra. Mittlerweile sind weltweit rund 120 Arten bekannt. Das Hohenheimer Sammlungsgewächshaus beherbergt acht Arten sowie einige Hybride.
Kannenpflanzen "klettern" Bäume hoch
Kannenpflanzen können im Regenwald lianenartig bis über 15 m an Bäumen empor klettern. In trockeneren und offeneren Gebieten wuchern sie im Gras und Gebüsch.
Ein Blatt besteht aus drei Teilen. Der am Trieb sitzende Blattgrund ist stark vergrößert und dient der Photosysnthese. Der Blattstiel ist zu einer Ranke umgewandelt. Am Ende des Stiels sitzt die meist zylindrische Kannenfalle. Kannendeckel und Kannenmund sind zur Anlockung von Insekten mit Nektardrüsen versehen und auffallend, oft glänzend rötlich gefärbt. Der Deckel schützt die Kanne vor dem Überlaufen durch Regen. Die Form der Kannenfalle variiert von Art zu Art und sogar auf der gleichen Pflanze. Die größten Kannen besitzen ein Volumen von bis zu 3 Litern.
Die zweihäusig verteilten Blüten erscheinen meist mit grüner, bronzefarbener oder rötlicher Schattierung in bis zu 1 m langen, traubigen oder rispigen Blütenständen. Nach Bestäubung durch kleine Fliegen und Käfer reifen Kapselfrüchte mit jeweils hunderten von windverbreiteten Samen.
Eine Mäuse-fressende Pflanze
Kannenpflanzen wachsen in nährstoffarmen Gebieten und holen sich zusätzliche Nährstoffe über den Insektenfang. In seltenen Fällen werden Schnecken und Frösche, in großen Kannen sogar Mäuse und Ratten gefangen.
Die Insekten gelangen an die Nektardrüsen am Kannenmund. Sind sie nicht vorsichtig, rutschen sie am glatten, wachsreichen Inneren der Kanne hinunter in die saure Verdauungsflüssigkeit. Es gibt kein Entkommen mehr und sie ertrinken. Dann werden sie von zahlreichen Verdauungsenzymen wie in einem Magen zersetzt. Die wichtigen Nährstoffe wie N und P werden schließlich von der Pflanze durch Verdauungsdrüsen aufgenommen.
Zusätzlich leben zahlreiche Kommensalen, d.h. Diebe und Mitesser, an und in den Fallen. In manchen teils verdickten Kannenstielen wohnen Ameisenarten in Symbiose. Sie säubern Kadaverreste und erhalten dabei Nahrung, im Gegenzug verteidigen sie die Pflanzen gegen Fraßfeinde.
Die Kannenflüssigkeit gilt für den Menschen eher als ungenießbar, wird lokal aber als Heilmittel genutzt. Im 19. Jahrhundert wurden die Kannenpflanzen durch Pflanzenjäger nach Europa als Zierpflanzen eingeführt.
Der berühmte schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707-1778) beschrieb die Gattung, lat. nepenthes = ein Zaubermittel, das dem Wein zugemischt Kummer vertreibt. Diese Wirkung hat sich nicht bestätigt.
Text: R. Gliniars, R. Bäßler, A. M. Steiner
Fotos: R. Gliniars, M. Rose