Ein Kaffee mit… Florian Dehmelt von „Pro-Test“

Tierversuche: Dialog statt Konfrontation  [14.05.24]

Florian Dehmelt, Hirnforscher und Mitbegründer der Initiative "Pro Test". Bild: Dehmelt.

Tierversuche sollten kein Tabu-Thema sein – das findet Hirnforscher Dr. Florian Dehmelt von der Uni Tübingen. Er möchte den Dialog über Tierversuche anregen und anderen Wissenschaftler:innen die Angst nehmen, darüber zu sprechen. Gemeinsam mit anderen Forschenden, Tierärzt:innen, Studierenden und Tierpfleger:innen hat er die gemeinnütze Initiative „Pro-Test“ gegründet. Der Verein will einen proaktiven und selbstbewussten Dialog über Tierversuche fördern. In einem zweiteiligen Workshop am 7. Juni und 15. Juli gibt Dr. Dehmelt seine Erfahrungen an der Uni Hohenheim weiter. Warum es so wichtig ist, über Tierversuche zu sprechen und was Teilnehmende von seinem Workshop erwarten können, hat er vorab dem Online-Kurier erzählt.


Der Workshop wurde auf Initiative des Fachgebiets Zoologie ins Leben gerufen. Dort wird derzeit an einem Konzept gearbeitet, um Studierende schon im Grundstudium auf Gesprächssituationen zu Tierversuchen vorzubereiten. Der Workshop „Privat und öffentlich über Tierversuche sprechen“ steht jedoch allen Wissenschaftler:innen und Beschäftigten der Universität Hohenheim offen.




Herr Dehmelt, waren Sie schon immer der Meinung, man müsste offen über Tierversuche sprechen? Oder haben sich Ihre Ansichten im Laufe Ihrer Karriere geändert?

Tatsächlich bin ich früher eher unreflektiert gewesen – bis ich dann selbst angefangen habe, Tierversuche zu machen. Ich habe längere Zeit im Ausland gelebt und mich zunehmend darüber gewundert, wie selten öffentlich über Tierversuche gesprochen wird.

Als ich nach Deutschland zurückgekommen bin, ist mir erst recht bewusst geworden, wie viele Falschmeldungen zu diesem Thema existieren. Das hat mich wahnsinnig gemacht.

Zum Thema

Workshop „Privat und öffentlich über Versuchstiere sprechen" (7. Juni und 15. Juli):

Tierversuche an der Uni Hohenheim:

In Tübingen habe ich gemerkt, dass ich damit nicht alleine bin. An meinem ersten Arbeitstag habe ich durch Zufall mitbekommen, dass sich im Nebenraum ein paar Gleichgesinnte trafen, die endlich mal etwas unternehmen wollten. Dieser Gruppe habe ich mich angeschlossen, und wir waren uns einig: Wenn sonst keiner etwas sagt, dann sagen wir es eben selbst. So ist unser Verein „Pro-Test“ entstanden.

Wie häufig werden Sie angegriffen, weil Sie über Ihre Arbeit mit Versuchstieren sprechen?

Ich wurde schon mehrmals verbal angegangen und bin während einer Straßenaktion mit „Pro-Test“ sogar schon auf der Tübinger Neckarbrücke angeschrien worden.

Auf einmal schrie uns jemand über die Straße hinweg an: „Ich finde das scheiße, was ihr macht!“ Ich bin dann auf die Person zugegangen und habe gefragt: „Was denken Sie denn, was wir machen?“

Mein Gegenüber war total verblüfft über meine Reaktion. Wir haben uns dann eine Weile unterhalten und hatten letztendlich ein tolles Gespräch.

Haben Sie auch im Privatleben schon unangenehme Reaktionen erlebt?


Mein Vater war ganz irritiert, als ich ihm gesagt habe, dass ich für meine Forschung auch Tiere töte. Ich werde seinen enttäuschten Gesichtsausdruck nie vergessen. Dann hat er mich im Fernsehen gesehen und mitbekommen, dass es bei diesem Thema doch mehr Graustufen gibt als erwartet.

Heute ist er stolz darauf, dass ich für meine Überzeugungen einstehe.

Ist denn jede Forschung an Tieren ein Tierversuch?

Nein, das ist ein Irrtum. Es gibt eine große Bandbreite der Tiernutzung im Labor, die bei der reinen Beobachtung von Versuchstieren anfängt und bis zur Forschung an bereits getöteten Tieren reicht.

Tierversuche dürfen in der Forschung auch nur dann eingesetzt werden, wenn es keine Alternative gibt. Dabei läuft alles nach strikten Vorgaben ab.

Wir gehen in der Forschung nach dem 3R-Prinzip vor. Das steht für die Grundsätze „replace, reduce, refine“. „Replace“ steht für das Ziel, Tierversuche vollständig zu vermeiden und nur dann durchzuführen, wenn es kein Ersatzverfahren gibt. „Reduce“ bedeutet, dass die Zahl der Versuchstiere auf ein Minimum reduziert werden muss. Und „Refine“ beinhaltet, dass das Leiden der Tiere so gering wie möglich gehalten werden soll.

Ich betreibe zum Beispiel Grundlagenforschung, die überhaupt nicht direkt zu einem Produkt oder einer Therapie führt. Versuche an lebenden Tieren sind hier oft unerlässlich, um keine Menschen in Gefahr zu bringen.

Warum ist es Ihnen so wichtig, über Tierversuche zu sprechen?


Tierversuche sind ein kontroverses und emotionales Thema. Wir forschen an den Tieren, töten auch Tiere und übernehmen das stellvertretend für den Rest der Gesellschaft.

Außerdem kursieren viele Fehlannahmen und Falschmeldungen darüber, wie und unter welchen Bedingungen Tierversuche in der Forschung ablaufen. Daher ist es so wichtig, dass wir als Wissenschaftler:innen erklären, was wir tun und warum wir Tierversuche machen.

Was entgegnen Ihnen Wissenschaftler:innen, wenn Sie ihnen raten, offen über Tierversuche zu sprechen?


Oft höre ich Aussagen wie: „Das bringt doch eh nichts“ oder „Die sind alle so radikal, die kann ich eh nicht bekehren“.

Viele haben Angst vor unangenehmen Erfahrungen und möchten nicht mit dem Thema in Verbindung gebracht werden. Auch die Angst, dass das Ganze negativ auf das private Umfeld zurückfallen könnte, ist verbreitet.

Was antworten Sie in solchen Fällen?

Ich mache erst einmal deutlich, dass es bei diesem Thema keinen Zwang gibt. Es ist wichtig, dass es überhaupt Personen gibt, die über Tierversuche sprechen, aber nicht jeder MUSS darüber sprechen. Und diejenigen, die darüber sprechen möchten, sollten wir bestmöglich unterstützen.

Außerdem gebe ich gerne zu bedenken, dass Wissenschaftskommunikation mehr ist als nur PR für die eigene Organisation und Forschung. Sie ist auch dazu da, das Gemeinwohl und das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken.

Außenstehende haben keinen direkten Einblick in unsere Arbeit mit Versuchstieren. Deshalb müssen wir aktiv dafür sorgen, dass sie auch kritische Fragen stellen können und ehrliche Antworten erhalten.

Bei „Pro-Test“ arbeiten Sie mit anderen Forschenden, Tierärzt:innen, Studierenden und Tierpfleger:innen zusammen. Wie unterstützen Sie Personen, die mit Tierversuchen zu tun haben?

Den meisten von uns ist es wohl nicht in den Arbeitsvertrag gelegt worden, Tierversuche durchzuführen. Und genauso wenig werden wir dazu ausgebildet, über dieses Thema zu kommunizieren. Anfangs ist es mir selbst zum Beispiel sehr schwer gefallen, kurz und knapp zu begründen, warum ich in meinem Beruf auch Tiere töte.
 
Das möchten wir bei „Pro-Test“ ändern, denn wir haben es verdient, dass es uns mit unserer Arbeit gutgeht. Und diejenigen, die über das Thema sprechen möchten, wollen wir so gut es geht unterstützen.

Ich bin daher als Kommunikationstrainer für „Pro-Test“ unterwegs. Ich gebe aber kein Medientraining, sondern teile mein Wissen und meine persönlichen Erfahrungen. Da ich ehrenamtlich tätig bin, spreche ich für mich selbst und nicht für meinen Arbeitgeber, die Uni Tübingen.

Ihr Workshop in Hohenheim findet in zwei Teilen statt. Was erwartet die Teilnehmenden?

Beim ersten Termin stehen allgemeine Inhalte zur Tiernutzung und Tierversuchen auf dem Programm. Denn diese Aspekte sind oft nicht gar nicht so leicht rüberzubringen. Außerdem werde ich auf weit verbreitete Pro- und Contra-Argumente zu Tierversuchen eingehen.

Ich möchte auch reale Gesprächssituationen nachstellen und zeigen, wie man in verschiedenen Szenarien reagieren kann. Hier werde ich auch von meinen eigenen Erfahrungen berichten.

Nach dem ersten Termin können die Teilnehmenden diese Strategien schon einmal im eigenen Umfeld ausprobieren.

Im Juli soll es dann um die individuellen Erfahrungen der Teilnehmenden gehen. Hier wird es viele Möglichkeiten geben, eigene Themenschwerpunkte zu setzen und die eigene Arbeit mündlich und schriftlich zu beschreiben. Das werden wir gemeinsam üben.

An wen richtet sich der Workshop?

An alle Wissenschaftler:innen und Beschäftigten, die mit Versuchstieren zu tun haben oder darüber kommunizieren – von Tierpfleger:innen bis hin zu Verwaltungsangestellten. Ich hoffe auf eine bunt gemischte Runde, denn der Workshop lebt vom gegenseitigen Austausch.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Moormann

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