Neue Profs: Anthony Stein
Er bringt Künstliche Intelligenz auf den Acker [09.01.23]
Jun.-Prof. Dr. Anthony Stein | Foto: Universität Hohenheim / Corinna Schmid
Ob Unkrautbekämpfung mittels Roboter oder Vorhersage von Ernteerträgen – die Digitalisierung schreitet auch in der Landwirtschaft immer weiter fort. Jun.-Prof. Dr. Anthony Stein ist in dieser Welt zuhause: Er leitet – bereits seit 2020 – das Fachgebiet Künstliche Intelligenz in der Agrartechnik an der Uni Hohenheim.
Künstliche Intelligenz, oft mit KI abgekürzt, sei weit mehr als nur maschinelles Lernen. Vielmehr sei diese Disziplin sehr facettenreich, schwärmt der Informatiker. Studierende ermutigt er, sich ruhig an solche vermeintlich komplexen Themen heranzutrauen – sie ließen sich durchaus entmystifizieren.
Herr Stein, Sie sind bereits seit März 2020 in Hohenheim, also eigentlich längst ein alteingesessener Hohenheimer. Doch wegen der Pandemie ist bisher noch kein Interview mit Ihnen in unserer Reihe „Neue Profs“ erschienen. Wie war denn Ihr Start damals praktisch zeitgleich mit dem Beginn der Krise?
Erstaunlich gut. Obwohl sich alle Bereiche umstellen mussten, hatte ich nie den Eindruck notwenige Hilfe oder wichtige Informationen verspätet oder gar nicht zu erhalten. Ich war sehr positiv überrascht. Darüber hinaus wurde ich sehr herzlich von meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut begrüßt und hatte sofort das Gefühl voll und ganz dazuzugehören.
Hinweis der Redaktion |
Seit Beginn der Corona-Pandemie war es zeitlich nicht mehr möglich, die traditionellen Willkommensinterviews mit neuen Profs durchzuführen. Nun wird dies in Form einer Serie mit schriftlichen Fragebögen nachgeholt. |
Nur der bis dahin so geschätzte erste Handschlag, auf den musste man natürlich von Anfang an bei allen Begegnungen verzichten. Auch hatte ich mir immer vorgestellt, beim Start als Prof an einer neuen Uni wesentlich mehr Kaffee außerhalb des eigenen Instituts zu trinken, z.B. beim Kennenlernen von Kolleginnen und Kollegen :-)
Ihre Professur ist eine von 10 Juniorprofessuren zur KI, die das Land 2020 finanziert hat. Was genau beinhaltet KI in der Agrartechnik?Jede Menge. Die Agrartechnik unterliegt, wie so ziemlich jeder Bereich, der fortschreitenden Digitalisierung. Demnach werden bei fast allen verfahrenstechnischen und sonstigen landwirtschaftlichen Prozessen Daten messbar und Informationen erfassbar, die von intelligenter Software – umgangssprachlich KI genannt – analysiert und weiterverarbeitet werden können.
Ein konkretes Beispiel ist die Unkrautkontrolle mittels autonomer Roboter, die auf Basis von KI Unkräuter erkennen und höchstpräzise bekämpfen können – und das auch nur, wenn dies agronomisch gesehen überhaupt notwendig ist. Andere Beispiele kann man aber auch auf höhere Skalen, sozusagen weg vom Feld, suchen, wie z.B. die Vorhersage von Ernteerträgen auf Basis von Satellitenbildern in Kombination mit Wetter- und Pflanzenentwicklungsdaten sowie historischen Erträgen.
Was fasziniert Sie an dem Thema?Der Facettenreichtum dieser Disziplin. Entgegen des oft wahrgenommenen Irrtums ist KI nämlich viel mehr als „nur“ maschinelles Lernen mit tiefen künstlichen neuronalen Netzen (Deep Learning). KI befasst sich bereits seit den 1950er Jahren mit der Lösung komplexer Suchprobleme, der expliziten und für den Computer lesbaren Repräsentation von menschlichem Wissen und der Ableitung von neuen Fakten daraus, aber eben auch dem Lernen aus Erfahrung (heute i.d.R. durch große Mengen an annotierten Daten).
Dieser Facettenreichtum führt zu einem bunten Blumenstrauß an KI-Methoden, die man gewinnbringend auf verschiedensten Problemstellungen der realen Welt – in meinem Fall innerhalb der Agrartechnik – anwenden kann.
Wie war denn Ihr persönlicher Weg bis zur Professur in Hohenheim?Ich begann meine akademische Laufbahn an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Augsburg, wo ich einen Bachelor in Wirtschaftsinformatik gemacht habe. Weil mir die theoretischen Inhalte bereits zu dieser Zeit mehr gegeben haben und ich insbesondere beim Lernen auf die Klausuren gemerkt habe, dass ich mehr und mehr in die theoretischen Hintergründe der vermittelten Konzepte abtauche, habe ich die Entscheidung getroffen, mein Masterstudium an einer Universität zu absolvieren.
Also habe ich einen Masterabschluss in Informatik und Informationswirtschaft an der Uni Augsburg gemacht. Die wirtschaftliche Komponente wollte ich eben doch nicht ganz ad acta legen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich auf ein Minimum an Credits in den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern beschränkt habe. Bereits gegen Ende meines Bachelorstudiums bin ich das erste Mal mit dem Begriff des (Software-)Agenten -- ein essentieller Begriff der KI – in Berührung gekommen.
Im ersten Semester an der Uni hatte ich dann die Wahl zwischen zwei Modulen, die zur selben Zeit angeboten wurden. Witziger Weise war das Modul, gegen das ich mich entschieden hatte, zur damaligen Zeit jenes, dass sich verstärkt mit Methoden des maschinellen Lernens befasst hat, obwohl es ganz anders hieß. Das war mir damals aber schon in der ersten Vorlesung witzigerweise ein bisschen zu mathematisch formal . Stattdessen habe ich ein Modul namens Organic Computing besucht, das ebenfalls einen breiteren Überblick über naturinspirierte Methoden der KI und deren Anwendung in komplexen technischen Systemen für den Einsatz in der realen Welt gegeben hat.
Was soll ich sagen, am Lehrstuhl für Organic Computing habe ich dann als wissenschaftliche Hilfskraft begonnen und in den kommenden 5 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Informatik mit einem Schwerpunkt im regelbasierten maschinellen Lernen promoviert.
Während dieser Zeit bin ich voll in die Wissenschaft eingestiegen und habe viel über das akademische Arbeitswesen erfahren und es lieben gelernt. Für mich war klar, dass ich in der Academia bleiben möchte und letztlich eine Professur erlangen will. Und nun bin ich hier im schönen Hohenheim und darf eine Tenure-Track Professur für Künstliche Intelligenz in der Agrartechnik bekleiden – ein Traum wurde Wirklichkeit.
Das klingt schön. Und mit welchen traumhaften Forschungsthemen beschäftigen Sie sich im Augenblick?Derzeit befassen wir uns mit einer Reihe an Forschungsthemen, die wir in unseren Forschungsprojekten bearbeiten. Dazu gehören unter anderem sehr agrartechnische Themen, wie die KI-basierte Optimierung der Intensität der Kreiselegge im Prozess der Saatbettbereitung vor der Aussaat. Aber dazu gehört auch die KI-basierte Analyse von Bildaufnahmen, die das sichtbare und nicht-sichtbare Spektrum abbilden, um z.B. Pflanzenkrankheiten bereits in frühen Infektionsstadien zu erkennen. Dabei sprechen wir von „Maschinellem Sehen“.
Fachgebiet Künstliche Intelligenz in der Agrartechnik |
Seit dem 15.3.2020 leitet Jun.-Prof. Dr. Anthony Stein das neu eingerichtete Fachgebiet. Die Besetzung erfolgte erstmals im MWK-Programm Künstliche Intelligenz in Baden-Württemberg (KI-BW), mit dem das Land insgesamt 10 Juniorprofessuren zur KI finanziert. Die Professur mit Tenure Track ist auf 6 Jahre befristet und wird bei Bewährung in eine reguläre Professur umgewandelt. mehr |
In einem anderen Projekt steht die KI-Methodenentwicklung für die digitalisierte Landwirtschaft im Vordergrund. Hier beschäftigen wir uns mit der automatisierten Erstellung und Konfiguration von Machine Learning Modellen (Automated Machine Learning), zum Beispiel für die Ernteertragsprognose. Auch der Forderung nach Datensouveränität wollen wir Rechnung tragen. Dafür beschäftigen wir uns mit der Zusammenführung von Vorhersagemodellen, die lokal bei verschiedenen landwirtschaftlichen Akteuren trainiert werden – und das ohne die Daten überhaupt erst austauschen zu müssen.
Selbstverständlich spielt aber auch die intelligente und verteilte Feldrobotik bei uns eine wichtige Rolle, wenn auch zunächst eher auf grundlagenorientierter Forschungsebene und im Simulator.
Können sich denn Studierende an Ihrer Forschung schon beteiligen?Ja klar, wir beteiligen Studierende bereits kräftig an unseren Arbeiten. Letztes Semester hatten wir beispielsweise drei Studierende, die das Modul „Forschungsprojekt“ bzw. „NawaRo-Projekt“ an unserem Fachgebiet sehr erfolgreich absolviert haben und aktiv in unsere Forschungsprojekte eingebunden waren.
Wir bieten aktuell auch Themen für Humboldt reloaded Projekte an. Seit Gründung des Fachgebiets konnten auch schon fünf Studierende ihre Abschlussarbeiten erfolgreich absolvieren. Vier weitere Masterarbeiten laufen derzeit an. Und natürlich unterstützen uns derzeit sechs HiWis tatkräftig bei unseren Forschungsprojekten.
Was bedeutet für Sie gute Lehre?Gute Lehre bedeutet für mich, als Lehrender selbst stets offen für kontinuierliches Lernen zu sein. Neue, und in meinem speziellen Fall als Informatiker in Hohenheim vielleicht auch manchmal „exotisch“ erscheinende, Inhalte sollten nicht einfach nur vorgebetet werden, sondern gemeinsam mit den Studierenden eruiert und immer wieder diskutiert werden.
Aus diesem Grund setze ich gerne auf interaktive Formate: Manchmal einfach mittels kleiner Quizze, manchmal komplett im seminaristischen Stil, und neuerdings auch im Stil eines Flipped Classrooms. Im letzteren Format können sich die Studierenden z.B. mit gegebenen Leitfragestellungen und wissenschaftlichen Texten vorbereitend auseinandersetzen, und im Plenum bei der nächsten Sitzung werden diese gemeinsam diskutiert und vertieft.
Ganz ohne Vermittlung von Theorie geht es aber nun mal nicht, weshalb ich in meinen Vorlesungen nun gerne einen Mix aus klassischer Wissensdarbietung (Vorlesung) und dem zuvor genannten Flipped Classroom-Modell anwende. So versuche ich, die oftmals recht theoretisch erscheinenden KI-Themen und Lehrinhalte zunächst intuitiv mithilfe von kleineren greifbaren Beispielen zu vermitteln und die konkreteren Anwendungen dieser Konzepte in der Landwirtschaft gemeinsam mit den Studierenden zu erschließen.
Haben Sie einen Tipp für ein erfolgreiches Studium?Wenn Sie im Studium ein vermeintlich komplexes Thema richtig interessiert, dann trauen Sie sich auch ran, und Sie werden es erfolgreich erlernen können. Viele solcher Themen lassen sich auch etwas entmystifizieren. Besonders in der KI stecken oftmals einfache, aber geniale Ideen dahinter, die es aber zunächst intuitiv zu begreifen gilt. Danach klappt der Rest oft von allein. Naja, ein wenig Lernen und Üben gehört natürlich immer dazu. Und nun hoffe ich, dass diesen Tipp viele grundsätzlich an KI interessierte Hohenheimer Studierende lesen werden ;-)
Es gibt ja auch noch ein Leben nach der Uni – was machen Sie, wenn Sie nicht gerade arbeiten?Jede Minute, die ich nicht arbeite, verbringe ich voll und ganz mit meiner kleinen Familie und natürlich den Freunden. Unsere zweijährige Tochter hält uns dabei ganz schön auf Trab und ihre Hobbies sind natürlich zu meinen eigenen geworden. Meinen Schafkopfstammtisch musste ich allerdings durch meinen Umzug von Bayern ins Schwabenländle leider aufgeben.
Der ist hier allerdings schwer zu ersetzen… Herzlichen Dank für das Interview, Herr Stein!Interview: Elsner