Interessant ist nun, wie die Skulptur bei ihrer Entstehung in den 1940er Jahren und später bei der Aufstellung in Hohenheim gedeutet wurde.
Deutungen während der NS-Zeit
Gemäß der NS-Ideologie sollte die Kunst „das Ideal einer deutschen Volksgemeinschaft widerspiegeln.“ Entsprechend stand der Jüngling 1942 in Salzburg als „Ehrenwache“ an die im laufenden Krieg „gefallenen“ Soldaten und galt 1943 in Posen als die „Verkörperung deutschen Wesens, deutscher tatbereiter Jugend“. Von ihm sollte „eine stete Mahnung an die Studentenschaft ausgehen […], sich immer für das Reich einzusetzen.“
Insgesamt gehörten der „Kult um die Toten“ und damit verbunden Heldentum, Opferbereitschaft und Gehorsam zu den „Kernelementen“ der nationalsozialistischen Ideologie. Sie halfen bis zur Niederlage der deutschen Wehrmacht bei Stalingrad und zum Teil noch darüber hinaus, das Regime der Nationalsozialisten zu stützen. Mit der Schaffung seines Jünglings beteiligte sich Fritz von Graevenitz also aktiv an der nationalsozialistischen Propaganda. Der Kurator der Reichsuniversität Posen schreibt 1944 entsprechend von den „außerordentlichen Kräften“, welche von der Skulptur für die „geistige Pionierarbeit“ im Osten ausgehen würden.
Relevant für die Deutung der Skulptur durch den Bildhauer selbst sind unter anderem Aussagen von Fritz von Graevenitz, die er in 1940 in seiner Schrift“ Kunst und Soldatentum“ macht. Darin bezeichnet er Künstler als „Waffenschmiede“ und weiter:
„So stehen beide – Künstler und Soldat – in letzter Verantwortung vor dem Volk: zu trotzen Wirrnis und Gefahr, Kämpfer zu sein um das schwerste Gut der Erde: Freiheit. […] Über den Gräbern von Langemarck ersteht heute Großdeutschland.“
Aufschlussreich ist auch speziell ein Zitat über die Darstellung des menschlichen Körpers:
„Es scheiden nie deutlicher die Geister sich und die Zeiten, als in der Gestaltung des menschlichen Körpers. Weil er des Geistes ist, drum überwindet der griechische Jüngling feindliche Urgewalten wie spielend und ohne Kampf.“
Im Jahr 1940 verfasste Fritz von Graevenitz zudem ein Gedicht zu seiner Jünglingsskulptur, welches sehr gut verdeutlicht, wie er selbst das Kunstwerk interpretierte:
„Mitten aus flammender Nacht,
Weithin dröhnender, wilder Gewitter,
Nahet ein gottgesandter, heiliger Held,
Hell wie ein junger Stern, der seine Siegesbahn, strahlend beginnt.
In seines Schreitens, schwingender Kraft,
Jauchzen Gesänge, sieghafter Macht.
Schau, wie im Widerschein fallender Sterne,
Leuchtet sein Angesicht,
In eines Lächelns, verschwiegenem Licht,
Und einer Gottheit Traum, zukunftsschwer,
Lagert sanft sich um der Augen,
Kampfgeweihtes heiliges Meer."
Die Worte ähneln stark seiner Beschreibung des am 2. September 1939 beim Angriff auf Polen getöteten Heinrich Freiherr von Weizsäcker, den er als „vom Geist umfangenen Auserwählten“ beschreibt, der klar und zielbewusst seinem Regiment vorausstürmte. Auch macht Fritz von Graevenitz aus seiner Bewunderung für die anfänglichen Erfolge der Wehrmacht keinen Hehl, wenn er über die von der Westfront heimkehrenden jungen Männer schreibt:
„Gespannt, straff – herrlich seid ihr Jünglinge, die ihr über Stunden Mann geworden seid!“
Mit der Schaffung seiner Jünglingsskulptur goss der Bildhauer schließlich all diese Attribute in Bronze.
Deutung in den 1950er Jahren
Es stellt sich nun die Frage, inwiefern diese Hintergründe 1954 eine Rolle bei der Auftragsvergabe spielten und wie das Denkmal von Hohenheimer Seite aus eingeordnet wurde.
In den Quellen finden sich leider nur wenige Aussagen darüber, warum 1954 gerade Fritz von Graevenitz mit der Erstellung eines „Gefallenendenkmals“ beauftragt wurde. Vieles muss hier wohl in mündlichen Gesprächen entschieden worden sein. In seiner Einweihungsrede gibt Rektor Rademacher an, dass Graevenitz als Offizier und Schwerverwundeter des Ersten Weltkrieges der Thematik nahestand.
Möglich ist weiter, dass persönliche Verbindungen über das Königin Olga Regiment eine Rolle gespielt haben und Graevenitz seine alten Kontakte aus der Kriegs- und Vorkriegszeit zugutekamen oder aber andersherum seine fehlende Parteimitgliedschaft und die Tatsache, dass er von der Spruchkammer in Leonberg als unbelastet eingestuft und mit der Schaffung der Bolz-Büste für den Landtag beauftragt wurde, für ihn sprachen.
Sicher wissen wir, dass Rektor Rademacher durch von Graevenitz selbst über die Ursprünge des Jünglings informiert war, sich aber dennoch für dessen Aufstellung in Hohenheim aussprach.
Fritz von Graevenitz selbst stellte es nun so dar, dass er den Jüngling immer schon als „Gegensatz zur Haltung der Partei“ verstanden habe. Sein Jüngling sei „Geistkämpfer“ im „michaelischen Sinne“. Der Heilige Michael gilt als Seelenbegleiter der Toten, aber auch als Schutzpatron Deutschlands und Patron der Soldaten.
Tatsächlich sind deutliche Unterschiede zu Skulpturen anderer NS-Künstler wie beispielsweise Arno Breker zu erkennen. So hält der Graevenitz’sche Jüngling auch in seiner ursprünglichen Form sein Schwert nicht erhoben, seine Muskeln sind weniger ausgeprägt als bei Breker.
Gleichzeitig war Fritz von Graevenitz 1954 die Hinwendung des Jünglings „mahnend und kündend“ an die Lebenden mehr denn an die Toten ein besonderes Anliegen. Er plädierte daher gegenüber dem Senat für eine polare Lösung aus Opferschale (den Toten) und Skulptur (den Lebenden).
Insgesamt kommt man jedoch nicht umhin anzuerkennen, dass es sich bei dem Jüngling um eine Skulptur handelt, welche nicht nur im Einklang mit dem nationalsozialistischen Kunstverständnis entstand, sondern explizit für die Präsentation in der nationalsozialistischen Kunstszene entworfen wurde, in der sie außerdem großen Anklang fand. Das muss auch dem Hohenheimer Senat und Rektor Rademacher bewusst gewesen sein.
Dessen Rede zur Einweihung der Skulptur 1955 liest sich denn auch weniger als kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung als Gesellschaft oder Hochschule denn als anhaltendes Bekenntnis zu Nationalismus und militärischer Opferbereitschaft.
Kritische Stellen, an denen er von der „Vermessenheit und Hypris“ spricht, welche Deutschland „tief gestürzt“ hätten oder daran appelliert, die Jünglingsskulptur als Mahnung zur „Achtung von Menschentum und Menschenwürde“ zu verstehen, bleiben die Ausnahme. Vielmehr greift auch Rademacher die bereits 1940 geprägte Vorstellung des „Geistkämpfers“ auf:
„Sie zeigt einen edlen Körper, beherrscht durch den Geist. […] Kein Volk wird sich die Freiheit erhalten, nach seiner eigenen Art zu leben, wenn es nicht bereit ist, für die Freiheit und die wahren Werte des menschlichen Lebens jedes Opfer zu bringen.“
Dass diese Werte sich für ihn von denen des Nationalsozialismus nicht groß unterschieden, wird dann im Folgenden deutlich:
„Vaterland, Freiheit, Ehre, Treue und Opferwille sind und bleiben echte Werte.“
Letztlich war die Skulptur für den Hohenheimer Rektor Symbol der „Dankesschuld der Lebenden“, Vermächtnis dessen „was unser Volk erstrebt, verschuldet und erlitten hat“, und sollte den Studenten „Erinnerung an den tragischen Opfertod ihrer Brüder und Väter.“
Dazu gehörte auch, dass Rademacher das künftige Gedenken explizit nur auf die Gefallenen, Vermissten und Verlorenen des eigenen „Volkes“ bezog.