Schätze der Sammlungen

Erste selbsttätige Pflanzenspritze  [11.01.17]

Ein Mann mit unmodischem Spitzbart und Batschkappe, eine Pflanzenspritze auf dem Rücken, besprüht Efeu, das an einem Gartenzaun rankt – ein scheinbar alltägliches Bild, nur der Spritzenbehälter ist aus Blech statt aus Kunststoff, etwas überdimensioniert und altertümlich. Der Mann heißt Christian Friedrich Holder und er führt seine Erfindung vor: die erste selbsttätige Pflanzenspritze der Welt. Das Foto ist von 1898.


Womit Herr Holder das unerwünschte Kraut bespritzt, dürfte auf ewig unbekannt bleiben, aber mit seiner Erfindung führt er die im Jahr 1889 mit seinem Bruder ins Uracher Handelsregister eingetragene „Maschinen-Werkstatt und Magnetfabrik“ zu Weltruhm.

Heute  ist die Max Holder GmbH nach Christian Friedrichs Sohn benannt und ins benachbarte Metzingen übergesiedelt. In der Geschichte der Agrartechnik bis in die Gegenwart bekannt ist „der Holder“ für seine wegweisenden Entwicklungen im Pflanzenschutz – aber auch für Allradschlepper und die kompakten Einachsschlepper mit den markanten Fahrradlenkern.

Holders Erfindung trifft einen Nerv der Zeit: Rund ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet noch immer in der Landwirtschaft. Die aufkommende Industrialisierung führt zu verbesserten Lebensumständen und zu einer Bevölkerungszunahme.

Die wiederum erfordert eine Intensivierung des Agrarsektors, um alle satt zu bekommen. Doch Pflanzenkrankheiten und Schädlinge bedrohen immer wieder die Ernten. Ein rationelleres Arbeiten in der Landwirtschaft ist somit unabdingbar.

Chemie im Pflanzenschutz steht noch am Anfang

Erste Mittel gegen Pilzbefall entwickeln französische Winzer um 1850 und eher zufällig. Um ihre Weintrauben an Straßen und Wegen vor Dieben zu schützen, bepinseln sie sie mit Kalkmilch, die sie von Hand aus Eimern mit Reisigbesen auftragen. Dabei stellen sie fest, dass die so behandelten Reben kaum noch Pilzkrankheiten bekommen.

Die Kalkmilch bewährt sich auch gegen den Falschen Mehltau. In dieselbe Zeit fallen erste Versuche mit Elementar-Schwefelpulver gegen den Echten Mehltau. Die Landwirte bringen sie mit handbetriebenen Stäubegeräten auf die Pflanzen.

Um Schädlinge gezielt zu bekämpfen, bekommt das Gesundheitsamt des neu gegründeten Deutschen Reiches 1898 eine „Biologische Abteilung für Land- und Forstwirtschaft“. Ihre Aufgaben: die „Bekämpfung tierischer und pflanzlicher Schädlinge an Kulturpflanzen“, außerdem das „Studium der Nützlinge und von Mikroorganismen“.

Deutsches Landwirtschaftsmuseum (DLM)

Das DLM zeigt auf 5.700 qm überdachter Ausstellungsfläche liebevoll restaurierte Landmaschinen, die Agrargeschichte geschrieben haben. Die Besucher erleben den Wandel der landwirtschaftlichen Produktion und erfahren die Auswirkungen der technischen Innovationen auf die Arbeitsbedingungen der Bauern. Die Exponate zeigen die Entwicklung vom einfachen ackerbaulichen Gerät bis hin zur modernsten Agrartechnik.

Holder beendet beschwerliche Arbeit mit handbetriebenen Pumpen

Vor allem im Obstbau setzen um die Jahrhundertwende erste Versuche ein, mit Nikotinlösungen aus Tabak gegen Blattläuse vorzugehen. Im Getreidebau werden gegen Hederich, einer wilden Rettichart, Kali-Lösungen gespritzt. Handarbeit ist in der vormotorischen Zeit das einzige Mittel der Wahl.

Zwar sind Spritzdüsen, elastische Gummischläuche sowie Membran- und Kolbenpumpen bereits erfunden. Zum Spritzen müssen die Geräte allerdings permanent von Hand oder Fuß angetrieben werden.

Holders Patent ersetzt den permanenten Hand- oder Fußbetrieb durch einen Überdruck im Spritzbehälter. Seine zentrale Erfindung ist eine Luftpumpe mit Doppelhandgriff, die in einem schmalen, zylindrischen Behälter aus Kupfer- oder Messingblech integriert ist. Mit ihr lässt sich vor dem Spritzen ein Überdruck von bis zu 5 Bar aufpumpen. Die selbsttätige Pflanzenspritze ist zudem handlich genug, dass sie sich mit 15 Litern Inhalt auf dem Rücken tragen lässt.

Holder macht chemischen Pflanzenschutz mobil und einfach

Der Vorteil ist eine erhöhte Wendigkeit, und beim Spritzen ist nur noch eine Hand dauerhaft beschäftigt. Die andere Hand hat der Winzer frei, um Äste anzuheben, damit er die Reben auch von unten spritzen kann, was den Spritzvorgang zusätzlich beschleunigt. Obstbauer können mit der freien Hand bis zu vier Meter verlängerte Spritzrohre halten, die zum Teil aus Bambus gefertigt sind. So kommen sie bis in die Baumwipfel.

Christian Friedrich Holder bekommt für seine Erfindung 1898 das deutsche sowie das schweizerische Reichspatent. Seine Entwicklung lässt ihn aber nicht ruhen. Bereits 1901 zeigt er auf der DLG-Ausstellung in Mannheim das erste Feldspritzgerät, eine von Pferden gezogene Hederichspritze. Bald beflügeln auch die neu erfundenen Motoren die Spritztechnik.

Erste Motorpumpen gibt es Anfang der 1920er Jahre im Obstbau, es folgen Zweikolbenpumpen und gespanngezogene Motor-Stäuber für die Forstwirtschaft. In den 1930er Jahren bringt Holder seine ersten Zwei- und Dreikolben-Motorpumpen und das erste selbstfahrende Obstbauspritzgerät „Auto-Rekord“ auf den Markt. Es wird bis in die 1960er Jahre mit bis zu 600 Liter großen Behältern weiterentwickelt.

Immer effektivere Chemikalien gegen Schadpflanzen und -tiere

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geht auch die systematische Suche nach Mitteln gegen Unkräuter und Insekten weiter. Gegen überwinternde Schädlinge sind Mineralöl-Emulsionen das zeitgenössische Mittel der Wahl. Im Hopfenanbau kommen gegen den Falschen Mehltau nun flüssige Kupfermittel zum Einsatz.

Dem Kartoffelkäfer rückt man bis Ende der 1930er Jahre mit Mischungen aus Blei und Arsen zu Leibe. Ihre Schädlichkeit auch für den Menschen tritt schon früh zutage. Die Verwendung von Bleiarsenat im Weinbau wird bereits 1928 untersagt. Im Zentrum der Betrachtung steht in der Ausbreitungszeit des chemischen Planzenschutzes die effektive Wirkung gegen Schadtiere und Pflanzen. Ziel sind hohe Erträge und gute Ernten, die immer weniger Menschen erzeugen.

Synthetische Chemikalien bringen Pflanzenschutz an seine Wachstumsgrenzen

1940 kommt mit „DDT“ das erste synthetische Insektizid zum Einsatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt der großflächige Pflanzenschutz erst richtig an Fahrt auf, zum Beispiel werden ab 1950 im Getreidebau synthetische Wuchsstoffmittel gegen breitblättrige Unkräuter gespritzt. Dem folgen Bodenherbizide, die im Kartoffel- und Zuckerrübenbau immer unentbehrlicher werden.

Es gibt nun Pflanzenschutzmittel gegen eine Vielzahl von Schaderregern und entsprechende Geräte, um sie rationell auf den Feldern zu verteilen. Ein Umdenken erfolgt erst ab 1962 mit „Der stumme Frühling“. Die amerikanische Biologin Rachel Carson zeigt mit ihrem Aufsehen erregenden Buch die schädlichen Nebenwirkungen von unbekümmertem Pflanzenschutz für Natur und Umwelt auf.

Seitdem und bis in die heutige Zeit hinein ringen Verbraucher- und Umweltschützer, Politik sowie zunehmend auch Agrarverbände darum, dass immer weniger Agrarchemie in der Pflanzenproduktion eingesetzt wird. Sie wird ersetzt durch exaktere Prognosen, minimierte Anwendungen und neue Verfahren. Daran arbeiten bis heute die Forscherinnen und Forscher der Agrarwissenschaften der Universität Hohenheim, unter anderem mit Precision Farming, mit dem man Leistungsfähigkeit und Umweltfreundlichkeit im Pflanzenbau erprobt.

Holders Pflanzenspritze lebt als Hobbygerät weiter

Die von Christian Friedrich Holder entwickelte Pflanzenspritze gibt es bis heute. Anstelle des Metallbehälters ist ein Kunststofftank getreten. Insgesamt sind die Spritzen heute noch handlicher und leichter geworden. In ihnen arbeitet die patentierte Luftpumpe nahezu unverändert weiter. Nur das Einsatzgebiet hat sich verändert: Heute ist die einstige Holder-Spritze fast ausschließlich ein Hobbygerät für passionierte Gartenliebhaber.

Text: Töpfer

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