Nachhaltigkeit & KI

Ein Kaffee mit… Rektor Dabbert über seine 3. Amtszeit  [11.07.23]

Stephan Dabbert tritt 3. Amtszeit als Rektor an. Bild: Uni Hohenheim

Die Megatrends Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit sollen an der Uni Hohenheim eine bedeutende Rolle spielen, verrät Rektor Stephan Dabbert. Am 30. Juni war der Rektor von Unirat und Senat zum zweiten Mal wiedergewählt worden. Sein Wunsch für die 3. Amtszeit: Eine Uni-Gemeinschaft, die weiterhin mitdenkt und mitgestaltet.

 

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Herr Dabbert, als die Uni Tübingen vor einigen Monaten ChatGPT im Unialltag verbieten wollte, schrieben Professor:innen in Hohenheim ein Whitepaper, wie sich KI in der Lehre einsetzen lasse.

Das Strategiepapier trägt „Digitale Transformation“ im Titel. Wird Hohenheim zur Nerd-Uni?

Als ChatGPT durch die Medien rauschte, haben sich unsere Professor:innen viele konstruktive Gedanken gemacht. Vergangene Woche verabschiedete der Senat die „Leitlinien zum Umgang mit generativer KI in Prüfungen“. Ich schätze, dass maximal 5% der Unis in Deutschland bei diesem Thema so weit sind wie wir.

Das haben wir nur geschafft, weil wir eine kleine, fast schon verschworene Gemeinschaft sind. Und weil wir sehr viel Sachverstand im Bereich Digitalisierung zusammengeführt haben. Soll ich kurz ausführen?

Strategiepapier der Uni Hohenheim

Einen detaillierten Ausblick über die Pläne des Rektors gibt der sogenannte Struktur- und Entwicklungsplan 2023-2027. An diesem Strategiepapier waren alle Statusgruppen der Uni beteiligt. Der Titel ist Programm: „Bioökonomie und Digitale Transformation: Bausteine für eine nachhaltige und resiliente Zukunft“.

Wir bitten darum!

In den vergangenen Jahren haben wir in allen Fakultäten Professuren mit den Schwerpunkten KI und Digitale Transformation geschaffen, z.B. „Künstliche Intelligenz in der Agrartechnik“ oder Lebensmittelinformatik. Ein weiteres Plus: All diese Fachleute haben sich über alle Disziplinen hinweg im Computational Science Hub zusammengeschlossen und da entsteht etwas wirklich Neues.

Vor ein paar Jahren hätten wohl beim Thema Digitalisierung nur sehr wenige an Hohenheim gedacht. Jetzt haben wir neue Studiengänge wie Digital Business Management. Die Programme AIDAHO für die gesamte Uni und ABBA speziell für Wirtschaftswissenschaften, bieten allen Studierenden Zusatzzertifikate im Bereich Digitalisierung an.

KI beschert uns neue Tools, mit denen wir große Forschungsprojekte konzipieren. Ab Herbst wird es in ausgewählten Bereichen einen Chatbot als Sparringspartner für die Prüfungsvorbereitungen geben.

In den kommenden Jahren wird hier noch viel kommen – und wir werden dabei sein! Gleichzeitig müssen wir alle den verantwortlichen Umgang mit den neuen Technologien lernen und praktizieren.

Ein weiteres Schlagwort aus dem von Ihnen mitgeprägten Strategiepapier ist „Nachhaltigkeit“. Gerade Studierende wünschen sich da noch viel mehr Engagement ihrer Uni. Was haben Sie vor?

Bislang haben wir Nachhaltigkeit vorwiegend als Teil der Bioökonomie gedacht, unserem Forschungsschwerpunkt für eine nachhaltige Wirtschaftsweise, in der fossile Rohstoffe durch biogene Rohstoffe und Verfahren ersetzt werden. Tatsächlich stand Nachhaltigkeit bereits Pate bei unserer Universitätsgründung und ist Teil der Hohenheimer DNA geworden.

Viele Studierende wünschen sich, dass sich Nachhaltigkeit wie ein grüner Faden durch das gesamte Lehrangebot ziehen soll. In einigen Studiengängen ist das auch schon der Fall. Ich könnte mir vorstellen, dass wir studiengangsübergreifend ein freiwilliges Zusatzangebot entwickeln, wie wir das mit den Digital-Zertifikaten gemacht haben.

Dabei sollten die Studierenden unbedingt mitwirken. Das habe ich z.B. im jüngsten Hohenheim live vorgeschlagen.

Die Studierenden wünschen sich auch mehr Mitsprache zum Thema Nachhaltigkeit im Unialltag. Z.B. durch ein Green Office, das Aktivitäten aus Forschung, Lehre und Alltag bündelt.

Auch im Uni-Alltag machen wir schon einiges mehr, als auf den ersten Blick sichtbar wird. Dass wir vergangene Woche die ICA-Biodiversitäts-Challenge als artenreichster Campus Europas gewonnen haben, liegt auch daran, dass Wissenschaftler:innen gemeinsam mit den Praktikern der Hohenheimer Gärten schon vor Jahren für Teile der Anlage ein neues Mäh-Konzept entwickelt haben, das Rückzugsräume für Insekten und andere Artengruppen schafft.

Generell ist die Realisierung von mehr Nachhaltigkeit auf dem Campus ein ganz dickes Brett, weil uns die Gebäude nicht gehören, wir selbst nicht bauen dürfen und wir von einem Genehmigungslabyrinth durch Stadt, Land und mehreren Ministerien abhängig sind. Das gilt ganz besonders für die Frustrationsthemen wie energetische Sanierung – von der wir massiv profitieren würden – bis zum Ausbau von Photovoltaik-Anlagen – von denen wir uns weit mehr wünschen.

Aktuell engagieren wir uns dafür – ich möchte beinah sagen: wir kämpfen darum – eine Agri-PV-Anlage zu installieren, die Photovoltaik mit Landwirtschaft auf der Versuchsstation Agrarwissenschaften kombiniert. Die Anlage soll uns mit Strom versorgen und gleichzeitig wollen wir die Auswirkungen auf Produktion und Ökosystem erforschen. Die Finanzierung steht, die Fläche ist da, die Fragestellung ist topaktuell … und der Baubürgermeister hat uns nach vielen Anfragen wissen lassen, dass er uns zu einem Gespräch einladen will. Er gibt uns bislang nur keinen Termin.

Zur Person

Stephan Dabbert studierte Agrarwissenschaft und Agrarökonomie an der Universität Kiel und der Pennsylvania State University. Promotion (1990) und Habilitation (1993) erfolgten an der Uni Hohenheim.

Von 1992 bis 1994 leitete er das Institut für Sozioökonomie am Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung (ZALF) in Müncheberg. Danach übernahm er die Leitung des Fachgebiets „Produktionstheorie und Ressourcenökonomik im Agrarbereich“.

Seit 1.4.2012 führt der 65-jährige Agrarökonom die Uni Hohenheim als Rektor. Im bundesweiten Ranking des deutschen Hochschulverbandes (DHV) wurde er acht Mal zum beliebtesten Rektor in Baden-Württemberg gewählt. Im Jahr 2016 erhielt er sogar den bundesweiten Titel als „Rektor des Jahres“.

Hören wir da eine gewisse Resignation?

Wir werden auch das schaffen. Die Genehmigungsbürokratie bewegt sich oft im Schneckentempo – wir versuchen, ihr Beine zu machen.

Tatsächlich behaupte ich, dass wir viele Widerstände überwunden haben und aus vielen Krisen gestärkt herausgegangen sind, weil die überwiegende Mehrheit in der Universität an einem Strang gezogen hat. Und manchmal bin ich selbst erstaunt, wie gut wir das geschafft haben.

An was denken Sie?


Nehmen wir Corona. Prägend war die Mehrheit, die sich in dieser schwierigen Zeit vernunftgeleitet verhalten hat und sich auf unsere Empfehlungen zum Maskentragen oder Impfen eingelassen hat.

Ja, diese Krise hat uns gefordert und die Folgen werden uns noch lange beschäftigen. Aber sie hat uns auch neue und kreative Ansätze in der Lehre gegeben, eine Aufgeschlossenheit über die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung, es wird eine neue Dienstvereinbarung zum mobilen Arbeiten geben – unterm Strich hat die Universität in der Folge an Attraktivität für Studierende und Mitarbeiter:innen gewonnen.

Diesen zupackenden Zusammenhalt habe ich auch angesichts schrecklicher Ereignisse erlebt wie beim Kriegsausbruch nach dem Überfall auf die Ukraine, dem Erdbeben in der Türkei oder den Menschenrechtsverletzungen an Universitäten im Iran.

Damals gab es Solidaritätsbekundungen von der Universität

…und Studierende und Beschäftigte der Universität organisierten praktische Hilfe für Menschen in Not. Verfolgte Wissenschaftler:innen haben ein Refugium oder neue Heimat in Hohenheim gefunden. In Politik und Medien war die Hohenheimer Expertise bei der Folgenabschätzung gefragt.

Aktuell kämpfen wir mit den stark gestiegenen Kosten für Energie und der allgemeinen Inflation. Das Land hat uns direkt verpflichtet, 20% Energie einzusparen und obendrauf mussten wir ein Sparprogramm fahren, damit wir das Budget im Griff behalten.

Auch hier hat die Universität zusammengehalten und viele haben geschaut, wo wir den Verbrauch senken können. In vielen Büros war es kalt, am Tag der Lehre haben wir die Preisverleihung mit Sektempfang im Mantel verbracht. Aber wir haben es geschafft und so viel Energie eingespart, dass wir das Sparprogramm vor einem Monat wieder etwas lockern konnten.

Die Vorgaben haben aber auch zu Konflikten geführt


Nicht falsch verstehen: Ich will keine Probleme schönreden. Wir dürfen unsere Kraft nicht überdehnen. Aber dieser Hohenheim Spirit und unsere Expertise haben uns sehr weit gebracht und können uns noch weiter bringen.

In diesem Geist entstand auch der aktuelle Struktur- und Entwicklungsplan als Strategiepapier für die kommenden fünf Jahre. Fast zwei Jahre lang haben wir in offenen Gesprächsrunden, in Hohenheim live-Veranstaltungen und in Gremien mit allen Statusgruppen das Papier entwickelt.

Der Titel „Bioökonomie und Digitale Transformation: Bausteine für eine nachhaltige und resiliente Zukunft“ zeigt: wir haben viele Antworten auf aktuelle Herausforderungen wie Klimawandel, Biodiversität, nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise. Die Universität sucht und findet Antworten auf die Herausforderungen der Zeit.

Hausaufgabe in meiner dritten Amtszeit wird sein, diesen Plan gemeinsam mit der Universitätsgemeinschaft mit Leben zu füllen.

Bei allem Idealismus: Die Universität Hohenheim steht bei allem, was sie tut, im Wettbewerb mit sehr erfolgreichen, teils exzellenten Universitäten und damit unter hohem Druck. Wie wollen Sie dem begegnen?

In der Forschung haben wir einiges in der Pipeline, das wir über Jahre aufgebaut haben.

Aktuell haben Bund und Länder gerade eine neue Runde der sogenannten Exzellenzstrategie gestartet, in der sich Universitäten für eine sehr gute Förderung mit viel Renommee bewerben können. Wir sind mit Antragsskizzen für Exzellenzcluster dabei. Ebenfalls in Vorbereitung ist ein Antrag für einen Transregio zusammen mit der TU München.

Wir halten die Daumen! Aber in der Exzellenzstrategie gibt es drei Mal so viele Anträge, wie später bewilligt werden sollen. Gibt es einen Plan B?

All diese Anträge sind inhaltlich sehr gut und tief in der Hohenheimer Community verankert. Selbst wenn wir im konkreten Fall nicht zum Zug kommen sollten, werden unsere Wissenschaftler:innen diese ureigenen Hohenheimer Themen weiter verfolgen, bis sich der Erfolg einstellt.

Diese Entwicklung braucht weitere Unterstützung: indem wir das Qualitätsmanagement für die Forschung ausbauen oder das Erfolgsrezept des Computational Science Hub auch auf andere Bereiche übertragen.

Wir suchen auch nach Wegen, Wissenschaftler:innen beim Aufbau herausragender Forschungsprojekte und Kooperationen zu unterstützen. Zum Beispiel durch reduzierte Lehrdeputate, Anschubfinanzierungen oder Ähnliches.

Auch die Infrastruktur wie das Datenlabor Hohenheim oder die Core Facility mit den Großgeräten soll gestärkt und ausgebaut werden.

Vor allem wollen wir in den wissenschaftlichen Nachwuchs investieren. Dazu gehört, dass wir die strukturierten Promotionsprogramme ausbauen und die wissenschaftliche Eigenständigkeit von Postdocs fördern wollen. Eine weitere Idee sind Auslandsaufenthalte für PostDocs, wenn sie dadurch in die Lage versetzt werden, erfolgreiche Nachwuchsgruppen einzuwerben.

Wie sieht es beim Studienangebot aus? Auch hier verschärft sich der Wettbewerb der Hochschulen um Studierende.

Ganz wichtig ist: wir müssen die Rahmenbedingungen für eine zeitgemäße, moderne Lehre schaffen und uns in dieser Hinsicht weiter kontinuierlich verbessern. Dazu gehören Lernrückzugsräume für Studierende, eine Umstrukturierung des Stundenplans und vor allem müssen wir die hohe Prüfungslast reduzieren.

Dazu hat die Prorektorin für Lehre einen eigenen Prozess gestartet, das Strategieprojekt Lehre 2030. Dass Studierende sich dort einbringen, ist ausdrücklich erwünscht.

Außerdem müssen wir uns ständig die Frage stellen, ob wir noch die richtigen Studiengänge anbieten und uns nicht scheuen, neue Studiengänge anzubieten und überkommene zu schließen. Ein weiterer Baustein sind englischsprachige Studiengänge im Bachelor.

Innerhalb der Universität wollen wir den Stellenwert der Lehre weiter erhöhen. Wer gute Lehre bietet, soll auch belohnt werden – z.B. durch Lehrpreise. Ein Bereich, der auch noch unterentwickelt ist, ist Weiterbildung. Hier müssen wir aktiver werden.

Sie sprachen vorhin von Sparprogrammen, Sanierungsstau bei Gebäuden… Braucht die Universität angesichts aller Pläne nicht einfach auch ganz platt mehr Geld?

Ja. Mein Ziel ist, mehrgleisig zu fahren. Wir müssen Drittmittel gezielt und nicht nur für die Forschung einwerben, sondern auch für Lehre und Infrastruktur. Ein weiteres Ziel sind Stiftungsmittel und der Ausbau des Stiftungswesens an der Universität.

Aber auch der Landesregierung gegenüber werde ich unsere Bedürfnisse offensiv und konstruktiv vertreten. Das kann mal leise und diplomatisch sein, wir haben uns aber auch schon mit lauten Aktionen in die politische Diskussion eingebracht.

Es ist aber nicht nur der Mangel an Geld, der uns bremst: Genauso fesselnd ist die Regelungswut und die Überforderung der Behörden. Viele wichtige Dinge verschleppen sich, weil dort keine Entscheidungen getroffen werden. Einen Großteil meiner Zeit verbringe ich deshalb in Gesprächen, um etwas voranzubringen.

Und wenn Sie für Ihre 3. Amtszeit noch einen Wunsch hätten?

Mein Wunsch richtet sich an alle Universitätsangehörige: Machen Sie mit. Sehen Sie Ihre Zeit an der Universität als etwas an, das wir gemeinsam gestalten können.

Helfen Sie uns, das Studium im Projekt Lehre 2030 zu verbessern. Stellen Sie die Weichen für die Entwicklung der Universität in den Gremien mit. Äußern Sie Ihre Ideen, wie uns ein Green Office zu mehr Nachhaltigkeit auf dem Campus und in der Lehre verhilft.

Die Universität war immer am stärksten, wenn sie mit einem Ziel zusammen hält.

Danke für das Gespräch!

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