Auf dem Weg zum insektenfreundlichen Campus

Initiative für Insektenwiesen  [14.05.19]

Auf den Grünflächen zwischen den Campusgebäuden können Wildblumen und -kräuter den Insekten zu liebe länger wachsen. Bild: Uni Hohenheim.

Huflattich, Klee, Wildgräser, Margeriten: Wer zurzeit über den Campus schlendert, findet zwischen den Gebäuden viele ungemähte Grünflächen. Grund für den wildromantischen Anblick ist nicht gärtnerische Nachlässigkeit, sondern der Schutz von Insekten. Außerdem wurden zwei zusätzliche Flächen auf dem Campus als Bienenweiden ausgewiesen. Angesichts des dramatischen Insektensterbens in den letzten Jahrzehnten setzt sich eine neue Initiative an der Uni Hohenheim dafür ein, dass Maßnahmen wie diese auf dem Campus und darüber hinaus noch weiter Verbreitung finden.

 

Termin-Tipp zum Thema: Vortrag "Insektensterben: Fakten und Hintergründe" im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche: Mittwoch 15.5.19, 18 Uhr, TMS, Referent: Prof. Dr. Johannes Steidle.

Es sind nur erste Schritte, aber immerhin – es kommt allmählich etwas in Bewegung: Anstatt wie früher üblich lässt das Universitätsbauamt (Landesamt Vermögen und Bau) Grünflächen auf dem Campus in diesem Jahr nicht mehr im März, sondern erst Ende Mai oder Anfang Juli zum ersten Mal mähen.

Außerdem wird ein „Besser wär besser“-Vorschlag umgesetzt und eine ca. 550 m² große Grünfläche zwischen Verfügungsgebäude, Phytomedizin und Uni-Friedhof in eine sonnige Insektenwiese umwandelt. Nachdem dort einige kranke Bäume gefällt werden mussten, wurde der Boden zunächst aufgelockert und anschließend eine Wiesen-Saatmischung ausgebraucht.

Bienenweiden

Das Unibauamt hat zwei zusätzliche Flächen als Bienenweiden ausgewiesen: Hinter dem Verfügungsgebäude und am Schloss Westflügel.

Auch am Schloss sollen Bienen, Schmetterlinge und Co künftig mehr blühende Pflanzen vorfinden. Dazu hat das Unibauamt auf einem 450 m² großen Streifen an Südseite des Westflügels neue Beete mit Sommerblumen angelegt.

Hintergrund: Insektensterben


Der Hintergrund der Maßnahmen ist ernst. Seit Ende der 80er Jahre ist die Biomasse von Insekten in manchen Regionen Deutschlands um bis zu 80% zurückgegangen. Die Auswirkungen sind dramatisch, denn als Nahrungsquelle für Wildtiere und unverzichtbare Bestäuber von Pflanzen sind Insekten die Grundlage ganzer Ökosysteme.
 
In einem 9-Punkte-Plan haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Hohenheim in Kooperationen mit dem Naturkundemuseum im vergangen Jahr, Forderungen an die Politik zusammengestellt, um dem Insektensterben entgegenzuwirken.

Das wichtigste Handlungsfeld ist die Landwirtschaft. Insbesondere fordert die Expertinnen und Experten eine Einschränkung des Pestizideinsatzes, sowie ein Verbot von Neonikotinoiden und Totalherbiziden. Doch auch weitere Maßnahmen können einen effektiven Beitrag für den Schutz von Insekten leisten.

„Beispielweise sollten öffentliche Grünflächen insektenfreundlicher gestaltet werden: Mehr heimische Blühpflanzen statt mehr Grün in der Stadt. Rasenflächen müssen zu extensiven Mähwiesen umgestaltet werden“, sagt der Hohenheimer Biologe Prof. Dr. Johannes Steidle.

Schloss Innenhof

Auch ästehtisch ansprechend: Die Wiesen im Schloss Innenhof.

Vor der eigenen Haustür beginnen

Am liebsten würden die Hohenheimer Biologen vor der eigenen Haustür damit beginnen. „Auf dem Campus könnten wir mit gutem Vorbild vorangehen – und somit auch wertvolle Öffentlichkeitsarbeit für das Thema leisten“, findet auch Populationsgenetiker Prof. Dr. Martin Hasselmann. Allerdings ist nicht die Universität selbst für die Grünflächen zwischen den Gebäuden zuständig, sondern das Landesamt für Vermögen und Bau.

Seit knapp 2 Jahren sucht Hasselmann immer wieder das Gespräch mit der Landesbehörde. Inzwischen zeigt der Austausch erste Ergebnisse. Doch nach wie vor ist eine Menge Überzeugungsarbeit notwendig. Denn längst nicht jeder sieht in den wilden Wiesen eine Freude fürs Auge. Auch befürchtet das Bauamt Nutzungskonflikte, da Insektenwiesen z.B. von Studierenden nicht mehr als Liegewiesen genutzt werden können.

Vor allem aber bedeute weniger Mähen nicht automatisch weniger Aufwand. Wenn man Grünflächen regelmäßig mäht, kann das Schnittgut auf den Flächen liegen bleiben. Lässt man Wiesen hingegen länger wachsen, müsse es nach dem Mähen kostenpflichtig entsorgt werden, erklärt das Uni-Bauamt. Als Futtermittel sei das Schnittgut ungeeignet, u.a. weil sich auf öffentlichen Flächen immer auch Müll etc. darunter befinden kann.

Fahrrad

Vorbild: Tübingen

Dass trotz allen Herausforderungen Lösungen gefunden werden können, zeigt die Initiative „Bunte Wiese“ an der Uni Tübingen. Seit 2010 engagieren sich Beschäftigte und Studierende dort erfolgreich für den Artenschutz auf öffentlichen Grünflächen – und konnten das dortige Universitätsbauamt und die Stadt als Partner für ihr Anliegen gewinnen.

Neben der Erarbeitung von extensiven Mahdkonzepten führt die Initiative seit mehreren Jahren eine Bestandsaufnahme der Flora und Fauna im öffentlichen Grün durch, betreut Modellwiesen zur Demonstration und für Forschungszwecke, und beitreibt Öffentlichkeitsarbeit, um mehr Bewusstsein für innerstädtische Lebensräume zu schaffen.

Nach dem Tübinger Vorbild hat sich nun auch an der Uni Hohenheim eine Schwester-Initiative mit dem Namen „Grüne Wiese Stuttgart“ gegründet. Gelegenheit mehr über deren geplante Aktivitäten sowie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Insektensterben zu erfahren, gibt es bei einem Vortragsabend im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche in der TMS: Mittwoch 15.5., 18 Uhr, Referent: Prof. Dr. Johannes Steidle.

Text: Leonhardmair

Mehr zum Thema im Online-Kurier

Artikel zum Thema: Nachhaltigkeit | Campus | Insektensterben