Festakt Dies academicus 2017

"Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen"  [07.07.17]

Prof. Dr. Stephan Dabbert | Foto: Universität Hohenheim / Oskar Eyb

Es ist ein kleines Jubiläum vor dem großen im nächsten Jahr: Der 30. Dies academicus ist eröffnet. Die Aufgabe und die Bedeutung der Wissenschaft in der Gesellschaft ist das zentrale Thema des diesjährigen Festaktes zur Eröffnung. Und natürlich gibt es einen Jahresrückblick – mit lobenden ebenso wie kritischen Tönen.


Der March für Science im April habe deutlich gemacht, dass die Wissenschaft vor neuen Aufgaben stehe, meint Rektor Stephan Dabbert in seiner Begrüßung. Die Frage, welche Bedeutung die Wissenschaft in der Gesellschaft habe, werde immer wichtiger: „Es ist wichtig, dass wir als Wissenschaftler der Gesellschaft unsere Vorgehensweise erläutern. Das bleibt eine Aufforderung an uns.“

„Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen", gibt Dabbert mit den Worten Aristoteles‘ zu bedenken. In Hohenheim sieht er die Segel im letzten Jahr gut gesetzt. Das Rettenmaier-Audimax sei fertiggestellt, die Mensa-Erweiterung feierte Richtfest, die Bauarbeiten für das Phytotechnikum und das neue Studierendenwohnheim sind gestartet, die Core Facility ist eingeweiht und der Campus wird mit dem Gelände der GENO-Akademie erweitert – was beste Möglichkeiten zum Forschen und Lernen gewährleiste.

Das beschränke sich nicht auf bauliche Einrichtungen, betont Dabbert. Er verweist zum Beispiel auf Erfolge wie die neue DFG-Forschergruppe zum Thema Phosphor und Tiergesundheit, den Exzellenz-Cluster-Antrag AGER und die Förderung von Juniorprofessuren.

Rede Dabbert zum Nachhören (mp3)


Unirat und Unibund danken den Förderern

Auch der Universitätsrat sei stolz auf die Leistungen Hohenheims und dessen Ansehen in der Welt, betont dessen Vorsitzende Marion Johannsen. Sie dankt besonders den Ehrensenatoren für ihre Unterstützung.

An der Schnittstelle zwischen Universität und deren Freunde und Förderer sieht sich der Universitätsbund Hohenheim. Dirk Hachmeister erklärt, dass für den Universitätsbund gerade die Unterstützung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von großer Bedeutung sei, damit sie „die Universität Hohenheim sehr gut vertreten als unsere Außenminister überall auf der Welt.“

Grußwort Johannsen zum Nachhören (mp3)


Grußwort Hachmeister zum Nachhören (mp3)


Mittelbau kritisiert Landesregierung

Robin Mink als Vertreter des Mittelbaus vergleicht Hohenheim mit einer „alten Dame, die sich ein Jahr vor ihrem 200. Jubiläum noch mal richtig ins Zeug legt, um im nächsten Jahr besonders glänzen zu können“. Es sei bemerkenswert, dass dabei erstmalig bereits in der Planungsphase neuer Einrichtungen die Bedürfnisse aller beteiligten Statusgruppen abgefragt worden seien.

Doch zu kämpfen habe Hohenheim vor allem mit dem Einfluss von außen: „So hat man es in Hohenheim geschafft, die Tradition der international gefragten Universität in einem soliden Konzept zur Internationalisierung erfolgreich umzusetzen.“ Doch dies helfe nichts, wenn „seitens der Landesregierung der Wille fehlt, dies ernsthaft zu unterstützen“. Vor allem die Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer kritisiert er scharf.

Problematisch sei auch ein „wachsendes Ungleichgewicht im Stellenzuwachs zwischen Verwaltung und Wissenschaft“. Erstere sei überproportional ausgebaut worden. Doch die richtigen Rahmenbedingungen seien wichtig für die Motivation junger Wissenschaftler, Unsicherheit bei der eigenen Stelle sei sehr kontraproduktiv.

Mink lobt dagegen das Interesse der Hochschule an Aus- und Weiterbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses mit der Graduiertenakademie, und auch Juniorprofessuren mit Tenure Track böten große Chancen für motivierten Nachwuchs. Ebenfalls ein Aushängeschild sei die aktive Gleichstellungspolitik in Hohenheim – auch wenn der Frauenanteil bei den Promotionen immer noch geringer sei als bei den Studienabschlüssen.

Grußwort Mink zum Nachhören (mp3)


Studierende fordern bessere Rahmenbedingungen

Bei der Frage, ob die Wissenschaft in der Lage ist, ihrer Rolle als Grundlage des politischen Diskurses gerecht zu werden, zeigen sich die Vertreterinnen der Studierenden nicht nur zuversichtlich. „Wir sind besorgt, weil die Rahmenbedingungen eigene Ideen und kritisches Denken hemmen“, sagt die Präsidentin des Studierendenparlaments Nora Kretzschmar.

„Studierende waren immer die kritischen Stimmen an der Universität“, fügt Asta-Vorsitzende Sarah Graf hinzu. Doch Regelstudienzeit, knappes Bafög, unzureichende Beratung und Betreuungsstrukturen, Leistungs- und Prüfungsdruck hätten zu Politikverdrossenheit geführt. „Sich zu engagieren, das muss man sich heute leisten können – finanziell und akademisch.“ Die Studierenden fordern daher grundlegende Veränderungen wie die Abschaffung sinnloser Prüfungen und die Ausweitung des Bafög über die Regelstudienzeit hinaus.

„Studierende in Hohenheim wollen und können aktiv ihr Umfeld mitgestalten“, betont Kretzschmar. Das zeigen zum Beispiel die Koch-Aktion am Nachhaltigkeitstag oder das Fresh-Modul „Ethical Reflection on Food and Agriculture“, das als Best practice-Beispiel dient.

“Der internationale Austausch und die tatsächliche Repräsentation aller gesellschaftlicher Gruppen ist Voraussetzung für sehr gute Wissenschaft“, sagt Graf. Damit könnten die Studierenden keine diskriminierenden Studiengebühren hinnehmen. Sie fordern mehr Handlungsspielraum für die Universitäten, weshalb sie langfristig mit ausreichenden Grundmitteln finanziert werden sollten.

Auch der Blick auf die Landespolitik stimme besorgt, meint Graf, denn „der Koalitionsvertrag kündigt an, das politische Mandat der Studierendenschaft auf die Hochschule zu beschränken.“ Doch das Studienumfeld ende nicht an den Campusgrenzen.

Grußwort Graf und Kretzschmar zum Nachhören (mp3)


Festvortrag Prof. Dr. Martina Brockmeier, Vorsitzende des Wissenschaftsrates

Den Festvortrag hält Prof. Dr. Martina Brockmeier, die Vorsitzende des Wissenschaftsrates und Professorin in Hohenheim. Sie diskutiert die Frage „Kommunikation, Beratung, Anwendung – Facetten wissenschaftlicher Verantwortung?“

„Das öffentliche Bild der Wissenschaft hat deutliche Kratzer bekommen“, stellt Brockmeier fest. Nicht nur wegen Verstöße und Konkurrenzdruck, sondern auch weil einigen Personen die Aussagen der Wissenschaft nicht genehm seien und sie deshalb längst widerlegt geglaubte Thesen  propagieren. Es gebe eine generelle Experten- und Wissenschafts-Skepsis in der Öffentlichkeit.

Um darauf zu reagieren, müsse die Universität heute mehr denn je nach außen treten und dabei auch Tabu-Themen wie z.B. Tierversuche berücksichtigen, erklärt Brockmeier. Ein solcher moderner Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse fände zwischen gleichberechtigten Partnern aus unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft statt. Und er werfe ein breites Spektrum an Fragen auf, so dass die Beteiligten Probleme auch aus der anderen Sicht kennenlernen.

Damit sich Wissenschaft, NGO, Bürgerinitiativen oder Verbände künftig besser verstehen, betrachtet Brockmeier die Handlungsfelder Anwendung, Beratung und – ganz wichtig – Kommunikation genauer.

Um wissenschaftliche Erkenntnisse zur Anwendung zu bringen, gelte es – zum Beispiel im Bereich der Ernährungssicherung - oft auch darum, Menschen zu überzeugen, die andere kulturell bedingte Vorstellungen haben. Unternehmen seien meist die finanzstarken Partner – hier müsse die Wissenschaft darauf bedacht sein, ihre Autonomie zu wahren. Und schließlich müsse im Dialog mit der Gesellschaft die Dominanz der Wissenschaft gemindert werden.

Die Beratung findet im Anschluss an die wissenschaftliche Leistung statt und trägt zur Entscheidung bei. Brockmeier sieht steigenden Beratungsbedarf durch immer komplexere wirtschaftliche und politische Systeme. Die Anforderungen an die Unabhängigkeit und Objektivität seien dabei sehr hoch, betont sie. Orientierung könnten Regeln guter wissenschaftlicher Beratungspraxis geben.

Intensive Kommunikation ist nötig, um wissenschaftliche Erkenntnisse der Gesellschaft nahe zu bringen. Brockmeier sieht die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst in der Verantwortung, betont aber auch die Notwendigkeit professioneller Unterstützung. Klassische PR mit werbendem Charakter sei im Bereich der Wissenschaft fehl am Platz. Pressestellen müssten daher oftmals strukturell und finanziell umgestaltet werden. Doch der Stellenwert dieser Kommunikation steige auch im Hinblick auf die Förderung wissenschaftlicher Projekte.

Die Wissenschaft müsse erklären, wie sie zu ihren Resultaten gelangt. Ungeklärte Fragen, Grenzen oder Schwächen müsse sie darstellen, Methoden und Daten erläutern. Wichtig sei auch das Verständnis für die Fragilität des Wissens und den Sinn von Kontroversen.

Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit stelle eine Gefahr dar. „Sensationsmache und Heilsversprechen sind keine gute Wissenschaftskommunikation“, erklärt Brockmeier. So dürfe Forschung zum Beispiel keine falschen Hoffnungen bei Patienten wecken. Und sie gibt zu bedenken, dass nicht nur sensationelle Ergebnisse publikationsfähig seien. Selbst negative Ergebnisse seien schließlich wichtige Erkenntnisse.

„Lassen Sie uns daher etwas bescheidener sein und vielleicht auch den Umgang miteinander überprüfen“, appelliert Brockmeier. Zwar gehöre ernsthafte und mit gegenseitigem Respekt geäußerte Kritik zur Wissenschaft, doch „Polemik und Profilierung auf Kosten eines wichtigen Anliegens der Wissenschaft ist ein Beleg dafür, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht fair miteinander umgehen. Sie schaden damit auch ungemein der Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit.“

Festvortrag Brockmeier zum Nachhören (mp3)


Text: Elsner, Ton: C. Schmid


Mehr zum Thema im Online-Kurier

Artikel zum Thema: Dies academicus