Schätze der Sammlungen
Das Bismarck-Denkmal [07.11.16]
Fünf Schüsse fallen am späten Nachmittag des 7. Mai 1866 auf der Berliner Prachtstraße „Unter den Linden“. Sie gelten dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, verursachen jedoch nicht mehr als ein paar geprellte Rippen. Der Politiker überlebt den Anschlag; sein Angreifer, Ferdinand Cohen-Blind, nimmt sich noch in derselben Nacht im Gefängnis das Leben.
Für das gescheiterte Attentat wird der ehemalige Student der Agrarwissenschaften in Schwaben als „zweiter Wilhelm Tell“ gefeiert, schildert Universitätsarchivar Professor Dr. Ulrich Fellmeth: „Geschäfte stellten blumenumkränzte Bilder von Cohen-Blind ins Schaufenster, junge Damen trugen Cohen-Blind-Portraits als Medaillon.“ Ein Abgeordneter im württembergischen Landtag rühmt Cohen-Blind, der als Sohn der radikalen Demokratin Friederike Cohen-Blind im Exil aufgewachsen ist, als Freiheitsheld.
Süddeutsche Solidarität mit dem Attentäter
Der Grund für die süddeutsche Bismarck-Ablehnung: Der preußische Ministerpräsident ist dabei, einen Krieg gegen Österreich zu forcieren. Mit seinem Attentat will Cohen-Blind diesen Krieg verhindern. Vergebens: Im Juni schickt das kleine Königreich Württemberg Soldaten auf österreichischer Seite gegen Preußen in die Schlacht – und erleidet hohe Verluste.
Auch dass Bismarck das Attentat für eine süddeutsche Verschwörung hält und hartnäckig nach Mitverschörern fahndet, vergisst man in Württemberg lange nicht. Studienfreunde Cohen-Blinds und Studierende der Akademie Hohenheim werden verdächtigt, in den Anschlag verstrickt zu sein. „Lange Zeit herrschte in Württemberg auch wegen dieser Reaktion eine extreme antipreußische Haltung, und Cohen-Blind wurde noch bis in die 1870er Jahre hinein verehrt“, erklärt Prof. Dr. Fellmeth.
Vom antipreußischen Ressentiment zur nationalistischen Begeisterung
Nur knapp 35 Jahre später hat sich das Blatt gewendet; Hohenheimer Studierende stiften ein Bismarckdenkmal. „Mit Bismarcks Tod 1898 begann eine Welle der Bismarck-Verehrung in ganz Deutschand.“ 35 Jahre nachdem Süddeutschland gegen eine preußische Vorherrschaft gekämpft hat, sind die Hohenheimer Studierenden von der großdeutschen Idee begeistert. „Konstantes Wirtschaftswachstum nach einer schweren Krise und wachsender Wohlstand hat die antipreußischen Ressentiments in Württemberg weitgehend beseitigt“, so Prof. Dr. Fellmeth.
Widerstand gegen das Denkmal kommt lediglich vom Senat der Universität, dessen Mitglieder zum Teil die Revolution 1848, jedenfalls aber den Deutschen Bruderkrieg von 1866 noch miterlebt haben. „Die 48er-Generation hat sich gegen das Denkmal gewehrt“, betont Prof. Dr. Fellmeth, „aber gegen die deutschtümelnde Bismarck-Begeisterung hatte sie keine Chance.“ Die Studierenden protestieren für ein Denkmal und bekommen dabei vom Landtag Unterstützung.
Am 16. November 1900 wird das Denkmal eingeweiht. Fünf Meter hoch auf einem steinernen Sockel, zeigt der Obelisk aus Granit auf einer 90 Zentimeter hohen Bronzeplatte Bismarck in Feldherrenuniform. Der einst so verhasste Preuße erhält einen Ehrenplatz, wie sich der emeritierte Professor Dr. Adolf Martin Steiner erinnert: „Lange Zeit stand Bismarck zentral mitten auf der Nord-Süd-Achse am oberen Ende der Jägerallee – gut sichtbar von Schloss und Park.“
Imagewandel einer Nationalikone
In ganz Deutschland werden nach Bismarcks Tod solche Denkmäler zu seinen Ehren errichtet. Hinzu kommen 240 Bismarck-Türme – auch im früher antipreußischen Stuttgart, wo die Studierenden der Technischen Hochschule einen Bismarckturm auf dem Gähkopf in Stuttgart-Nord bauen.
Sogar in den ehemaligen deutschen Kolonien Kamerun und Tansania werden Gedenktürme aufgestellt. Bismarck wird zum Symbol eines Patriotismus, der 1914 die junge Generation jubelnd in den Krieg ziehen lässt. Die Idee von Bismarck als deutschem Helden hält bis zum Ende des 2. Weltkriegs an, dann wird es ruhig um den Preußen – auch in Hohenheim.
Heute: Lauschiges Eckchen statt Ehrenplatz
1960 stürzt ein Junge beim Klettern vom Sockel des Hohenheimer Denkmals und verletzt sich schwer. Deshalb, vor allem aber auch weil es auf der Nord-Süd-Achse nicht mehr in das neue Gartenkonzept passt, wird das Denkmal daraufhin nicht nur zwei Meter kürzer gemacht, sondern gleich an seinen heutigen, deutlich versteckteren Ort verbannt.
Zurückgesetzt vom Weg und halb von Bäumen verborgen, steht die Säule mit Bismarcks Bronzeprofil heute am südöstlichen Rand des Schlossparks. Und die öffentliche Reaktion auf den Umzug? „Proteste gab es nicht“, so Prof. Dr. Steiner.
Text: Barsch / Klebs