Wissenschaftsrat befürwortet Zentrum für Tierwissenschaften

54 Mio. € für Leuchtturm-Forschung in Hohenheim  [27.04.18]

Bild: Uni Hohenheim | Dauphin | Emmerling

Es ist vielleicht der größte Fördererfolg seit Jahrzehnten: Wie der deutsche Wissenschaftsrat heute bekanntgab, soll die Uni Hohenheim ein wissenschaftliches Zentrum von überregionaler Bedeutung erhalten. 54 Mio. € für Bauprojekte und Ausstattung ermöglichen bundesweit einzigartige Forschungsansätze, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Nutztieren und den Abermilliarden Mikroorganismen in ihrem Verdauungstrakt und anderen Organen zu verstehen. Die Grundlagenforschung ist u.a. relevant für Handlungsfelder wie Tierwohl und Tiergesundheit, reduzierter Antibiotikaeinsatz, bessere Ressourcennutzung oder geringere Umweltauswirkungen von Nutztierhaltung.


Das Wichtigste in Kürze:

  • Neue Forschungsbauten an Universitäten werden normalerweise vom Land finanziert. Eine Ausnahme sind ausgewählte Spitzenforschungseinrichtungen von überregionaler Bedeutung (nach Art 91b GG), die durch Bundesmittelmittel co-finanziert werden können. Die Entscheidung darüber fällt der Wissenschaftsrat.
  • Hinter dem erfolgreichen Antrag mit dem Titel Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research (HoLMiR) steht ein Netzwerk von 10 federführenden Forscherinnen und Forscher aus den Bereichen Tierernährung, Mikrobiologie, Genetik, Tierzucht, Verhaltens- und Tierphysiologie sowie Biostatistik und -informatik.
  • Die Uni Hohenheim bereitet sich seit 2012 auf den Antrag vor: mit maßgeschneiderten Professuren und gezielten Investitionen, aber auch die Planungen für die neuen Gebäude wurden gemeinsam mit dem Land vorbereitet.
  • Die Neubauten werden eine Gesamtfläche von rund 3.500 qm besitzen. Sie sollen als Plattform für die Arbeit von 10 Arbeitsgruppen und 3 Nachwuchsforschergruppen mit insgesamt 40 wissenschaftlichen und 20 nicht-wissenschaftlichen Beschäftigten dienen. Voraussichtlicher Baubeginn ist 2020.
  • Im Mittelpunkt der Forschung stehen drei Schwerpunkt: Tierernährung, Tiergesundheit und Genom – die jeweils in ihrer Wechselwirkung mit den Mikroorganismen in Darm und anderen Organen untersucht werden. Hintergrund: Mehr zur den geplanten Forschungsschwerpunkten…

 

Weichenstellender Erfolg für Hohenheim

Freude, Erleichterung, Aufatmen: Auf den heutigen Erfolg haben zahlreiche Hohenheimer Akteure mehrere Jahre intensiv hingearbeitet.

Zugleich markiert er für die Uni das Ende einer längeren Durstrecke: Zwar sehen renommierte Rankings Hohenheim nach wie vor übereinstimmend als Deutschlands Nr. 1 im Bereich Agrarforschung. Doch in den letzten Jahren zehrte Hohenheim zunehmend von zurückliegenden Erfolgen.

Für die Universität stellt der heutige Entscheid des Wissenschaftsrats daher eine wichtige Weiche: Denn nach dem Willen der Politik soll das Geld für große Verbundprojekte in Zukunft an immer weniger ausgewählte Spitzenstandorte gehen, die bereits auf aktuellen Erfolgen aufbauen können und auch eine entsprechende Infrastruktur vorweisen können.

Mit dem Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research (HoLMiR) steigen die Chancen für die Uni Hohenheim nun, sich als Forschungsstandort mittelfristig in der 1. Liga zu behaupten.

Ministerin und Rektor gratulieren

Einen besonderen Dank richtete Rektor Stephan Dabbert heute an das Kernteam aus Tierwissenschaftlern, Mikrobiologen und Biostatistikern, die das HoLMiR-Konzept vorbereitet und ausgearbeitet haben.

Ebenso bedeutsam sei die Unterstützung des Landes gewesen, das das Projekt gemeinsam mit der Universität vorangetrieben habe. „Dank der Projektfinanzierung durch das Wissenschaftsministerium konnten wir wichtige wissenschaftliche Vorarbeiten durchführen“, betont Dabbert.

Wissenschaftsministerin Theresia Bauer gehört zu den ersten Gratulantinnen: „Die Förderung des ‚Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research‘ ist ein großer Erfolg für die Universität Hohenheim und das Land Baden-Württemberg. Die Entscheidung bestätigt die führende Position der Universität in der Nutztierforschung. Mit einem innovativen Forschungskonzept und der Bündelung der Expertise aus unterschiedlichen Fachbereichen konnte sich der Antrag der Universität gegen zahlreiche Anträge aus dem gesamten Bundesgebiet durchsetzen“, so Bauer.

Vorbereitung seit 2012

Auf die Antragstellung bereitet sich die Universität seit 2012 auf vielfältige Weise vor: Unter anderem gelang es für das Forschungsnetzwerk zwei maßgeschneiderte Tenure Track-Professuren einzuwerben (Feed-Gut Microbiota Interaction, Mikrobielle Ökologie bei Nutztieren) und das neue Fachgebiet Bioinformatik mit Ausbaumitteln vom Land zu etablieren.

Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Erfolg war die Bewilligung der DFG-Forschergruppe „P FOWL“ zu Tierernährung und Phosphor (FOR 2601) im Jahr 2017, die mit rund 2 Mio. € von der DFG gefördert wird.

Bundesweit einzigartige Forschungsansätze

Die geplanten Forschungsneubauten des „Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research“ (HoLMiR) fungieren als wissenschaftliche Plattform für neue Forschungsansätze in den Tierwissenschaften, die in dieser Form bundesweit bislang noch nicht möglich sind. Im Zentrum stehen die Wechselwirkungen zwischen Nutztieren und ihrem Mikrobiom, den Abermilliarden Mikroorganismen, die insbesondere den Verdauungstrackt, aber auch andere Organe, besiedeln.

In der Humanmedizin hat das Wissen über die Bedeutung der Mikroorganismen im Darm kontinuierlich zugenommen. Zusammensetzung und Verhalten dieser komplexen Gemeinschaft beeinflussen selbst Psyche und Verhalten. Fehlfunktionen scheinen mitverantwortlich für chronische Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen wie Adipositas und Diabetes.

Noch komplexer und weit weniger erforscht sind die wechselseitigen Beziehungen zwischen Nutztieren und den Mikroorganismen in ihrem Verdauungstrakt. Bei Letzteren handelt es sich um eine so umfassende Lebensgemeinschaft, dass in einem Rind täglich eine Mikrobenmasse im Kilogrammbereich heranwächst.

Ergebnisse liefern Schlüssel für Vielzahl von Problemen in der Tierhaltung

„Wir wissen, dass diese Mikroorganismen einen bedeutenden Einfluss darauf haben, wie sich Tiere verhalten, wie krankheitsanfällig sie sind, ob sie knappe Futterressourcen gut verwerten können und wie weit sie umweltkritische Stoffe ausscheiden. Dazu gehören zum Beispiel klimarelevante Gase, wie das von Rindern produzierte Methan“, erklärt Prof. Dr. Markus Rodehutscord, Sprecher der 10 federführenden Forscherinnen und Forscher am künftigen Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research (HoLMiR).

Intensive Grundlagenforschung über Art, Wirkungsweise, Genetik und mögliche Beeinflussung der Lebensgemeinschaft von Tier und Mikroorganismen soll auch Schlüssel zur Lösung angewandter Probleme liefern. „Langfristig erhoffen wir uns auch neue Präventions- und Therapieansätze, um den Medikamenten-Verbrauch zu senken, Zuchtprogramme für angepasste Rassen, die mit weniger Futter auskommen oder qualitativ hochwertige Lebensmittelproduktion mit geringeren Umweltauswirkungen“, so Prof. Dr. Rodehutscord.

Sein Fazit: „Der Forschungsbau wird es der Universität Hohenheim ermöglichen, ein spannendes interdisziplinäres Forschungsprogramm zu verfolgen, in dem wir eine hohe gesellschaftliche Relevanz sehen.“

Möglicher Baubeginn 2020

Die veranschlagten Kosten für das Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research (HoLMiR) belaufen sich auf rund 47 Mio. Baukosten. Dazu kommen 3 Mio. Euro für Erstausstattung und 4 Mio. Euro für Großgeräte.

Das Modul I des Forschungsbaus wird vor allem Speziallabore mit in vitro- und Gewebetechniken sowie modernste Großgeräte umfassen. Der geplante Standort ist südlich des Biologie-Gebäudes, um Synergien mit vorhandenen Speziallaboren zu nutzen.

Das Modul II des Forschungsbaus wird die Tierexperimentaleinheit. Dort werden einmal bis zu 250 Rinder, Schafe, Schweine und Hühner gehalten und für Versuche am Tier genutzt werden können. Spezielle Haltungsanlagen werden z.B. eine keimfreie Haltung von Geflügel erlauben. Andere werden es ermöglichen, die Zusammensetzung von Atemluft und der von den Tieren gebildeten Stoffwechselgase zu messen. Der Standort ist auf dem Gelände des Meiereihofes, um Synergien mit den dort vorhandenen Einrichtungen zu nutzen.

Die Neubauten werden eine Gesamtfläche von rund 3.500 qm besitzen. Sie sollen als Plattform für die Arbeit von 10 Arbeitsgruppen und 3 Nachwuchsforschergruppen mit insgesamt 40 wissenschaftlichen und 20 nicht-wissenschaftlichen Mitarbeitern dienen.

Mit den ersten Erschließungsarbeiten wird Anfang 2019 begonnen. Voraussichtlicher Baubeginn ist 2020. Die geplante Bauzeit beträgt 2 Jahre. Möglich werden die Bauarbeiten durch den Masterplan 2030, mit dem sich Universität, Land und die Stadt Stuttgart auf Richtlinien zur Bebauung auf dem historischen Campus geeinigt haben.


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