Neue Profs: Lars Krogmann
Er zeigt, wie spannend Insekten sind [19.03.19]
Prof. Dr. Lars Krogmann | Foto: Universität Hohenheim / Dorothea Elsner
Wespen mit Stielaugen und Geweih an den Mundwerkzeugen – die Welt von Prof. Dr. Lars Krogmann mutet bisweilen skurril an. Der Insektenkundler leitet seit Dezember 2018 das Fachgebiet Systematische Entomologie an der Uni Hohenheim. Und parallel dazu ist er Abteilungsleiter am Stuttgarter Naturkundemuseum.
Update (15.9.2022): Prof. Dr. Lars Krogmann übernahm zum 15. September 2022 die wissenschaftliche Leitung des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart. Der Uni Hohenheim blieb er erhalten, wechselte jedoch das Fachgebiet: Statt der „Systematischen Entomologie“ leitet er nun das die „Biologische Systematik“.
Seine Leidenschaft für die Krabbeltiere steckt an. Wenn die Studierenden mit ihm auf Exkursion gehen und am Ende ihre eigene Insekten-Sammlung in Händen halten, denkt wohl kaum noch jemand, dass Arten bestimmen langweilig sei. Sinnvoll sind Artenkenntnisse allemal, vor allem vor dem Hintergrund des Insektensterbens.
Herr Krogmann, Sie leiten ein neues Fachgebiet?
Das Fachgebiet hier in Hohenheim ist neu, aber das Thema an sich ist eine der ältesten Disziplinen der Biologie, und die Uni Hohenheim erkennt die Bedeutung. In Deutschland ist es das einzige Fachgebiet zu systematischer Entomologie.
Ihre Professur ist ohnehin eine ganz besondere…
…ja, denn es ist die erste gemeinsame Berufung der Uni Hohenheim und des Naturkundemuseums Stuttgart. Die Professur wurde nach dem sogenannten Jülicher Modell besetzt, das heißt, ich habe hier eine reduzierte Lehrverpflichtung von zwei Semesterwochenstunden und leite parallel die entomologische Abteilung, eine von vier Forschungsabteilungen des Naturkundemuseums.
Welches Rätsel würden Sie gerne mit Ihrer Forschung lösen?
Ich wüsste gerne, wie viele Insektenarten wir wirklich auf dieser Erde haben, wie stark sie gefährdet sind und wie viele davon parasitische Wespenarten sind. Die Schätzungen schwanken zwischen 5 bis 20 Millionen Tierarten auf der Erde, genauer weiß man es nicht – und wir verlieren täglich welche davon. Außerdem wüsste ich gern, wie das erste Insekt aussah und wie alt die Gruppe der Insekten wirklich ist – auch das weiß man nämlich nicht genau.
Angenommen, Sie würden über unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten verfügen: Welches Projekt würden Sie in Angriff nehmen?
Da würde ich eine Erfassung der Artenvielfalt auf der ganzen Welt initiieren. Die Daten könnte man dann für den Naturschutz nutzen. Forschungszentren könnten dann Keimzellen für die Ausbildung von Fachleuten und zur Information der Bevölkerung sein.
Nun ja, im entsprechend kleineren Rahmen machen wir das nun mit unserer Kooperation zwischen Museum und Uni, da kombinieren wir auch die Forschung und die Ausbildung von Fachleuten mit der allgemeinen Bildung.
Was sind Ihre Forschungsbereiche?
Es gibt drei Forschungsgebiete: Erstens die Taxonomie, bei der es um die Einteilung der Arten und die Beschreibung neuer Arten geht. Das zweite Thema ist die Phylogenetik, bei der die Stammbäume der Lebewesen erforscht werden. Und mein drittes Forschungsgebiet ist die Erfassung der Biodiversität, wobei Arten-Gruppen molekular erfasst und identifiziert werden. Die drei Forschungsbereiche sind allerdings nicht klar zu trennen.
Mein Spezialgebiet sind die Hautflügler und insbesondere die parasitischen Wespen. Sie sind sehr artenreich und haben im Lauf ihrer Entwicklung verschiedene Lebensstrategien entwickelt. Es kann in einer Familie Tausende von Arten geben, und in einer anderen eng verwandten nur drei.
Fahren Sie in die Heimat der Tiere, um sie zu untersuchen?
Ja. Bei den Erzwespen zum Beispiel mit insgesamt rund 500.000 Arten gibt es eine Familie, die sehr artenarm ist – eine Art hatte man in Chile und eine sehr seltene in Neuseeland gefunden. Um sie zu untersuchen, sind wir gezielt in die Regionen gefahren. Wir haben dann auch tatsächlich beide Arten gefunden – und in Neuseeland noch eine dritte Art der Familie entdeckt. Die Tiere haben wir mit Fossilien abgeglichen und konnten so ihre Position im Stammbaum als eine der ursprünglichsten Erzwespenfamilien bestätigen.
Sie sind übrigens assoziiert mit Moosen. Die Art in Chile kann nicht fliegen. Um sie zu fangen, haben wir Gelbschalen auf das Moos gestellt. An den gleichen Standorten gibt es bestimmte Zikaden und Wanzen – das sind ihre potenziellen Wirte. Die Erzwespen parasitieren höchstwahrscheinlich die Eier. Unter Berücksichtigung des Stammbaums konnten wir feststellen, dass die Erzwespen wohl grundsätzlich ursprünglich Eiparasitoide waren und andere Wirte erst später dazugekommen sind.
Was für Wirte gibt es noch bei den Erzwespen?Es werden die Eier, Larven und Puppen von fast allen Insektengruppen befallen. Es gibt sogar phytophage Formen, die bei Pflanzen etwa die Blüten befallen oder Gallen bilden – Erzwespen zeigen alle Spektren der Biologie. Ganz im Gegensatz zu den Wegwespen, die ich in Australien untersucht habe: Die sind alle relativ groß und haben ihre Biologie fast nie abgewandelt. Alle Arten parasitieren Spinnen, nur einige nutzen die Spinneneier.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie Arten bestimmen?Wir beziehen morphologische, genetische und biologische Merkmale ein. Auch Fossilien ziehen wir zu Rate. Wir haben eine der umfangreichsten Bernsteinsammlungen der Welt, darin sind Millionen Jahre alte Insekten perfekt erhalten. Übrigens: Unsere derzeitige
Ausstellung am Naturkundemuseum „Leben im Bernsteinwald“ kann ich nur empfehlen…
Neue Arten zu entdecken ist natürlich besonders spannend. Die sehen manchmal richtig skurril aus. Etwa eine neue Wespenart in Australien mit einer Art Hirschgeweih auf den Mundwerkzeugen, oder Stielaugenwespen in Kolumbien, die aussehen wie das Faultier Sid aus „Ice Age“ – nach dem haben wir sie dann auch Axima sidi genannt.
Warum ist es wichtig, die Biodiversität zu erfassen?Viele Arten haben auch für uns Menschen wichtige Funktionen, und schützen kann man nur, was man kennt. Doch heute verlieren viele Menschen den Bezug zur Umwelt, und es gibt trotz des gestiegenen Bedarfs kaum noch Fachleute auf dem Gebiet der Taxonomie. Das zeigt sich deutlich beim Insektensterben.
Hier muss sich etwas tun: Das
German Barcode of Life Projekt ist ein Ansatz zur Biodiversitäts-Erfassung für Deutschland, an dem alle großen Naturkundemuseen beteiligt sind. Ich bearbeite darin die parasitischen Wespen. Erzwespen zum Beispiel werden auch zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt.
Inwiefern nützen die Artenkenntnisse bei der biologischen Schädlingsbekämpfung?Für die biologische Schädlingsbekämpfung ist es wichtig, dass die Art genau bekannt ist, damit man sie gezielt einsetzen kann. Es muss ausgeschlossen werden, dass aus Versehen kryptische, also nah verwandte, aber noch verborgene Arten eingesetzt werden. Da Erzwespenarten sehr klein und einander sehr ähnlich sind, ist es oft schwierig, Arten zu charakterisieren.
Beispielsweise leben in Kleeblüten kleine Käferlarven, die von einer Erzwespenart parasitiert werden. Nun haben wir in meiner Arbeitsgruppe herausgefunden, dass es sich bei dieser „Art“ um mindestens zwei verschiedene Wespenarten handelt. Zur Unterscheidung geben die genetischen Daten einen ersten Hinweis, erst dann kann man versuchen, gezielt nach minimalen Unterschieden in den äußeren Merkmalen zu suchen. Im letzten und schwierigsten Schritt geht es dann darum, die unterschiedlichen Wirtsbiologien zu entschlüsseln.
Werden eigentlich die Bestände in der Sammlung auch digitalisiert?Das Museum ist dabei, die entomologische Sammlung zu digitalisieren. Sie umfasst derzeit rund 4,5 Millionen getrocknete und nochmal ebenso viele in Alkohol eingelegte Präparate – und ist damit unsere wichtigste Forschungs-Infrastruktur.
Die historischen Sammlungsdaten sind noch nie umfassend ausgewertet worden, da gibt es für die Zukunft noch viele Forschungsmöglichkeiten für Wissenschaftler aus aller Welt. Wir digitalisieren die Belegtiere für die Barcode-Untersuchungen, diese neuen Exemplare werden digital erfasst mit Fotos, DNA-Sequenzen und allen Funddaten. Die älteren Objekte erfassen wir Kästen-weise, ein Bild pro Insektenkasten, zunächst bei kompletten regionalen Sammlungen.
Können sich Studierende an Forschungsprojekten beteiligen? Ja, mit Abschlussarbeiten auf allen Ebenen – Doktor-, Master- und Bachelorarbeiten. Im Studium ist vorgesehen, dass man Praktika macht. Dabei erfährt man, wo die Stärken und Schwächen und vor allem die eigenen Interessen liegen. Im Sommer gibt es zum Beispiel einen 4-wöchigen Insektenkurs. Das ist ein intensives Praktikum: Feldarbeit, Auswerten, Präparieren, Analysieren, da merkt man, welche Insektengruppe man am spannendsten findet und welche Methoden einen interessieren.
Sie machen den Kurs schon länger?Ja, ich bin schon einige Jahre hier in Hohenheim tätig. Bei Abschlussarbeiten konnte ich bisher nur als Fachbetreuer tätig sein. Jetzt können die Studierenden aber direkt zu mir kommen.
Sie sagten eben schon, Sie hätten eine reduzierte Lehrverpflichtung. Wie sieht die Lehre bei Ihnen aus?Im April/Mai haben wir im Bachelor das Modul Evolutionsbiologie, das ich zusammen mit Herrn Steidle betreue. Mein Teil fand bisher im Museum statt, dieses Jahr ist der Andrang aber so groß, das alles in Hohenheim stattfinden wird, da hier der Seminarraum größer ist.
Beteiligt bin ich auch an einer Vorlesung von Herrn Blum zur Evolutionsbiologie, da übernehme ich den Bereich zur Geschichte und Systematik.
Und im Sommer gibt es wieder unseren bereits erwähnten 4-wöchigen Kurs im Museum. 2 bis 3 Tage Exkursion bei Tübingen, an denen wir die Sammeltechniken üben. Anschließend geht es ans Museum. Die Präparatoren dort zeigen den Studierenden, wie sie mit ihren gesammelten Insekten eine eigene Sammlung anlegen können. Wir stellen die systematischen Gruppen vor, erklären Anpassungen und Fragen zum Stammbaum. Und schließlich werden die gesammelten Tiere bestimmt. Letztendlich ist das einerseits ein Crashkurs zur Methodik, vermittelt aber auch grundlegende Artenkenntnisse. Zukünftig möchte ich auch einen 4-wöchigen Intensivkurs zur Evolution der Hautflügler abhalten.
Was heißt für Sie gute Lehre?Gute Lehre muss Begeisterung und Interesse wecken, das Wissen erhöhen und Verständnis für die Thematik erzeugen. Wichtig ist, dass die Lehre anschaulich und integrativ ist, also die Studierenden aktiv mit einbezieht. Humboldt reloaded ist für mich übrigens der Inbegriff positiver Lehre.
Hatten Sie denn schon ein Humboldt reloaded-Projekt?Ja, zusammen mit Herrn Steidle. Dabei ging es um die Farben der Flügel bestimmter, kryptischer Erzwespen-Arten. Und darum, ob man diese Information zur Unterscheidung der Arten heranziehen kann. Die Studentin, die das bearbeitet hat, fand auch tatsächlich Unterscheidungsmerkmale.
Wie stehen denn bei Ihren Studierenden später die Chancen im Beruf?Nun ja, bisher war es ein Karrierekiller, wenn man sich auf die Systematik spezialisiert. Aber jetzt ändert sich das zum Glück, da es einen großen Bedarf an Fachleuten mit Artenkenntnissen gibt. Trotzdem würde ich empfehlen, dass Studierende nicht ausschließlich auf die Taxonomie fokussieren, sondern sich breite Methodenkenntnisse im Bereich der gesamten biologischen Systematik aneignen sollten.
Grundsätzlich kommen als Arbeitsplätze Museen und andere Forschungseinrichtungen, aber auch Gutachterbüros etc. in Frage – der Bedarf ist in letzter Zeit gestiegen. Auch an den Unis wird wieder mehr in diesen Bereichen gelehrt und geforscht werden.
Welchen guten Rat geben sie den Studierenden mit auf den Weg?Lassen Sie sich von ihrem Interesse leiten und nutzen Sie das Studium als Chance, sich aus der Vielfalt an Möglichkeiten das herauszusuchen, was Sie am meisten begeistert. Sehen Sie das Studium als Privileg und genießen Sie es – denn nur in dieser Zeit haben Sie die größtmögliche Freiheit, in viele Bereiche hineinzuschnuppern. Und ich kann nur empfehlen, freiwillige Praktika dazu zu nutzen.
Wie war denn Ihr eigener Weg bis Hohenheim?Ich habe in Hamburg Biologie studiert und mich ursprünglich mehr für Schmetterlinge interessiert, aber dann habe ich die parasitischen Wespen für mich entdeckt. In Hamburg habe ich dann bis 2005 auch promoviert. Zwischendurch war ich an Museen in Kopenhagen und Jena und schließlich mit einem Humboldt-Forschungsstipendium als Postdoc in Adelaide in Australien. Das habe ich jedoch früher beendet für eine feste Wissenschaftlerstelle am Naturkundemuseum in Stuttgart. Seit 2008 bin ich dort Kurator. Meine Habilitation habe ich letztes Jahr hier in Hohenheim bei Herrn Steidle abgeschlossen.
Das heißt, den Kulturschock hatten Sie als Norddeutscher schon vor gut 10 Jahren?Gewissermaßen, ja. Aber ein Schock war es vor allem deshalb, weil ich direkt aus Australien kam. Hier war es so kalt, und es hat geschneit… Was mir hier allerdings tatsächlich etwas fehlt, ist die Nähe der Küste. Arbeitstechnisch ist es dafür aber hier im Süden spannender als im Norden Deutschlands: Die Artenvielfalt ist viel größer.
Was machen Sie denn am liebsten in Ihrer Freizeit, Herr Krogmann?Auch in meiner Freizeit bin ich vor allem gern in der Natur, möglichst bei schönem Wetter und mit meinem kleinen Sohn. Darüber hinaus lese ich gerne und spiele hin und wieder Gitarre.
Herr Krogmann, vielen Dank für das interessante Gespräch!
Interview: Elsner