Ausstellung zeigt historische Start-up Szene Hohenheims
Hidden Hohenheimer [15.06.18]
„Unternehmensgeschichten liefern Zeugnisse ab von dem Wagemut, Idealismus und Pioniergeist, die notwendig waren, um auf dem Markt nicht nur Fuß fassen, sondern auch langfristig bestehen zu können“, weiß Jutta Hanitsch, geschäftsführende Direktorin des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg.
Ihr war es ein besonderes Anliegen, die Geschichte derer zu erzählen, die historisch eine große Rolle gespielt haben, aber aus der öffentlichen Wahrnehmung größtenteils wieder verschwunden sind.
Dabei macht die Ausstellung auch deutlich, wie eng vernetzt die Start-up Szene im damaligen Stuttgart und Württemberg agierte. „Jeder war mit jedem bekannt, es gibt lauter Querbezüge und Verflechtungen und inmitten dieses Geflechts stößt man immer wieder auf die Universität Hohenheim“, erklärt Archiv-Direktorin Hanitsch.
Gustav Jäger: Von Wolle-Kult und Unternehmergeist
Anhand von vier Beispielen erzählt die Ausstellung die Geschichte des Baden-Württembergischen Aufschwungs. Im Raum Stuttgart spielte im 19. Jahrhundert vor allem die Textilindustrie eine tragende Rolle.
So findet sich unter den ausgewählten Unternehmern auch Gustav Jäger, Zoologie-Professor in Hohenheim. Mit seiner wollenen „Normalkleidung“ schuf er nicht nur ein neues Bewusstsein für Gesundheit und Lebenswandel, sondern erreichte auch Kultstatus. Seine Kleidung wurde im In- und Ausland verkauft. Seine Anhänger bezeichneten sich als „Jägerianer“. Dazu gehörten bekannte Persönlichkeiten wie Robert Bosch, Oscar Wilde, Edmund Hillary und Paul Pfleiderer.
Werner & Pfleiderer: Automatisierung und erste Großbäckereien
Letzterer war Mitgründer und Star der Firma „Werner und Pfleiderer“, die ebenfalls Teil der Ausstellung ist. „Werner und Pfleiderer“ machte sich ab 1879 mit Knet- und Mischmaschinen einen Namen. Später kamen große Bäckereibacköfen und schließlich Maschinen für die chemische Industrie, wie beispielsweise Lackiermaschinen, hinzu.
„Sein Kompagnon Hermann Werner Junior war der Sohn des damaligen Direktors der land- und forstwirtschaftlichen Akademie hier in Hohenheim“, erklärt Hanitsch. „Die beiden lernten sich beim Maschinenbau-Studium kennen und bauten die Firma gemeinsam auf.“
Beide Herren sind heute nur noch wenig bekannt. Ihre Maschinen jedoch bedeuteten damals eine Innovation: „Um 1900 war die Bevölkerung so zahlreich, dass es notwendig wurde, Nahrungsmittel im großen Stil zu produzieren. Die Backmaschinen von Werner und Pfleiderer ermöglichten die ersten Brotfabriken. Sie waren ein wichtiger Schritt zur Massenproduktion von Lebensmitteln.“
Familie Hartmann: Industriepioniere und Hochschullehrer
Ähnlich revolutionär war die Entwicklung der Firma Hartmann, die – wie die Universität Hohenheim – dieses Jahr ihr 200-jähriges Jubiläum feiert. „Bei den Hartmanns handelt es sich um eine regelrechte Verbandsstoff-Dynastie“, weiß Hanitsch. „Schon vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war das Unternehmen führend auf dem Gebiet der Entwicklung und Herstellung von Verbandsstoffen und Krankenpflegemitteln mit Produktionsstätten im In- und Ausland. Und sie sind es noch heute.“
Gegründet wurde das Unternehmen von Ludwig Hartmann, später wurde es von Generation zu Generation weitervererbt. Sein Sohn Paul war es, der von einem innovativen neuen Material hörte und beschloss, es als erster in Deutschland industriell zu produzieren: Watte. „Gerade während des Krieges erwies sich die Watte in der Medizin als extrem hilfreich. Sie war relativ günstig zu produzieren, leicht und sehr saugstark“, erklärt Hanitsch. Dass die Hartmanns ohnehin schon eine Baumwollfabrik besaßen, machte diesen Unternehmenszweig noch attraktiver.
Der Bruder des Firmengründers, August von Hartmann, schlug indes einen anderen Weg ein: Er studierte Kameralwissenschaft und übernahm später die oberste Aufsicht über sämtliche von Königin Katharina gegründeten Wohltätigkeits- und Erziehungsanstalten – die heutige Universität miteingeschlossen. Noch heute erinnert die August-von-Hartmann-Straße auf dem Campus an seine Verdienste.
Ludwig Beckh: Die Bedeutung von Zeitzeugen
Ausstellung Hidden Hohenheim |
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Die Ausstellung ist vom 25. Juni bis 13. Juli (außer 6.-8. Juli) in der Säulenhalle von Schloss Hohenheim zu sehen. |
„Über die Firmengeschichten und auch die Beziehungen der Unternehmer untereinander wissen wir aus Geschäftsunterlagen und Briefen verhältnismäßig viel“, so Hanitsch, „Viel seltener sind Darstellungen von alltäglichen Arbeitsabläufen. Wie hat es in den Fabriken ausgesehen, wie war der Umgang, wie sah ein herkömmlicher Arbeitstag aus?“
Deshalb sei es ihr wichtig gewesen, dass auch ein Zeitzeugenbericht einen Platz in der Ausstellung habe. Der in Stuttgart ansässige Ingenieur Ludwig Beckh schrieb über 55 Jahre lang jeden Tag ausführlich Tagebuch. Er berichtet von seinem Privatleben und seiner Arbeit, seinen Reisen und Erlebnissen.
„Ein so ausführliches und lückenloses Zeitzeugnis ist sehr selten“, so Hanitsch, „Wir erfahren aus Sicht eines Beteiligten, was um 1900 in Hohenheim und Stuttgart passierte und wie er dazu stand.“ Beispielsweise berichte Beckh nicht nur vom Bau des 1920 eingeweihten Stuttgarter Bahnhofs, sondern auch von den bereits zehn Jahre zuvor beginnenden Diskussionen darum. „Hier werden neben Fakten auch Eindrücke und vermeintliche Belanglosigkeiten überliefert“, erklärt Hanitsch, „Erst solche Dokumente ermöglichen es, sich den Alltag um 1900 wirklich vorzustellen und sich ein Bild davon zu machen, wie es beispielsweise in Fabriken und Privatwohnungen zu dieser Zeit ausgesehen haben könnte.“