Jubiläums-Countdown

Studie zur Hohenheimer NS-Vergangenheit  [10.11.17]

Jubiläums-Countdown (7): Auch dunkle Kapitel sollen nicht ausgespart werden, wenn Hohenheim im Jubiläumsjahr auf die 200-jährige Geschichte zurückblickt. Seit Frühjahr 2016 beschäftigt sich ein Forschungsprojekt mit der NS-Vergangenheit der Universität und deren Folgen über das Kriegsende hinaus. Einen ersten Einblick in die laufende Forschung gibt das heute erscheinende Magazin „Momente“ zur Geschichte Baden-Württembergs.

Gleichschaltung der Hochschulen: 1933 beendet die NS-Regierung das Recht der Professoren, den Rektor aus ihrer Mitte zu wählen. Stattdessen ernennt Reichsstatthalter Wilhelm Murr (in Uniform) den ihm genehmen Professor Percy Brigl (mit Zylinder) zum Rektor und „Führer der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim“.


Die Vorbereitungen für das Jubiläumsjahr 2018 laufen auf Hochtouren. Der Jubiläums-Countdown im Online-Kurier berichtet bis Jahresende einmal pro Woche über geplante Projekte.


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Im Jubiläumsjahr ist eine ganze Reihe von Geschichts-Projekte geplant, u.a. zu Themen wie dem Vulkan Tambora, berühmten Hohenheimerinnen und Hohenheim, dem studentisches Leben oder Frauen an der Universität.

Doch die Uni will den historischen Rückblick auch nutzen, um sich einer Auseinandersetzung zu stellen, die bislang noch kaum stattgefunden hat: Wie sieht das volle Ausmaß der Hohenheimer NS-Verstrickungen aus? Was lässt sich über die in Hohenheim beschäftigten Zwangsarbeiter herausfinden? Gab es verdrängte Hochschulmitglieder? Wie veränderten sich Forschung und Lehre? Wie verlief die Entnazifizierung? Wie gelang es belasteten Personen nach Kriegsende Karriere in Hohenheim zu machen – bis hin zur Position des Rektors?

Zur Erforschung dieser und weiterer Fragestellungen beauftragte die Uni Hohenheim auf Anregung aus dem Universitätsrat im Frühjahr 2016 eine außenstehende Historikerin.

Dr. Anja Waller wertet seit anderthalb Jahren Akten aus dem Universitätsarchiv aus, durchforstet Quellen in den Archiven der Länder und des Bundes, sichtet Unterlagen des internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes zum Schicksal von Zwangsarbeitern und recherchiert in den Kirchenarchiven von Rottenburg und Stuttgart. Unterstützt wird sie von Prof. Dr. Andreas Gestrich, dem Leiter des Deutschen Historischen Instituts in London als wissenschaftlichem Beirat.

Die Arbeit der Historikerin ist noch nicht abgeschlossen. Einen ersten Einblick in die laufende Forschung gibt Dr. Waller vorab in einem Beitrag des heute erscheinenden Magazins „Momente“ zur Geschichte Baden-Württembergs.

Fachtagung und Gedenkveranstaltung im Jubiläumsjahr

„Im Vergleich zu vielen anderen Institutionen muss sich die Universität Hohenheim den Vorwurf gefallen lassen, dass sie den Schritt zur Aufarbeitung sehr spät gegangen ist“, sagt Unirektor Stephan Dabbert. „Doch wer sich einer 200-jährigen Geschichte mit vielen Erfolgen rühmen will, darf auch die dunklen Kapitel darin nicht ausblenden. Im Jubiläumsjahr 2018 werden wir daher die Ergebnisse des Projektes der Öffentlichkeit vorstellen und der Bedeutung einer umfassenden historischen Rückbesinnung für die Gegenwart Rechnung tragen.“

Geplant sind u.a. eine Fachtagung am 26. Februar 2018 und eine Gedenkveranstaltung am 12. November 2018.

„An verschiedenen Stellen auf dem Campus und auch im Hohenheimer Schloss finden wir auch heute noch Verweise auf Personen und Ereignisse, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus stehen. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung wollen wir auch diese Orte in ihrem historischen Kontext kenntlich und der Diskussion zugänglich machen“, so der Rektor.

Hohenheimer Besonderheiten noch Gegenstand der laufenden Forschung

Was NS-Karrieren betrifft, sei Hohenheim leider keine Ausnahme gewesen, erklärt Historikerin Dr. Waller: „Die bisherige Forschung hat bereits gezeigt, dass es sich bei den teilweise sehr steilen NS-Karrieren von Wissenschaftlern um erschreckend normale Biographien handelt, die oft auch über das Kriegsende hinaus erfolgreich verliefen. Das war in Hohenheim nicht anders als an anderen Hochschulen“ erklärt Dr. Waller.

Eine dieser Karrieren zeichnet sie in dem Beitrag für das Geschichtsmagazin „Momente“ nach. Es handelt von dem Aufstieg von Otto Siegel, Student und Gründer der Hochschulgruppe des NS Studentenbundes in Hohenheim. Ihm habe vor allem sein politisches Engagement den Weg in die Wissenschaft bis zum Posten eines Institutsdirektors in der besetzten Ukraine geebnet. Nach dem Krieg sei ihm die Rückkehr auf eine außerordentliche Professur in Mainz gelungen. In den 70er Jahren sei die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz erfolgt.

Die Hohenheimer Besonderheiten sind derzeit noch Gegenstand der laufenden Forschung. Dazu gehöre der Umgang mit den Hohenheimer Zwangsarbeitern und die Folgen der NS-Zeit vor allem in den 50er und 60er Jahren.

Dabei untersucht Dr. Waller auch, wie die Hochschule mit Einzelpersonen umging, die die Hochschule zu Unrecht verlassen mussten und gerne zurückkehren wollten – und wie sie sich gegenüber belasteten Personen verhielt. Prominentestes Beispiel für die zweite Kategorie sei der Agrarhistoriker und SS-Hauptsturmführer Günther Franz, der der Hochschule von 1963 bis 1967 sogar als Rektor vorstand.

Gemeinschaftsgeist und national-konservativer Nährboden begünstigen NS-Engagement

Aus historischer Sicht stelle Hohenheim durchaus einen besonderen Fall dar, so Dr. Waller. Schon in den 1920er Jahren sei die Stimmung in Hohenheim vorwiegend konservativ-nationalistisch geprägt gewesen. Der Anteil jüdischer Studenten sei gering gewesen, Studentenverbindungen aus dem linken oder republikanischen Spektrum hätten gar nicht erst existiert. Entsprechend niedrig sei die Zahl der Hochschulangehörigen, die in den 30er Jahren aus der Hochschule gedrängt worden seien.

Eine Ursache dafür sei die abgeschiedene Lage und die sehr überschaubare Anzahl an Hochschulmitgliedern: „Mit ihrem Standort auf den Fildern war die damalige Hochschule vom Großstadtleben im Stuttgarter Talkessel ziemlich isoliert: In Hohenheim gab es keine städtischen Angebote. Es gab kaum Kulturprogramm. Und es gab auch keine Vielfalt an wissenschaftlichen Disziplinen, die verschiedene geistige Impulse gebracht hätten.“

Im Kreis Stuttgart sei Hohenheim die letzte Hochschule gewesen, an der der NS-Studentenbund Fuß fasste. Dafür habe der NS-Studentenbund direkt nach der Gründung bereits 16 Mitglieder besessen. „Bei nur 117 Studenten bedeutete das eine Quote von 14 Prozent. Das sind mehr als dreimal so viele, wie der Durchschnittswert von 4 Prozent an anderen Hochschulen im Deutschen Reich“.

Pläne für eine NS-Musteranstalt scheiterten

Hinzu kommt eine weitere Besonderheit:  Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts seien alle anderen landwirtschaftlichen Hochschulen in größere Universitäten eingegliedert worden. Nur Hohenheim sei akademisch eigenständig geblieben.

Die NS-Regierung habe deshalb Pläne verfolgt, die Hochschule zur nationalsozialistischen Musteranstalt auszubauen. Auch Reichsbauernführer Alfred Arnold habe entsprechend deutliche Erwartungen an die Hochschule formuliert. „Dort fanden die Pläne jedoch kein Gehör, weil  sie als zu starke Einmischung eines Nicht-Akademikers empfunden wurden.“

In den Kriegsjahren selbst engagierten sich Hohenheimer Dozenten im NS-Kader bei der Umsetzung des „Generalplan Ost“. Zur gleichen Zeit seien in Hohenheim rund 250 Zwangsarbeiter beschäftigt worden.

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