Ein Kaffee mit… Uni-Rektor-Stephan Dabbert

Wohin steuert Hohenheim?  [02.06.19]

Uni-Rektor Stephan Dabbert präsentiert die Strategie-Broschüre. Bild: Uni Hohenheim | Leonhardmair

Wo will die Uni Hohenheim in 5 Jahren sein – und wo steht sie heute? Was macht den „Hohenheimer Spirit“ aus? Das ist das Thema einer neuen Broschüre mit dem Titel „Strategie 2018-2022 – Bioökonomie und Digitale Transformation“. Der Online-Kurier hat sich mit Uni-Rektor Stephan Dabbert bei einer Tasse Kaffee über die Zukunftspläne der Uni unterhalten.


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Dabbert: Riechen Sie das?

Hält sich geöffnete Broschüre unter die Nase.


Druckfrisch, aber es riecht nicht nach Chemie, sondern duftet ganz leicht nach getrocknetem Gras. Bei der Herstellung des Papiers wurde knapp die Hälfte der Holzzellulose durch Wiesenpflanzen ersetzt, die z.B. auf Extensivflächen der Landwirtschaft anfallen und nicht als Tierfutter genutzt werden können. Für die Verarbeitung ist erheblich weniger Wasser und Energie notwendig. Ein Beispiel für angewandte Bioökonomie.

Verstehe, das Medium ist also schon ein Teil der Message. Es ist das erste Mal, dass die Uni eine solche Broschüre herausgibt. Was hat es damit auf sich?

Wir sind ja gesetzlich dazu verpflichtet, alle 5 Jahre ein umfassendes Strategiepapier zu erstellen, den sogenannten Strategie- und Entwicklungsplan (SEP). Der ist allerdings sehr lang, und teilweise auch sprachlich etwas schwere Kost.

Die Themen darin liegen mir jedoch sehr am Herzen. Denn es geht um nichts weniger als die Zukunft der Universität – und sie betreffen alle Bereiche. Daher war unsere Idee, eine lesefreundliche Kurz-Version zu erstellen, mit der man sich einen schnellen Überblick verschaffen kann und vielleicht Lust bekommt, das eine oder andere Thema noch im SEP zu vertiefen. Auch für eine Website wurden die Inhalte aufbereitet.

„Bioökonomie“ hat sich die Uni ja bereits vor 5 Jahren im SEP als großes fakultätsübergreifendes Forschungsthema auf die Fahne geschrieben. Nun wird der Titel um einen zweiten Begriff ergänzt: „Digitale Transformation“.

Ist ein solcher Schwerpunkt für eine Uni ohne Informatik-Fakultät nicht ein klein wenig hochgegriffen?

Das sehe ich anders. Die digitale Transformation durchdringt unseren Alltag – und sie verändert natürlich auch massiv die Bereiche, die wir in Hohenheim erforschen: Man denke z.B. an künstliche Intelligenz in der Agrartechnik, die Transformation der Finanzbranche durch Big Data oder die wachsende Bedeutung von Social Media für die Politik.

Hohenheimer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen diese Veränderungen und ihre Auswirkungen seit Jahren immer intensiver. Gleichzeitig ermöglicht die Digitalisierung völlig neue Forschungsansätze, beispielsweise die Voraussage von Dürren auf Grundlage umfangreicher Daten, darunter solchen, die beim Betrieb moderner Landmaschinen generiert werden und die z.B. Rückschlüsse über die Feuchtigkeit der Böden zulassen.

Die digitale Transformation ist also kein zusätzlicher Forschungsschwerpunkt, sondern ein Querschnittsthema, das schon heute alle bestehenden Schwerpunkte miteinander verbindet – und in Zukunft noch weiter an Relevanz gewinnen wird.

Wie genau soll diese Entwicklung an der Uni in den nächsten Jahren vorangetrieben werden?

Eine wichtige Stellschraube ist die Neuausrichtung freiwerdender Professuren bzw. die Einrichtung neuer Professuren mit einschlägigen Schwerpunkten. Geplant bzw. bereits besetzt sind die neuen Fachgebiete Wirtschaftsinformatik im Agribusiness, Bioinformatik, Lebensmittelinformatik, Wirtschaftsmathematik und Datenwissenschaft sowie Künstliche Intelligenz in der Agrartechnik.

Auch die fakultätsübergreifende Vernetzung ist wichtig: Denn obwohl Hohenheimer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr unterschiedliche Themen erforschen, wenden sie zum Teil ganz ähnliche Methoden an, z.B. wenn es darum geht riesige Datenmengen auszuwerten oder komplexe System zu modellieren. Bis 2021 wird auf dem neu erworbenen Campus-Gelände in der Steckfeldstraße 2/4 das Computational Science Lab als zentraler Ort für diesen Austausch entstehen.

Außerdem wollen wir die Idee für einen neuen Master „Digitale Transformation“ verwirklichen, der sich ebenso wie der Bioökonomie-Master an Absolventinnen und Absolventen aller Hohenheimer Bachelor-Studiengänge richtet und von den drei Fakultäten gemeinsam angeboten wird.

Mit Blick auf die kommenden Jahre nennt Broschüre vier große Ziele. Ziel Nr. 1 lautet: „Das Hohenheimer Profil schärfen“. Können Sie das kurz erklären?


Hohenheim positioniert sich in drei gesellschaftlich besonders relevanten Forschungsschwerpunkten: Bioökonomie, Globale Ernährungssicherung und Ökosysteme sowie Gesundheitswissenschaften.

Verglichen mit großen Unis wie Stuttgart oder Heidelberg ist die Uni Hohenheim also eine Spezialistin. Wir decken zwar deutlich weniger Forschungsfelder ab, sind in diesen Nischen allerdings außerordentlich erfolgreich. Regelmäßige Spitzenpositionierungen in Rankings der Agrar-, Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften untermauern dies.

Zum Erfolg trägt bei, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Hohenheim eng zusammenarbeiten, auch über Fach- und Fakultätsgrenzen hinweg, was durch unseren schönen, überschaubaren Campus mit kurzen Wegen und dem identitätsstiftenden Schloss begünstigt wird.

Um im Wettbewerb mit anderen Unis auch in Zukunft erfolgreich bestehen zu können, wollen wir uns noch mehr auf unsere Alleinstellungsmerkmale konzentrieren. Wir wollen z.B. erreichen, dass der Name Hohenheim nicht nur deutschlandweit, sondern auch international mit dem Thema Bioökonomie verbunden wird.

Betrifft das alles nur die Forschung?


Nein. Den geplanten Studiengang „Digitale Transformation“ habe ich ja bereits angesprochen. Auch darüber hinaus wollen wir weitere deutschlandweit einzigartige Studiengänge schaffen, in denen Hohenheimer Profil-Themen gelehrt werden. Vorbild ist der Bioökonomie-Master, der ja auch international sehr gefragt ist.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal für Hohenheim ist das preisgekrönte Reformprojekt „Humboldt reloaded“, das die humboldtsche Idee der Einheit von Forschung und Lehre in besonderer, moderner Weise umsetzt. Auch künftig wollen wir alles daransetzen, diesen Ansatz als Hohenheimer Markenzeichen zu pflegen und zu etablieren.

Außerdem nimmt sich die Uni vor, Strukturen weiterzuentwickeln…

Wenn wir unsere Forschung stärken wollen, müssen wir dafür natürlich auch die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Das neue Computational Science Lab habe ich ja bereits erwähnt.

2018 konnten wir aber auch den größten Fördererfolg seit Jahrzehnten vermelden: Die Uni erhält gut 50 Mio. € für eine neue Spitzenforschungseinrichtung mit dem Titel Hohenheim Center for Livestock Microbiom Research (HoLMiR). Neubauten mit einer Gesamtfläche von 3.500 m² entstehen hinter dem Biogebäude und am Meiereihof. Erforscht werden dort komplexen Wechselwirkungen zwischen Nutztieren und den Abermilliarden Mikroorganismen in ihrem Verdauungstrakt und anderen Organen. Geplanter Baubeginn ist 2020.

Wir möchten gerne daran anknüpfen und noch weitere profilbildende oder unterstützende Infrastruktureinrichtungen einwerben oder aufbauen. Dazu ist es z.B. notwendig, große Forschungsverbünde mit starken universitären und außeruniversitären Partnern voranzutreiben.

Im Bereich der Lehre ist gerade eine umfassende Reform des Qualitätsmanagements im Gang. Bisher wurde jeder Studiengang in regelmäßigen Abständen einzeln durch externe Agenturen begutachtet. Mit der Einführung der Systemakkreditierung nehmen wir das Qualitätsmanagement nun selbst in die Hand. Statt punktuelle Verbesserungen zu erzielen wollen wir den Studienstandort Hohenheim dabei als Ganzes betrachten und die Studiengänge noch systematischer und kontinuierlicher weiterentwickeln.

Ziel Nr. 3 lautet: „Attraktivität für innovativste Köpfe steigern“…


Wir wollen es schaffen, hervorragende junge und innovativen Köpfe aus aller Welt anzuziehen und auch eigene Talente noch systematischer fördern.

Dazu werden wir auf ganz unterschiedlichen Ebenen ansetzen: u.a. die Personalentwicklung im wissenschaftlichen Bereich ausweiten, das Promotionswesen mit Hilfe der Graduiertenakademie weiterentwickeln, Auswahlprozesse optimieren, um die besten Köpfe auf allen Qualifikationsebenen zu identifizieren, das Studium und die Lehre weiter internationalisieren und gezieltes Studierendenmarketing betreiben, um die besten Studierenden für Hohenheim zu rekrutieren.

Was das Thema Spitzenforschung betrifft, musste Hohenheim zuletzt eine herbe Enttäuschung hinnehmen. Bei der Verteilung der Forschungsmilliarden im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes ging der Cluster-Antrag der Uni Hohenheim leer aus.

Trotzdem liest sich Ziel Nr. 4, als wollte Hohenheim den Anspruch nicht aufgeben, in der ersten Hochschulliga mitzuspielen…


So ist es. Unser Ziel ist es, bei der nächsten Ausschreibungsrunde der Exzellenzstrategie sogar an zwei Cluster-Anträgen beteiligt zu sein.

In den vergangenen Jahren hat die Uni Forschungsbereiche mit großem Potenzial besonders gestärkt, durch gezielte Berufungspolitik, Strukturmaßnahmen und neue Anreizsysteme. Diesen Weg wollen wir weiter beschreiten.

Dass Hohenheimer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durchaus in der Lage sind, in hochkompetitiven Wettbewerben erfolgreich zu sein, belegt der 50 Mio. €-Fördererfolg für das Projekt HoLMiR in den Tierwissenschaften.

Weitere große Forschungserfolge waren die Verlängerung der DFG-Forschergruppe „Regionaler Klimawandel“ (FOR 1695), die Einwerbung der DFG-Forschergruppe P-FOWL zum Thema Phosphor und Tiergesundheit (FOR 2601), die Führungsrolle im EU-Verbundprojekt GRACE zur Biomasseproduktion auf marginalen Flächen sowie die Mitgliedschaft im Kern- und Gründungsteam der EU Knowledge and Innovation Community (KIC) EIT Food, aus der nun u.a. der neue Food Systems Master hervorgegangen ist.

Übrigens: Auch Aufwand für den Cluster-Antrag bei der vergangenen Ausschreibungsrunde der Exzellenzstrategie war nicht umsonst. Aktuell bereitet das Forschungsnetzwerk Klimavariabilität auf Grundlage dieser Vorarbeiten, einen Antrag für einen Sonderforschungsbereich bei der DFG vor.

Wir werden berichten. Vielen Dank für das Gespräch!


Interview: Leonhardmair

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