Führung um den Meiereihof

Ein Kuhleben für die Forschung – Tierhaltung auf dem Meiereihof

Raoul von Schmettow ist einer von 5 Mitarbeitern, die die Tiere auf dem Meiereihof betreuen. Am Tag der offenen Tür führt er Besucher um den Stall in der Nähe des Hohenheimer Schlosses. Im Interview beantwortet der Versuchstechniker die häufigsten Besucherfragen.

Mit einem Eimer Wasser und mehreren Päckchen Kraftfutter betritt die Tierpflegerin den Stallbereich, in dem die bekanntesten Versuchstiere der Universität Hohenheim stehen: Die pansenfistulierten Kühe. Das sind Kühe der Rasse Jersey, die zu Versuchszwecken einen künstlichen Zugang zum Pansen, dem größten der Kuhmägen, bekommen haben - eine sogenannte Pansenfistel.

Kaum hat die Pflegerin den Stallbereich betreten, trottet die erste Kuh an, stupst sie mit dem Maul und bleibt für ihre Behandlung stehen. Jeden Tag überprüft eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, ob die Pansenfistel in ihrer linken Bauchseite richtig sitzt, reinigt sie mit warmem Wasser und reibt die Ränder mit pflegender Salbe ein. Währenddessen gibt es zur Belohnung eine Portion Kraftfutter, dann ist Kuh Cosima entlassen und kehrt zu ihren Artgenossinnen zurück.

Trotz der friedlichen Szene: Bei Erstbesuchern kann der Anblick der Pansenfistel  ein gewisses Unbehagen auslösen, weiß Versuchstechniker Raoul von Schmettow, der auch Besuchergruppen führt. Deshalb laute auch eine der am häufigsten gestellten Fragen der Besucher:


Warum macht man Kühen Löcher in den Bauch?

Von Schmettow: Fünf der Tiere hier haben eine sogenannte Pansenfistel. Diese Fistel lässt sich öffnen, um Proben des Mageninhaltes zu entnehmen. Die Wissenschaftler der Universität untersuchen hier, welche Auswirkungen unterschiedliche Futtermittel auf die Verdauung der Tiere haben, zum Beispiel, um Alternativen zum Importsoja zu finden oder die Bildung von klimaschädlichem Methangas zu verringern. Über die Fütterung können sie so zu einer nachhaltigeren Viehhaltung beitragen.

Auf diese Weise wird in Hohenheim und an anderen Universitäten schon seit mehreren Jahrzehnten geforscht. An den Mageninhalt heranzukommen war früher jedoch deutlich schwieriger: Man musste entweder die Kuh schlachten oder ein Schlundrohr durch die Speiseröhre in den Magen einführen. Das war für die Kühe sehr unangenehm, sie haben sich gewehrt und mussten festgebunden werden. Von der Probenentnahme durch die Fistel bekommen die Tiere dagegen fast nichts mit¸ sie stehen – wie Sie sehen -  ganz entspannt da.

Leiden die fistulierten Kühe nicht unter dem künstlichen Mageneingang?

Von Schmettow: Nein. Die Fistel wird unter Narkose operativ eingesetzt. Die Ränder werden täglich gereinigt und mit Zinksalbe eingecremt, damit keine Entzündungen entstehen. Rund um den Plastikzugang sitzt ein Schaumstoffpolster, damit nichts drückt oder scheuert. Der Plastikeinsatz ist beweglich und nicht fest angebracht, er macht also die Bewegungen der Kuh mit. Und es gibt keinerlei Anzeichen für Schmerz oder Stress bei den Fistelkühen.

Das ist vergleichbar mit einem künstlichen Darmausgang beim Menschen, zum Beispiel nach einer Krebserkrankung. Ein großer Teil der Belastung für den Menschen ist aber psychologisch und hat auch mit Scham zu tun. Kühe empfinden diese Scham nicht, für sie ist die Fistel auch in dieser Hinsicht kein Problem.

Die größte Belastung für die Tiere besteht darin, dass sie nach der Operation  zwei Wochen lang nur die halbe Futtermenge bekommen. Grund dafür ist, dass der Panseninhalt nicht an die frisch eingesetzte Fistel schwappen soll, wo er möglicherweise Entzündungen auslösen könnte. Nach zwei Wochen Diät werden die Kühe wieder ganz normal gefüttert. Auch hier lässt sich ein Vergleich zum Menschen finden: Menschen, die operiert werden, dürfen ebenfalls vor und nach der Operation nicht genauso essen wie sonst.


Während Cosima weiter mampft, wendet der Versuchstechniker sich dem gegenüberliegenden Stallteil zu. Hier steht die größte Gruppe Kühe: 36 Tiere der Rasse Deutsche Holstein auf 330 Quadratmetern. „Das ist etwas über den Empfehlungen von 8 - 9 Quadratmeter pro Tier.“ 

Das Thema Tierwohl, berichtet von Schmettow, treibe viele seiner Besucher um. Sie wollten wissen, dass es den Tieren hier und anderswo gut geht. „Die Vorstellungen davon, wann es einem Tier gut geht, sind dabei oft stark von den eigenen, menschlichen Bedürfnissen abgeleitet. Man kann aber nicht von sich selbst unmittelbar auf die Tiere schließen“, so von Schmettow. Ein Beispiel:



Wären die Kühe auf der Weide nicht glücklicher?

Von Schmettow: Auf dem Meiereihof stehen die Kühe die meiste Zeit im Stall, denn auf der Weide können wir die Futteraufnahme nicht messen. Auf die Weide kommen deshalb nur die trockenstehenden Kühe. Das sind Kühe, die in den 8 Wochen vor der nächsten Kalbung gewissermaßen Urlaub haben und nicht mehr gemolken werden.

Doch Kühe wollen gar nicht immer draußen sein. Auch wenn es auf der Weide schattige Plätze gibt - gerade im Hochsommer sind die Kühe, vor allem tagsüber, lieber im Stall. Hier ist es schattig, es gibt deutlich weniger Fliegen, durch die offenen Seitenwände entsteht ein kühlender Luftzug, und ab 20 Grad Stalltemperatur bewegen zwei große Deckenventilatoren zusätzlich die Luft im Stall. Kühe haben es eben gerne kühl. Nur wenn der Winter Minusgrade bringt, werden Seitenwände und Stalltor geschlossen.

Also geht es den Kühen hier gut?

Von Schmettow: Absolut. Das geht bis zur Stalleinrichtung: So entstanden in diesem Stall einige Erfindungen für das Tierwohl, die heute in Ställen auf der ganzen Welt zu finden sind. Beispiele hierfür sind die weichen Gummimatten als Bodenbelag, oder auch die automatischen Bürsten,  an denen die Kühe ausgiebig ihrem Bedürfnis nach Fellpflege nachgehen können.

Gerne zeigen wir auch unseren Melkstand, in dem die Kühe zweimal am Tag gemolken werden. Wir haben hier eine besonders tiergerechte Anlage: Durch eine besondere Stimulationstechnik, die sich sehr stark am Saugen des Kalbes orientiert, werden die Kühe sanft, aber nachhaltig zum Milchgeben angeregt. Durch das sehr niedrige Melkvakuum passiert dies sehr schonend für den Euter.

Dass es den Tieren gut geht, merkt man auch an der Milchleistung: Die Hohenheimer Kühe geben bei guter Gesundheit im Durchschnitt pro Jahr mehr als 11.000 Liter Milch – das sind fast 3.000 Liter mehr als der deutschlandweite Schnitt. Die Milch hat die beste Qualität und wird ganz normal an eine Molkerei verkauft und weiterverarbeitet.

Kann ich mich selbst davon überzeugen, dass es den Tieren hier gut geht?

Von Schmettow: Ja, allerdings nur in Begleitung. Dafür bieten wir für interessierte Besucher am Tag der offenen Tür der Universität Führungen um den Stall an, bei denen wir genau erklären, was hier geforscht wird. Auch die fistulierten Kühe kann man dabei sehen – allerdings nur von außen.

Grund dafür sind die strengen Hygiene-Regeln: Außer den Mitarbeitern dürfen nur Wissenschaftler und Studierende den Stall betreten und müssen dann einen Ganzkörper-Anzug und Plastik-Überschuhe überziehen, damit mit der Kleidung keine Krankheitserreger in den Stall geschleppt werden. Hände waschen und desinfizieren ist Pflicht.

Ähnliches gilt für die Mitarbeiter: Sie haben ihre Stallkleidung in der Umkleide hängen und ziehen sich jedes Mal vor Betreten des Stalles um. Beim Melken oder beim Reinigen der Fisteln tragen sie Gummihandschuhe.

Aber ansonsten sieht es hier aus wie in jedem anderen Stall?

Von Schmettow: Nicht ganz. Für die verschiedenen Versuche sind hier diverse Messeinrichtungen installiert. Zum Beispiel hier, die Futtertröge entlang des Mittelgangs: Sie stehen alle auf Waagen und haben ein Tor mit einer Chiperkennung. Mit Hilfe dieser Futtertröge können wir messen, wann und wie viel jede Kuh frisst. Und wir können steuern, dass sie nur ein bestimmtes Futter frisst. Wenn eine Kuh an einem Trog nicht fressen darf, bleibt das Tor geschlossen.

Die Daten werden an den Meßstellen im Stall erfasst, mit Hilfe der Nummer auf dem Chip der richtigen Kuh zugeordnet und zur Datenbank im PC geschickt. Im Melkstand werden - nachdem die Kuh identifiziert wurde - dem Melker Informationen aus dem Computer zur Verfügung gestellt. Im Halsband ist nur eine Information: Die Kuh-Nummer.

In bestimmten Versuchen tragen einige Kühe einen Halfter mit einer Messung der Kau- und Wiederkauschläge. Solche Halfter oder vergleichbare Techniken könnten Bauern in Zukunft einsetzen, um die Futteraufnahme auf der Weide besser abzuschätzen oder Erkrankungen früher zu erkennen.

Im Melkstand werden z.B. die Milchmenge, der Milchfluß und der elektrische Leitwert der Milch gemessen. Veränderungen des Leitwertes können zum Beispiel auf eine gerade entstehende Euterentzündung hinweisen. Jedes Tier trägt außerdem ein Band mit einem Schrittzähler am Fuß, der erfasst wie viel sie sich bewegt. Und die Reinigung im Stall übernimmt ein automatischer Putzroboter. 

Einige der technischen Einrichtungen wie die Futtererfassung für das Einzeltier sind für normale Milchkuhbetriebe zu teuer, auch wenn sie es erlauben würden, die Futteraufnahme jedes einzelnen Tieres genau zu erfassen. Andere dieser Technologien finden gerade Eingang in die Praxis. Für unsere Wissenschaftler hier an der Uni liefern die Einrichtungen eine große Menge an wertvollen Daten.

Interview: Dorothee Barsch