200 Jahre Getreideforschung
Vom Hungerbrot zum Jubiläumsbrot [01.02.18]
Es ist ein Symbol, das 200 Jahre Getreideforschung in sich vereint: Das Hohenheimer Jubiläumsbrot, das die Familienbäckerei Treiber zusammen mit Hohenheimer Getreidewissenschaftlern speziell für das Jubiläumsjahr entwickelt hat. Bei einer Backaktion am Holzbackofen der Universität fiel jetzt der Startschuss für den Verkauf in den 32 Filialen der Bäckerei Treiber.
Gemeinsam stellten die Beteiligten das Jubiläumsbrot der Öffentlichkeit vor. „Wir freuen uns sehr, mit der Bäckerei Treiber einen kompetenten Kooperationspartner aus der Praxis gefunden zu haben, mit dem wir auch in der Vergangenheit bereits gut zusammengearbeitet haben“, erklärt Prof. Dr. Bernd Hitzmann, Getreidewissenschaftler an der Uni Hohenheim.
„Das Hohenheimer Jubiläumsbrot ist ein handwerklich hergestelltes Vollkornbrot aus Dinkel, Weizen, Roggen und Emmer“, lüftet Treiber-Geschäftsführerin Katharina Fischer das Geheimnis. „Außerdem enthält es Natursauerteig und eiweißreichen Biertreber.“ Das Ergebnis: Sehr überzeugend, fanden die Teilnehmer der Backaktion.
Brot vor 200 Jahren: Hungerbrote in Notzeiten
Von solchen Köstlichkeiten konnten die Menschen vor 200 Jahren nur träumen. „In der Gründungszeit der Universität Hohenheim aßen die Leute alles, was ihren Magen füllte“, erläutert Hitzmann. „Nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora, der damals in weiten Teilen der Welt für Missernten sorgte, hat man Brot mit allem gestreckt, was sich unter den Teig mischen ließ.“
Wie das aussah, zeigt Dr. Dieter Speidel, Agrarwissenschaftler und Hohenheimer Alumnus. Er hat aus Familienbesitz zwei Original-Hungerwecken aus dem Jahr 1817 mitgebracht. Arrangiert in einem kleinen Kästchen hinter Glas, mit der Inschrift „Anno 1817 haben diese 2 Creuzer Weken 2 1/2 Loth gewogen“. „Es waren offenbar Andenken an die Notzeit“, erklärt Speidel.
Hitzmann backt mit seinem Team an der Backaktion derartige Hungerbrote nach, angelehnt an überlieferte Rezepte aus dieser Zeit: „Moos oder Heu muten wir allerdings niemandem zu. Wir haben uns auf Zutaten beschränkt, die lebensmittelrechtlich zugelassen sind.“ Also Fasern aus Stroh, Spelzen und Holz.
Essbar ist das durchaus, konnten die Aktions-Teilnehmerinnen und Teilnehmer feststellen. Gebacken wurden die Hungerbrote wie vor 200 Jahren im historischen Holzbackofen, der auf Initiative der studentischen Organisation FRESH seinen Platz an der Hochschule fand. Sie duften gut und schmecken im ersten Moment auch nicht schlecht. Erst, wenn man den Bissen eine Weile im Mund behält, erahnt man das Problem der Hungerzeit: „Die Fasern machen zwar satt, doch sie enthalten keinerlei Vitamine und Nährstoffe“, fasst Hitzmann zusammen.
Brot heute: Kerngesunde Zutaten, köstlich im Geschmack
Es war der Gründungsauftrag der Uni Hohenheim, diesen Notzeiten möglichst rasch entgegenzuwirken. Seitdem treiben Agrar- und Lebensmittelwissenschaften Getreideanbau und -züchtung voran, verbessern Qualität und Backtechnik oder untersuchen die Umweltauswirkungen der Methoden.
Und manchmal erfährt das Alte dabei auch wieder eine Renaissance – wie im Fall des Urgetreides. Weizenforscher PD Dr. Friedrich Longin von der Landessaatzuchtanstalt ist Experte für alte Getreidearten: „Dinkel und Emmer, wie im Jubiläumsbrot verarbeitet, liegen nicht zu Unrecht im Trend der Zeit. Urgetreidearten sind geschmacklich vielseitig und weisen positive gesundheitliche Eigenschaften auf.“
Für die Verträglichkeit entscheidend sei jedoch offenbar vor allem die Zubereitungstechnik: Lange Gehzeiten, wie sie bei der Bäckerei Treiber üblich sind, verringern einer Hohenheimer Studie zufolge die Menge bestimmter Zucker im Teig. „Diese sogenannten FODMAPs stehen im Verdacht, bei vielen Menschen Beschwerden auszulösen“, erklärt Longin. „Zudem reduzieren lange Teigruhen auch die Menge an Acrylamid im Brot und sorgen dafür, dass mehr Mineral- und Geschmacksstoffe im Brot verfügbar sind.“
Biertreber: eiweißreich und nachhaltig
Biertreber, ebenfalls Zutat des Jubiläumsbrotes, findet bislang noch nicht allzu häufig den Weg in die Bäckerei. Meist wird das Nebenprodukt der Bierproduktion an Nutztiere verfüttert. „Dabei eignet sich Treber sehr gut für die menschliche Ernährung“, betont Katharina Fischer. „Er ist eiweißreich und macht das Brot saftig – und dem Nachhaltigkeitsgedanken tragen wir mit der Verwendung von Biertreber ebenfalls Rechnung.“
Das Team rund um Hitzmann führt ebenfalls Experimente mit Biertreber durch. „Im Rahmen von Humboldt reloaded-Projekten haben Studierende bereits in den zurückliegenden Semestern Treber-Brote getestet. In Vorbereitung sind Bachelor-Arbeiten zu diesem Thema.“, berichtet er. „Es ist eine sehr interessante Backzutat.“
Das Reformprojekt Humboldt reloaded ermöglicht bereits Bachelor-Studierenden, an der Forschung teilzuhaben und sich so von Anfang an für die Wissenschaft zu begeistern. Auch in diesem und dem kommenden Semester wird im Rahmen von Humboldt reloaded ein interdisziplinäres Projekt zum Thema Bier – einschließlich Biertreber – angeboten. Und hier schließt sich gewissermaßen der Kreis: Der Treber, den die Bäckerei Treiber für das Jubiläumsbrot verwendet, stammt von der Schönbuch Braumanufaktur – dem Kooperationspartner des Humboldt reloaded-Bierprojektes.
Text: Elsner
Bildergalerie von der Backaktion
Alle Fotos: Universität Hohenheim / Angelika Emmerling