Neue Profs: Sascha Venturelli

Er untersucht, wie die Ernährung Krebs-Erkrankungen beeinflusst  [06.03.20]

Prof. Dr. Sascha Venturelli | Foto: Uni Hohenheim / Dorothea Elsner

Die Krebsforschung ist seine Passion: Was Hopfen oder Vitamin C mit Tumorerkrankungen zu tun haben, das erforscht Prof. Dr. Dr. Sascha Venturelli. Er leitet seit Oktober letzten Jahres das Fachgebiet Biochemie der Ernährung an der Uni Hohenheim.


Herr Venturelli, Ihr Fachgebiet hat seinen Namen beibehalten. Was machen Sie anders als Ihr Vorgänger Prof. Lutz Graeve?

Der Fokus in der Forschung ist bei mir anders: Ich betreibe onkologische Forschung, also Tumor-Forschung. Die kann ich hier in Hohenheim fortführen sowie weiter ausbauen. Meine Gruppe untersucht wie spezifische Nahrungsmittel-Inhaltsstoffe die Tumorentstehung, aber auch Ausbreitung von Krebs therapeutisch modulieren können.

Das heißt, Sie sind Mediziner?

Ich habe in Freiburg Biologie studiert und Medizin in Tübingen. Anschließend habe ich eine naturwissenschaftliche Doktorarbeit in Hohenheim abgeschlossen und eine medizinische Dissertation in Tübingen.

Zunächst war ich Laborleiter in der onkologischen Forschung im Universitätsklinikum Tübingen und als Gastwissenschaftler am Peter MacCallum Cancer Centre in Melbourne, Australien. Im Anschluss konnte ich im Rahmen der Exzellenzinitiative dann eine eigene Arbeitsgruppe in Tübingen etablieren, mit dem Fokus auf Epigenetik und Ernährung. Darauf aufbauend wurde ich stellvertretender Direktor der Abteilung für Vegetative und Klinische Physiologie in Tübingen und zum akademischen Direktor ernannt, konnte aber meine onkologische Forschung weiter betreiben. In der Zeit war ich auch viel in der Lehre tätig, was mir den Einstieg in Hohenheim sehr erleichtert hat.

Was ist die wichtigste Frage, die Sie bei Ihrer Forschung antreibt?

Die wichtigste Frage ist: Wie kann man mit so etwas Einfachem und Alltäglichem wie Ernährung die Entstehung einer Krebserkrankung verhindern. Schließlich hat fast jeder in der Familie Fälle von Tumorerkrankungen bereits miterleben müssen. In den letzten Jahren gab es einige neue Therapieansätze, aber man kann auch vieles mit Ernährung steuern und die Therapie unterstützen. Somit kann die Ernährung viel zur Gesundheit beitragen.

Welches große Rätsel möchten Sie mit Ihrer Forschung lösen?


Ich möchte die Nahrung aufschlüsseln und diejenige Grundstruktur herausfiltern, die maßgeblich dazu beitragen kann Krebs zu verhindern. Die „magic bullet“ gegen eine maligne Entartung wird es in absehbarer Zukunft leider nicht geben, es wäre aber fantastisch, wenn man den einen Stoff finden könnte, der die Ausbreitung von Krebs nachhaltig bremst oder sogar revertiert.

Wenn Sie über unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten verfügen könnten: Welches Projekt würden Sie in Angriff nehmen?

Eigentlich wären das zwei Dinge: Wir arbeiten ja daran Organoide aus humanen Colonzellen, also Darmzellen, herzustellen und kombinieren diese mit autologen Immunzellen. Das ist ein Mini-Colon aus Colon-Zellen, also keine reine Zellkultur, sondern etwas, das nahe am lebenden System ist.

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Wie sehen denn solche Organoide aus?

Kleine kugelige Gebilde – Sie sehen sie mit bloßem Auge, aber um Genaueres zu erkennen, braucht man ein Mikroskop. Das Gute ist: Sie sind langlebig, lassen sich einfrieren und danach auch wieder expandieren. Unser Traum wäre es, eine große humane Organoid-Bank aufzubauen, um Tierversuche zu reduzieren. Sie ließen sich damit erheblich einsparen. Wenn man die Organoide mit Immunzellen des gleichen Spenders kombiniert, kann man die Wirkung vieler Stoffe gut testen. Allerdings mit einer Einschränkung: Der Stoffwechsel fehlt natürlich. Aber sie stellen einen guten Ersatz dar, um festzustellen, welche Stoffe das kranke Gewebe abtöten und gleichzeitig das gesunde schonen.

Und was wäre das zweite Projekt, das Sie mit unbegrenzten Mitteln starten würden?


Ein umfassendes Screening nach Stoffen, die die Tumorentstehung aufhalten oder sogar rückgängig machen können. Unsere Nahrung beinhaltet per se sehr viele verschiedene Stoffe, und dann muss man auch noch deren Metaboliten ansehen. Das ist also sehr aufwändig, die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Was sind denn in der Realität Ihre Forschungsthemen – außer den Organoiden?

Wir untersuchen Nahrungsmittel-Inhaltsstoffe für die Tumortherapie. Dabei arbeiten wir momentan mit Vitamin C. Oral aufgenommen wird es ab einer bestimmten Dosis ausgeschieden, dies kann man bei intravenöser Gabe umgehen und somit sehr hohe Plasmaspiegel erzielen. Vitamin C wird dann zum Prooxidans, das heißt, es fördert dann die Bildung freier Sauerstoffradikale. Und das schädigt die Tumorzellen. Aktuell publizierte Daten mit Patienten, welche an einem Glioblastom litten, einem sehr bösartigen Hirntumor mit leider limitierten therapeutischen Möglichkeiten, konnten zeigen, dass besonders Patienten mit einer schlechten Prognose sehr von dieser hochdosierten Vitamin-C-Gabe profitierten.

Freies Assoziieren



Weiterhin untersuchen wir Nahrungsmittel-Inhaltsstoffe, die das Immunsystem aktivieren, so dass dieses dann Tumorzellen bekämpfen kann. Aktuell haben wir die Prenylflavonoide aus Bier im Visier…

… also im Hopfen?

Ja, diese Wirkstoffe gelangen über den Hopfen in das Bier und können auch in alkoholfreiem Bier enthalten sein. Unsere Daten zeigen, dass einzelne Vertreter dieser Stoffklasse das Immunsystem stärken und gleichzeitig Tumorzellen im Wachstum beeinträchtigen.

Dann sollte man also möglichst viel Bier trinken?

Oh nein, mit Bier trinken könnte man die nötige Konzentration nicht erreichen. Aber diese Nahrungsmittel-Inhaltsstoffe sind natürlich für die onkologische Forschung äußerst interessant und in Sachen Hopfen gibt es hier in Hohenheim gute Kooperationsmöglichkeiten, darauf freue ich mich schon sehr.

Weiterhin können Nahrungsmittel-Inhaltsstoffe aber auch zelluläre Seneszenz auslösen – und das ist im Bereich Onkologie unter gewissen Voraussetzungen ein erwünschter Effekt. Ein weiteres Projekt von uns beschäftigt sich mit sogenannten natürlichen Killerzellen, abgekürzt NK-Zellen genannt. Diese NK-Zellen werden aktuell bereits in der Krebstherapie eingesetzt, und wir versuchen diese dahingehend zu modifizieren, dass sie für die gesunden, nicht-malignen Zellen sicherer werden, aber aggressiver gegen den Tumor.

Können sich Studierende an Forschungsprojekten beteiligen?

Ja, mit Bachelor und Masterarbeiten und natürlich Dissertationen. Während des Studiums gibt es außerdem die Möglichkeit an einer Exkursion an das DKFZ bzw. das Deutsche Krebsforschungszentrum teilzunehmen. Das habe ich von Herrn Prof. Graeve, meinem Vorgänger, übernommen, und derartige Exkursionen möchte ich ausweiten auf weitere Forschungseinrichtungen oder Firmen aus dem Bereich Nahrungsmittel oder Pharma. Denn dadurch ist der Lernstoff nicht nur graue Theorie, und bisweilen gehen daraus auch Praktikumsmöglichkeiten oder Master- sowie Doktorarbeiten hervor. Das bisherige Feedback der Studierenden war durchweg positiv, und daher möchten wir diesen Bereich langfristig weiter ausbauen.

Bieten Sie denn auch Humboldt reloaded-Projekte an?

Humboldt reloaded finde ich sehr gut und würde gern ein Projekt anbieten – wir müssen sehen, ob wir es schaffen. Frühzeitiges angewandtes Lernen ist sehr wichtig, das hilft vor allem dabei, die Anfangszeit des Studiums, welche meist sehr theoretisch und wenig anwendungsbezogen ist, durchzuhalten.

Was sind denn die wesentlichen Aspekte in Ihrer Lehre?

Ich möchte die Studierenden aktiv einbinden, also interaktive Lehre statt Frontalunterricht. So bekommt man den aktuellen Wissenstand besser mit, und der Unterricht wird einfach lebendiger.

Fachgebiet Biochemie der Ernährung

Seit 1.10.2019 leitet Prof. Dr. Dr. Sascha Venturelli das Fachgebiet. Es wurde in unveränderter Ausrichtung wiederbesetzt, als Prof. Dr. Lutz Graeve in den Ruhestand trat. mehr (Seite im Aufbau)


Lehrbuchwissen muss man natürlich auch vermitteln, aber man kann es mit aktueller Forschung und klinischer Relevanz anreichern. Und nicht zuletzt ist auch die gesellschaftliche Relevanz wichtig.

Studierende sollten letztlich lernen, kritisch zu sein und Dinge zu hinterfragen – „to think outside the box“.

Ihr Fachgebiet ist ja von Natur aus sehr interdisziplinär…

…ja, die Biochemie beinhaltet Biologie, Chemie, Medizin, Genetik, Physiologie und Immunologie, um nur einige Disziplinen zu nennen. Das sollte man hervorheben, etwa indem man Gastdozenten kommen lässt und so den Studierenden die gesamte Breite des Fachs Biochemie anschaulich und aus verschiedenen Perspektiven vorstellt.

Dazu planen mein Laborleiter Dr. Markus Burkard und ich übrigens ein neues Modul für den Master Ernährungsmedizin und Molekulare Ernährungswissenschaften. In dem Modul geht es um Arzneistoffe und Ernährung. Es vermittelt einen Überblick darüber, welche biochemischen Grundlagen bei einigen ausgewählten Erkrankungen vorliegen, welche pharmakologischen Interventionsmöglichkeiten es gibt und welchen Einfluss die Ernährung auf den Krankheitsverlauf nehmen kann. Das ist also sehr praxisbezogen.

Wo arbeiten Ihre Studierenden denn später?

Das ist schon dadurch ein breites Feld, da unsere Studierenden ja aus verschiedenen Studienrichtungen kommen: Wir haben Studierende der Ernährungswissenschaften, der Agrarbiologie und der Ernährungsmedizin und aus Ernährungsmanagement und Diätetik. Das sind alles unterschiedliche Berufsbilder.

Aber allgemein gesagt können die Studierenden später in die industrielle und akademische Forschung gehen, in die universitäre Lehre oder in die Wirtschaft – also ins Management und in die Produktion. Sie können aber auch an Kliniken arbeiten oder sich selbstständig machen mit Ernährungsberatung oder Coaching. Denn gerade auch bei Tumorpatienten hat sich in den letzten Jahren viel geändert: Früher fragten sie nach der neusten Chemotherapie, heute auch nach Ernährung und Sport und brauchen entsprechende Beratung.

Wie ist denn Ihre persönliche Bilanz nach Ihrem ersten Semester hier in Hohenheim?


Es gefällt mir hier in Hohenheim sehr gut, ich habe hier eine unglaubliche Hilfsbereitschaft und Offenheit erfahren. Hier herrscht eine sehr angenehme und produktive Atmosphäre, und es gibt eine breit gefächerte Expertise in der Ernährungsforschung. Ich freue mich daher schon auf interessante Kooperationen auch über Fakultätsgrenzen hinweg – etwa zum Thema Hopfen.

Wie sieht denn Ihre Freizeitgestaltung aus, Herr Venturelli?


Ich mache insbesondere viel Sport: Skilaufen – vor allem Tourenski, Reiten und Tauchen. Das ist ein guter Ausgleich zur Arbeit.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Interview: Elsner

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