Neue Profs: Michael Granvogl

Er forscht für gesunde und schmackhafte Lebensmittel  [08.08.19]

Prof. Dr. Michael Granvogl | Foto: Uni Hohenheim / Elsner

Labberige Chips, die man bedenkenlos verspeisen kann? Will niemand. Super-knusprige Pommes, mit denen man eine ordentliche Portion Acrylamid mitserviert bekommt? Auch keine gute Idee. Erwünschte und unerwünschte Eigenschaften von Lebensmitteln zu optimieren, ist eines der Hauptanliegen des Lebensmittelchemikers Prof. Dr. Michael Granvogl.


Er leitet bereits seit April letzten Jahres das Fachgebiet Lebensmittelchemie und Analytische Chemie. Zunächst vertretungsweise, und seit 1. Mai 2019 ist er Inhaber des Hohenheimer Lehrstuhls. Mit seiner Aromastoffforschung hat der Bayer im Schwabenland seine zweite Heimat gefunden.


Herr Granvogl, Lebensmittelchemie und Analytische Chemie heißt Ihr Fachgebiet. Hat sich die Bezeichnung geändert, als Sie es übernommen haben?

Nein, der Name ist gleichgeblieben. Er passt sehr gut, da die Methoden, die wir bei Lebensmitteln anwenden, auch auf andere Bereiche übertragbar sind. Zum Beispiel auf den Bereich Pharmazie, die Automobilindustrie oder den Kosmetik-Bereich.

Und was hat sich geändert?

Mein Vorgänger Prof. Wolfgang Schwack hat vor allem auf dem Gebiet der Rückstandsanalytik von Pflanzenschutzmitteln gearbeitet. Jetzt untersuchen wir in Kombination die erwünschten und unerwünschten bioaktiven Lebensmittel-Inhaltsstoffe, die sich beispielsweise während der Lebensmittelherstellung bilden können. Erwünscht sind zum Beispiel Verbindungen, die zu Geruch, Geschmack oder Farbe beitragen oder Nährstoffe, wie Vitamine oder Mineralstoffe. Es können sich aber auch unerwünschte Verbindungen, sogenannte food-borne toxicants, bilden. Diese kann man nicht auf null setzen, aber reduzieren bzw. minimieren. Ein Beispiel hierfür ist das Acrylamid bei Pommes frites.

Warum liegt Ihr Fokus nicht nur auf einem der beiden Bereiche?

Wenn Sie Chips mit geringen Mengen an Acrylamid anbieten, die aber nicht knusprig sind, dann werden das die Verbraucher nicht honorieren. Das gilt natürlich auch umgekehrt: Wenn ein Lebensmittel zwar gut schmeckt, aber viele ungesunde Inhaltsstoffe hat, wird das auch nicht akzeptiert. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind ja zum Glück mittlerweile sehr sensibilisiert für das Thema.

Wenn Sie beim Herstellungsprozess etwas verändern – wie die Temperatur, die Erhitzungsdauer o.ä. – dann hat dies in der Regel Auswirkungen auf die Bildung von erwünschten und unerwünschten Stoffen. Wir betrachten daher beides und wollen Wege finden, um das gewohnte Aroma mindestens beizubehalten und parallel dazu trotzdem die unerwünschten Stoffe zu reduzieren. Diese Kombination ist in der Forschung derzeit noch eine Besonderheit.

Bevor wir noch mal auf Ihre Forschung kommen, zunächst eine übergeordnete Frage: Welches Rätsel möchten Sie mit Ihrer Forschung lösen? Welche Frage treibt Sie an?

Freies Assoziieren



Die große Frage ist: Wie kann man die Nahrungsmittelversorgung der Welt sicherstellen? Und zwar so, dass die Menschen die Qualität erhalten, die sie sensorisch erwarten, und Lebensmittel zur Verfügung stehen, die möglichst gesund sind. Unser Ernährungsverhalten wird sich in den nächsten 100 Jahren grundlegend ändern müssen. Bei uns wird es für ärmere Menschen immer schwieriger werden, sich mit hochwertigen Nahrungsmitteln zu versorgen. Viel schlimmer ist die Lage aber in Afrika – dort leiden schon jetzt sehr viele Menschen an Hungersnot. Das sind große Herausforderungen.

Wenn Sie über unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten verfügen würden: Welches Projekt würden Sie in Angriff nehmen?

Ich würde ein internationales Forschungsteam zusammenstellen aus allen Kontinenten, die genau dieses Ziel in Angriff nehmen. Die Lebensmittel sollten so entwickelt werden, dass sie für die Grundernährung in den jeweiligen Kontinenten passen. Also globale Konzepte, die aber derart umgesetzt werden, dass die regionalen Voraussetzungen und Anforderungen erfüllt sind. Leider ist das so utopisch wie die Frage selbst, aber wenn wir dieses Ziel verfolgen und auch nur zu 30 Prozent erreichen würden, wäre das schon ein großer Erfolg.

Noch mal zurück zu Ihrer realen Forschung. Welche Forschungsthemen beschäftigen Sie noch?

Wie gesagt, Forschungsschwerpunkt sind erwünschte und unerwünschte Lebensmittelinhaltsstoffe. Mit anthropogenen Lebensmittelkontaminationen beschäftigen wir uns auch noch am Fachgebiet, aber nicht mehr so intensiv wie bei Prof. Schwack.

Deshalb werden insgesamt die Schwerpunkte unserer Forschung  auf den food-borne toxicants und auf der Aromastoffchemie liegen . Es geht bei unserer Arbeit aber nicht darum, dass wir, wie viele Leute oft meinen, künstliche Aromastoffe für die Industrie entwickeln. Vielmehr erforschen wir, warum ein Lebensmittel so riecht wie es riecht. Dann finden wir rund 1.000 flüchtige Verbindungen, stellen aber fest, dass davon nur etwa 5 bis 30 den jeweils spezifischen Geruch ausmachen.

Wie stellen Sie das denn fest?


Dafür setzen wir einerseits die Gaschromatographie gekoppelt mit einem Geruchsport ein und identifizieren, wo in dem Gemisch die geruchsaktiven Substanzen zu finden sind. Andererseits verwenden wir die Gaschromatographie gekoppelt mit der Massenspektrometrie. Genau genommen werden zwei Gaschromatographen vor dem Massenspektrometer eingesetzt. Der erste Gaschromatograph trennt das Stoffgemisch zwar schon weitgehend auf. Allerdings ist es oft notwendig bestimmte Bereiche dann im zweiten Gaschromatographen noch weiter aufzuschlüsseln, um dann Geruchsstoffe, die teilweise nur im Spuren-(ng)-Bereich vorliegen, mit dem Massenspektrometer zu identifizieren und zu quantifizieren.

Geruchsport? Das heißt, dort sitzt jemand und schnuppert?

So ist es.

Und mit den wenigen Verbindungen kann man einen Geruch quasi nachmachen?

Ja. In letzter Zeit haben wir zum Beispiel dunkle Schokolade untersucht, dafür braucht es rund 30 Verbindungen. Oder Erdnüsse und Haselnüsse – die haben beide jeweils einen charakteristischen Geruch, der aber durch nahezu gleiche Verbindungen entsteht, die nur in anderen Mengenverhältnissen vorliegen.

Wozu dienen diese Erkenntnisse?

Wenn wir wissen, was einen Geruch ausmacht, können wir auch feststellen, was bei einem Fehlgeruch passiert ist. Viele Lebensmittel sollen ja auch nach einer Lagerzeit noch gut riechen. Ist das nicht der Fall, kann die Aromastoffforschung Herstellern Hilfestellung für bessere Lagerungsbedingungen oder andere Verarbeitungsbedingungen geben. Die Verarbeitung, also etwa die Temperaturen, die Lagerung oder die Flaschenfarbe, beeinflusst die positiven ebenso wie die negativen Eigenschaften.

Außerdem geht der Trend zu „all natural“: Hier sind oft auch die natürlichen Vorläuferstoffe nützlich. Nehmen Sie zum Beispiel Suppenpulver: Werden dort die flüchtigen Aromastoffe direkt zugesetzt, schmeckt die Suppe nicht mehr, wenn die Tüte zu lange gelagert wurde. Das kann man ändern, indem man natürliche Vorläufer, sog. Prekursoren, einsetzt, die erst bei der Zubereitung den eigentlichen Geruchsstoff freisetzen.

Welche Lebensmittel haben Sie zum Beispiel untersucht?

Viele verschiedene: Schokolade, Bier, Spirituosen, Speiseöle, Lakritz, aber auch Fleisch, Fisch und Käse. Und einige für uns exotische wie asiatische Kräuter und Gewürze. Die negativen Eigenschaften, die Bildung von Acrylamid etwa, haben wir an Pommes frites, Chips und Kaffee untersucht.

Das klingt alles sehr praxisnah…

…ja, in der Tat; deswegen haben wir auch zahlreiche Industrieprojekte.

Kooperieren Sie denn auch mit Ihrer Kollegin Yanyan Zhang vom Fachgebiet Aromachemie?

Frau Prof. Zhang untersucht vorwiegend Fermentationsprozesse, wir ergänzen uns daher gut und wir werden sicherlich auch in Zukunft enger zusammenarbeiten.

Können sich denn auch Studierende an Ihrer Forschung beteiligen?


Ja auf jeden Fall, insbesondere mit Bachelor- und Masterarbeiten sowie über das Forschungspraktikum. Auch Humboldt reloaded-Projekte haben wir, vor allem Frau Dr. Oellig und Herr Dr. Armbruster haben bereits einige angeboten.

Es gibt ein Forschungspraktikum?


Ja, im Master-Studiengang Lebensmittelchemie ist das ein Pflicht-Modul, bei dem die Studierenden Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte erhalten. Der Bachelor-Studiengang ist übrigens formal an der Uni Stuttgart angesiedelt mit Hohenheim als Kooperationspartner, beim Master-Studiengang ist es umgekehrt. Aber beides sind Kooperationen, in die sich beide Universitäten einbringen.

Was möchten Sie denn den Studierenden beibringen?

Hier in Hohenheim teilen Herr Prof. Vetter und ich uns die Lehre auf, wobei aber auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Kollege Herr Prof. Brockmeyer von der Universität Stuttgart mit eingebunden sind. Es geht zuerst einmal um die Bestandteile der Lebensmittel – Proteine, Kohlenhydrate, Lipide, Vitamine und Mineralstoffe oder sekundäre Pflanzenstoffe.

Fachgebiet Lebensmittelchemie und Analytische Chemie

Seit 1. Mai 2019 leitet Prof. Dr. Michael Granvogl das Fachgebiet Lebensmittelchemie und Analytische Chemie. Zuvor hat er es ein Jahr lang vertretungsweise geleitet, nachdem der frühere Lehrstuhlinhaber, Prof. Dr. Wolfgang Schwack, in den Ruhestand trat.


Wir lehren den Aufbau, die Funktion und die Reaktionen der Inhaltsstoffe, aber auch Toxikologie und Ernährungsphysiologie. Weiterhin bieten wir Vorlesungen zu Lebensmittelrecht, die externe Dozenten halten, Mikrobiologie, Botanik und instrumentelle Analytik an. Zusätzlich nimmt die praktische Laborausbildung einen hohen Anteil ein. Im weiteren Verlauf des Studiums kommen Teilaspekte hinzu, zum Beispiel Fleisch, Milch, Eier oder Trinkwasser.

Was kennzeichnet Ihrer Ansicht nach gute Lehre?

Eine Mischung aus Theorie und Praxis, nicht nur Frontalunterricht. Wobei „Praxis“ auch Beispiele aus der Praxis in Vorlesungen bedeutet, denn durch Fallbeispiele aus der Industrie wird den Studierenden klar, dass sie das Erlernte tatsächlich später anwenden können.

In der Lehre ist es meiner Ansicht nach wichtig, auch eigene Erfahrungen einzubringen und auch mal von Misserfolgen zu erzählen. Auch daraus kann man schließlich lernen.

Machen Sie auch Exkursionen?

Ja, Exkursionen sind aus  vielerlei Hinsicht interessant, sowohl fachlich als auch für das menschliche Miteinander – für mich sind sie sehr wichtig in unserem Studium. Unsere Studierenden sind ja auch eine verhältnismäßig kleine Gruppe – jährlich etwa 50 im Bachelor und maximal 25 im Master. Früher waren Exkursionen Pflicht, heute bieten wir Sie als zusätzliche Fortbildung an. Wir haben deshalb auch QSM-Mittel beantragt und bekommen, so dass wir auch nächstes Semester 2-3 Unternehmen besuchen können.

Wo finden Ihre Studierenden denn später Arbeit?

Früher hatte das Studium das Staatsexamen als Abschluss, da war das Haupt-Berufsfeld die staatliche Lebensmittelüberwachung. Heute ist das nicht mehr das hauptsächliche Berufsfeld unserer Absolventinnen und Absolventen, obwohl die Untersuchungsämter in Baden-Württemberg schon immer sehr fortschrittlich und forschungsnah waren. Aber die Stellen in der Industrie sind erheblich lukrativer. Außer den Untersuchungsämtern und der Industrie kommen noch Forschungseinrichtungen in Frage.

Basierend auf ihrer Ausbildung sind Lebensmittelchemikerinnen und Lebensmittelchemiker recht flexibel, sie sind auch für Kosmetika, Bedarfsgegenstände und Tabak zuständig. Und die Methoden lassen sich auf weitere Bereiche übertragen, so dass auch die Pharmaindustrie oder die Automobilindustrie unsere Absolventeninnen und Absolventen beschäftigen.

Welchen guten Rat geben sie den Studierenden mit auf den Weg?

Treffen Sie Ihre Entscheidungen auf Grundlage von Verstand UND Herz. Das ist auch im Beruf wichtig, vor allem wenn es darum geht, wie man seinen Job ausfüllt. Man sollte immer auch seine eigenen Vorstellungen einbringen, sie dabei aber Gesamtkonzept-fähig machen. Querdenker sind wichtig in einem Team, sie sollten Freiheiten haben, aber natürlich muss auch die gesamte Gruppe funktionieren.

Wie war denn Ihr eigener Weg bis Hohenheim?


Ich war rund ein Vierteljahrhundert fast ausschließlich in München. Ich habe an der TU München Lebensmittelchemie studiert, dann über Aromastoffe in Zwiebeln promoviert, als Postdoc zu Acrylamid geforscht und zum Zusammenspiel erwünschter und unerwünschter bioaktiver Lebensmittelinhaltsstoffe habilitiert. Ein halbes Jahr war ich in Köln beim Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie, als designierter Direktor des eigenen Untersuchungslabors. Diese Position und das damit verbundene Arbeitsgebiet waren ebenfalls interessant, bestand aber überwiegend aus Management-Aufgaben, weshalb ich wieder an die Universität zurück gegangen bin, wo die Möglichkeiten bzgl. Forschung einfach umfangreicher sind.

Als ich hier in Hohenheim zunächst die Vertretungsprofessur angeboten bekam, habe ich daher nicht abgelehnt. Auf diese Weise konnte ich auch die Menschen hier an der Uni erst kennenlernen, bevor ich mich auf die „richtige“ Professur beworben habe. Die TU München bietet als Elite-Universität zwar eine Ausstattung auf höchstem Niveau, doch hier etwas Neues mit aufzubauen, hat einen besonderen Reiz. Ich fühle mich hier sehr wohl.

Das freut uns sehr. Verraten Sie uns zu guter Letzt noch, was Sie in Ihrer Freizeit machen, Herr Granvogl?

Vor allem viel Sport: Radfahren, Skifahren!, Schwimmen, Wandern, Fußball-Fan…

Vielen Dank für das Gespräch!


Interview: Elsner

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