Neue Profs: Sebastian Hess

Er forscht, damit Agrarmärkte besser funktionieren  [12.03.20]

Prof. Dr. Sebastian Hess | Foto: Uni Hohenheim / Corinna Schmid

Märkte, die uns auf nachhaltige und gerechte Weise mit gesunden Nahrungsmitteln und Rohstoffen versorgen – das ist das Bild, das die Arbeit von Prof. Dr. Sebastian Hess prägt. Seit 1. Oktober letzten Jahres leitet er das Fachgebiet Agrarmärkte an der Universität Hohenheim.


Eigentlich spiegeln Märkte in erster Linie die wirtschaftlichen Vorteile, denen Anbieter und Nachfrager folgen. Prof. Hess möchte Marktkräfte aber auch im Hinblick auf gesellschaftliche Herausforderungen möglichst sinnvoll nutzen: Fragen wie Ernährung, Tierwohl, Biodiversität und den Schutz natürlicher Ressourcenspielen bei dem Landwirt aus Leidenschaft eine zentrale Rolle.

_
Herr Hess, von der früheren Fachgebietsbezeichnung „Agrarmärkte und Agrarmarketing“ sind jetzt nur noch die „Agrarmärkte“ übrig. Was ist bei Ihnen anders als bei Ihrem Vorgänger Tilman Becker?

Marketing ist eine einzelbetriebliche Herangehensweise, bei der es darum geht, wie man ein Produkt im Markt platziert oder eine bestimmte Vermarktungsstrategie entwickelt. Mir geht es eher um die grundsätzliche Funktionsweise von Agrarmärkten, also das klassische agrarwissenschaftliche Fach „Marktlehre“.

Agrarmärkte sind sehr spezielle Märkte: Sie berühren unser aller Essen, Energie und Rohstoffe, und sie bestimmen, wie Menschen mit natürlichen Ressourcen, Artenvielfalt und den Nutztieren umgehen. Agrarmärkte bedeuten auch Einkommen für Millionen Familienbetriebe und Landarbeiter.

Die Preise für Nahrungsmittel und ihre Qualität sind weltweit wichtig. Zum einen gibt es den Markt als Mechanismus menschlicher Zusammenarbeit. Aber Agrarmärkte sind auch sehr emotional und politisch – in kaum einen Sektor greift die Politik so stark ein, wenn es um Preise, Standards und Qualität geht. Mich interessieren dabei sowohl die Menschen und ihre Verhaltensweisen, als auch die Rolle von neuen Technologien.

Sie meinen den Einfluss der Digitalisierung?

Ja. Früher – oder in manchen Ländern auch heute noch – sind die Bauern einfach in die nächste Stadt gefahren, um ihre Waren zu verkaufen. Erst dort haben sie erfahren, wie der Preis gerade steht. Man wusste nicht, ob die Preise in einem anderen Ort vielleicht besser sind, die Informationsbeschaffung war quasi genauso aufwendig, wie der Transport der Waren selbst.

Heute gibt es die Preisinformationen digital, die Informationsbeschaffungskosten sinken also. Dafür entstehen neue Märkte zur Informationsbereitstellung. Aber auch die Berichterstattung über Landwirtschaft und Ernährung in den Medien ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Markt.

Alle neuen Profs...


..
.auch auf Instagram! 


Ein anderes Beispiel: Am Markt wird nicht wirklich belohnt, wenn man als Landwirt die Biodiversität oder die Nachhaltigkeit fördert. Digitale Erfassung könnte das kommunizierbar machen, so dass die Verbraucher davon erfahren – und das zu niedrigeren Kosten als bisher. Denn das Lebensmittelkontrollwesen ist bislang auch bei uns noch analog. Technische Lösungen könnten hier Abhilfe schaffen. Durch Kameras oder Messsensoren könnte man Nährstoff-Bilanzen oder CO2-Fußabdrücke automatisch berechnen lassen.

Aber die Konsumenten interessiert die reine Dokumentation kaum, sie ist nur für die Behörden wichtig. Es geht vielmehr darum, Informationsbarrieren zu überwinden und Neugierde zu wecken.

Wäre das nicht der gläserne Landwirt?

An dieser Angst scheitert das in der Tat momentan noch. Ich denke, ein gläserner Betrieb könnte im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Zusatzleistungen der Landwirtschaft viele neue Marktfelder erschließen. Aber der Landwirt muss in der Lage bleiben, selbst zu entscheiden, welche Informationen er weitergibt. Er muss die Datensouveränität behalten.

Menschen sind eine sehr wichtige Komponente bei Märkten. Agrarmärkte sind im Prinzip das Scharnier zwischen Produktion, Technik und dem Faktor Mensch. Es geht in meinem Fach also nicht nur um die monetäre Seite. Das ist es, weshalb ich Agrarmärkte so spannend finde.

Gibt es eine große, zentrale Frage, die Sie bei Ihrer Forschung antreibt?

Ganz allgemein die Menschen im ländlichen Raum. Das große Ziel ist es doch, die Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln nachhaltig und gerecht zu gestalten, aber davon sind die Märkte der Gegenwart häufig weit entfernt. Um Marktkräfte bestmöglich zu nutzen, müssen sie sinnvoll umgelenkt werden. Genau das versuche ich in meiner Forschung.

Gäbe es ein bestimmtes Projekt, das Sie in Angriff nehmen würden, wenn Sie über unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten verfügen würden?

Schwer zu sagen – etwas, das vielen Menschen hilft, weniger um ihr tägliches Brot kämpfen zu müssen, ohne dass dabei die natürlichen Ressourcen in Mitleidenschaft gezogen werden. Im Zusammenhang mit regionalen und globalen Agrarmärkten gibt es viele Probleme, die man bedauern kann. Voreilige Markteingriffe seitens der Politik richten dabei meist noch zusätzlichen Schaden an.

Freies Assoziieren



Wer Märkte sinnvoll verbessern möchte, muss es vielmehr schaffen, die Anreize zu ändern, denen Millionen Menschen mit vielen kleinen Verhaltensweisen tagtäglich folgen. Dazu sind viele kleine Schritte zielführender als große, moralische Appelle. Wir wissen noch viel zu wenig darüber, welches Kaufverhalten und welche Produkte wirklich nachhaltig sind. Sollte man z.B. immer nur lokale Produkte kaufen? Viele Menschen scheinen das zu glauben.

Märkte können uns jedoch helfen, Produkte immer von dort zu beziehen, wo sie insgesamt den größten Nutzen stiften. Obst oder Gemüse aus klimatischen Gunstregionen kann beispielswiese mehrfach um die Welt gefahren werden, bevor es den Klimafußabdruck aus einer heimischen Gewächshausproduktion mit fossiler Heizung erreicht. Aber dazu bräuchten wir viel mehr und viel bessere Informationen als bisher.

Was sind denn konkret die Forschungsthemen, mit denen Sie sich im Augenblick beschäftigen?

Im Bundesland Niedersachsen arbeiten wir an einem Prognosemodell für Milchmengen. Dazu verwenden wir einen Big-Data-Ansatz mit Herden- und Wetterdaten. Aus den Wetterdaten leiten wir die Qualität des Grünfutters im Frühjahr ab, und daraus wiederum die Milchleistung im Winter. Mit Algorithmen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz entwickeln wir Simulationsmodelle für die Vergangenheit, und daraus können wir für Landwirte und andere Marktteilnehmer abschätzen, ob künftig Über- oder Unterversorgung zu erwarten ist.

Dann ist der Milchmarkt also eines Ihrer Spezialthemen?

Ja. Zusammen mit dem Max-Rubner-Institut untersuchen wir auch ökonomische, technische und bakteriologische Aspekte bei Milchtankstellen. Ziel ist eine deutschlandweite Erhebung, welche Standorte für Milchtankstellen besonders sinnvoll sind. Ein weiteres Forschungsfeld sind Genossenschaften…

…die für den Agrarsektor ja recht typisch sind…

… so ist es. Agrarmärkte und insbesondere der Milchsektor sind durch genossenschaftliche Lieferbeziehungen geprägt: Das heißt, ich verkaufe meine Produkte nicht an irgendeinen Verarbeiter, sondern an eine Firma, die mir selbst anteilig gehört. Außerdem gibt es heute auch Hybridgenossenschaften wie z.B. die Molkerei Arla. Sie haben die Organisationsform der Genossenschaften weiterentwickelt und sind zu Firmen geworden, die weltweit in Agrarmärkten eine große Rolle spielen. Unklar ist aber momentan, wie sie sich künftig aufstellen und wie sie die genossenschaftlichen Werte gestalten. Für Landwirte macht es einen Unterschied, ob sie Mitglieder  oder nur Lieferanten sind.

Noch eine letzte Frage zur Forschung: Bisher war ja dem Fachgebiet die Forschungsstelle Glücksspiel angesiedelt. Bleibt Ihnen die erhalten?

Nein, sie ist an die Fakultät W übergegangen und wird weiterhin von Tilman Becker geleitet. Ich freue mich sehr, dass sie auf diese Weise weitergeführt wird.

Kommen wir nun zu den Studierenden. Können sie sich an Ihren Forschungsprojekten beteiligen?


Selbstverständlich. Wir machen viele Befragungen zur Ermittlung von Marktpotenzialen, oder auch Preiserhebungen. Mitwirken kann man über Abschlussarbeiten oder Hiwi-Jobs. Hiwis suchen wir übrigens immer, das ist auch eine tolle Möglichkeit, den Wissenschaftsbetrieb kennenzulernen.

Was ist für Sie gute Lehre?

Viel mit den Studierenden diskutieren – es ist wichtig, dass man im Studium das Argumentieren lernt. Wir bearbeiten dazu aktuelle Fragen, erarbeiten in Gruppenarbeit Einschätzungen und legen Wert auf den Anwendungsbezug ökonomischer Theorien. Um Märkte zu verstehen, muss man die Menschen und das soziale Gefüge im ländlichen Raum verstehen. Dafür braucht es Beispiele. Die Studierenden berichten dann auch aus ihren eigenen Erfahrungen.

Fachgebiet Agrarmärkte

Seit 1.10.2019 leitet Prof. Dr. Sebastian Hess das Fachgebiet Agrarmärkte. Die Bezeichnung änderte sich von „Agrarmärkte und Agrarmarketing“, nachdem der frühere Leiter Prof. Dr. Tilman Becker in den Ruhestand trat. mehr


Mir geht es auch darum, Neugierde zu wecken, anhand ökonomischer Modellvorstellungen analytisches Denken zu lehren, mögliche Widersprüche aufzulösen, die Argumente von Lobbyisten zu hinterfragen. Wichtig ist die Fähigkeit zum eigenständigen Denken, um sich eine eigene fundierte Meinung zu bilden. Auch schriftliche analytische Beiträge muss man natürlich erstellen können. Das alles ist wichtig für zukünftige Führungskräfte, die ich ausbilden möchte.

Wo arbeiten Ihre Absolventen denn später?

Sie haben nach ihrem Studium fundierte Sektorkenntnisse. Damit können sie z.B. bei Firmen, Interessenverbänden, NGOs oder in der staatlichen Verwaltung arbeiten. Ebenso natürlich in der Wissenschaft und Forschung. Viele gehen auch in die praktische Landwirtschaft – sie sind dann oft in Verbänden und Genossenschaften ehrenamtlich aktiv und können dort ihre Kenntnisse einsetzen.

Haben Sie einen guten Rat, den Sie den Studierenden mit auf den Weg geben möchten?

Folgen Sie Ihrer eigenen Neigung und Ihrer Intuition, doch haben Sie den nächsten Lebensabschnitt immer auch mit im Blick. Beruflicher Erfolg kommt nicht nur durch formale Leistungen im Studium zustande, sondern auch durch Netzwerke und einen überzeugenden persönlichen Gesamteindruck. Kurzum: Strategisch planen, Einsatz zeigen, man selbst sein und flexibel bleiben.

Wie war denn Ihr Weg bis Hohenheim?

Ich bin in der Rhön auf dem Land aufgewachsen, habe eine landwirtschaftliche Lehre und dann Zivildienst auf einem Hof mit geistig behinderten Menschen gemacht. In der Praxis habe ich erstmals gesehen, wie wichtig ökonomische Fragen sind. Ursprünglich wollte ich in die Tierzucht, aber es gab auch Professoren, die mich für die Ökonomie geprägt haben.

In Göttingen habe ich Agrarwissenschaften studiert und dort auch promoviert. Zum Postdoc ging ich nach Schweden, habe dort habilitiert. Eigentlich wollte ich dort bleiben, doch in Kiel wurde mir ein direkter Bezug zu Akteuren außerhalb der Uni geboten, den es in Schweden nicht gab. Deshalb ging ich dann dorthin, bevor ich nach Hohenheim kam.

Da waren Sie ja viel im hohen Norden. Wie gefällt es Ihnen jetzt hier im Schwabenland?


Der Einstieg war ganz toll und hat meine Erwartungen noch übertroffen. Man ist hier sehr schnell in Kontakt mit Kollegen, und mir gefällt sehr, dass es offenbar viel Interesse an Zusammenarbeit gibt.

Bleibt Ihnen da denn noch etwas Freizeit?

Ja, wir haben einen kleinen Hobby-Bauernhof in der Rhön, wo meine Familie und ich uns auch oft aufhalten. Landwirtschaft ist also auch meine Freizeitbeschäftigung. Ich bin allgemein gerne draußen in der Natur. Früher ging ich Segelfliegen, aber dazu fehlt mir jetzt tatsächlich die Zeit. Allerdings bahnt sich gerade ein neues Hobby an: Die Rhön ist seit kurzem „Sternenpark“ – das finde ich hochinteressant.

Da wünschen wir Ihnen klare Nächte und danken für das Gespräch, Herr Hess!


Interview: Elsner

Mehr zum Thema im Online-Kurier

Artikel zum Thema: Neue Profs | Neue Professoren | Fakultät A | Fak_A | Fak A