Veröffentlicht am 26.10.2018
Ein Deckel des Schweigens lag Jahrzehnte darüber, wie Hohenheimer Rektoren, Wissenschaftler und Studierende in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt waren. Überfällige Aufklärung leistet Historikerin Dr. Anja Waller mit ihrer aktuellen Publikation „Erschreckend einwandfrei“ über die NS-Zeit und ihre Folgen an der Universität Hohenheim. Die Buch-Präsentation findet am 12.11. im Rahmen einer Gedenkveranstaltung auf dem Campus statt. Der Online-Kurier stellt im Vorfeld in einer Artikelserie Ergebnisse der historischen Untersuchung vor. Teil 2: NS-Rektoren und Entnazifizierung.
Campus-Besucher, die nach einem Spaziergang im Park die obere Schlossetage erkunden, kommen an der Ahnengalerie der Hohenheimer Rektoren vorbei. In der Reihe von 1818 bis heute können sie rein äußerlich keine Brüche wahrnehmen. Die Portraits vor Aula und blauem Saal sowie im Gang vor dem Rektorzimmer hängen unterschiedslos nebeneinander. Darunter glühende NS-Ideologen ebenso wie Wissenschaftler, die in der NS-Zeit von der Hochschule verdrängt wurden. Ohne weiteren Kommentar – bislang noch.
Man mag in dieser Form der Präsentation etwas Symptomatisches sehen: Denn tatsächlich hat an der Landwirtschaftlichen Hohenheim weder zu Beginn noch am Ende der NS-Zeit ein fundamentaler Umbruch stattgefunden. Und eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung findet erst jetzt, über 70 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus, statt.
Ausgewählte Rektorbiographien
Als Teil der virtuellen und realen Erinnerungspunkte veröffentlicht das Projekt biographische Hinweise zu 12 Rektoren, die vom Nationalsozialismus zu profitieren wussten oder auch Nachteile erlebten. mehr
Abhaken, Vergessen, Verdrängen
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, muss in Hohenheim niemand mehr bekehrt werden. Die komplette Hochschule von den Studierenden bis zum Rektor steht ab der ersten Stunde bereit, sich in vorauseilendem Gehorsam in den Dienst der NS-Ideologie zu stellen. Das Kriegsende 1945 verläuft abermals auffällig geräuschlos. Hohenheim gehört zu den ersten Hochschulen in der amerikanischen Besatzungszone, die ihre Lehre wieder in vollem Umfang aufnehmen.
Man gibt sich nach außen geläutert, begrüßt, dass im Sommer 1945 an ausgewählten Hohenheimer Wissenschaftlern ein Exempel statuiert wird – und ist in der Folge bestrebt, schnellst möglich einen Haken unter das Kapitel Nationalsozialismus zu setzen.
Lediglich die ehemaligen Zwangsarbeiter, die nach Kriegsende noch immer in Hohenheim leben und, auf amerikanischen Erlass hin, durch die Hochschule versorgt werden müssen, stören bei diesem Vergessen. Ebenso wie die Entnazifizierungsverfahren von Hochschulmitgliedern, die sich in einigen Fällen lästig in die Länge ziehen. Schnell sieht man sich gar in der Opferrolle. Kritische Fragen über die Biografie neuer Professoren kommen in Hohenheim gar nicht erst auf.
„Verschiedene Umstände mögen dazu beigetragen haben, dass es in Hohenheim in den folgenden Jahrzehnten erfolgreicher als anderswo gelingt, die eigene Verantwortung auszublenden und zu verdrängen. Dass Hohenheimer Wissenschaftler und Rektoren in die Verbrechen des NS-Regimes im Grunde nur wenig verstrickt gewesen wären, lässt sich als Erklärung dafür jedoch nicht ins Feld führen“, stellt Historikerin Dr. Anja Waller klar.
Aufklärung zu Rektor-Biografien
Anlässlich des Jubiläums ist auch an der Uni Hohenheim das Unbehagen bezüglich des Umgangs mit der eigenen NS-Vergangenheit erwacht. Im Rahmen einer Gedenkfeier am 12.11. werden unter anderem 15 Rektorportraits (14 Fotografien und ein großformatiges Gemälde) mit Info-Tafeln versehen, inklusive QR-Codes, die zu umfangreicheren Informationen führen.
„Die Hohenheimer Rektoren haben maßgeblich zur schnellen und erfolgreichen Gleichschaltung der Hochschule unter dem Zeichen der menschenverachten NS-Ideologie beigetragen. Ihre herausgehobene Position und damit verbundenen individuelle Verantwortung macht die Aufklärung über ihre Biografien besonders wichtig“, so Waller. „Zugleich lässt sich auch die Rolle der Rektoren nur verstehen, wenn man sie als Akteure in einer größeren, schleichenden Entwicklung an der Hochschule wahrnimmt, die weit vor 1933 begann und an der zahlreiche Wissenschaftler, Beschäftigte und Studierende ihren Anteil gehabt haben.“
Riss durch die Generationen
In den Jahren vor der Machtergreifung herrscht unter Hohenheimer Wissenschaftlern ein einheitliches national-konservatives Weltbild vor. Man hadert mit dem Ausgang des Krieges, sieht Deutschland ungerecht behandelt, wünscht sich neue Stärke für die Nation. Den Aufstieg der Nationalsozialisten beobachtet man mit stillem Wohlwollen oder offener Begeisterung. Gegenstimmen, wie sie an den meisten anderen Hochschulen zumindest vereinzelt existieren, gibt es in Hohenheim nicht. Die Machtergreifung 1933 wird unter Professoren und Wissenschaftler unisono begrüßt.
Dennoch zieht sich ein Riss durch die Generationen. Die Älteren haben den ersten Weltkrieg noch selbst an der Front miterlebt. Sie wünschen sich nach schwierigen Jahren vor allem politische Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung. Den Nationalsozialisten trauen sie zu, einen solchen Wandel am ehesten zu bewirken. Eintritte in die NSDAP vor 1933 gab es unter den älteren Hohenheimer Professoren jedoch nicht.
Die Jungen kennen die Greul des Kriegs hingegen nur aus Erzählungen, hatten in den Folgejahren als Heranwachsende jedoch unter wirtschaftlicher Not zu leiden. Sie sind besonders empfänglich für Verschwörungstheorien, wonach die Sozialdemokratie und andere demokratische Politiker die eigentlich Schuldigen der militärischen Niederlage gewesen seien. Die ideologische Antwort der Nazis nehmen sie mit Begeisterung auf. Junge Wissenschaftler treten häufig deutlich vor 1933 in die Partei ein. Im Selbstverständnis eine gesellschaftliche Avantgarde zu sein entwickeln sie zunehmend ein Zusammengehörigkeitsgefühl an der Landwirtschaftlichen Hochschule.
Reibungsloser Übergang
Dieser Generationenbruch lässt sich auch unter den Hohenheimer Rektoren während der NS-Zeit nachvollziehen.
Der Agrarchemiker Percy Brigl, ist bei seiner Rektoratsübergabe am 2. Mai 1933, 47 Jahre alt. Das Rektoramt in Hohenheim übt er bereits zum zweiten Mal aus. In seiner Zeit werden die Weichen die für die nationalsozialistische Gleichschaltung der Landwirtschaftlichen Hochschule gestellt. Brigl kooperiert.
Unangenehme Entscheidung bleiben ihm als Rektor allerdings weitgehend erspart, da es in Hohenheim als Hort des national-konservativen Denkens ohnehin keine linken, demokratischen oder republikanischen Bewegungen gibt. Als Studierende und Wissenschaftler neue NS-Lehrinhalte wie Eugenik und Rassenhygiene einfordern, setzt sich Brigl dafür ein, dass diese mit größtmöglicher Fachkompetenz unterrichtet werden.
NS-Visionäre gesucht
„Als glühender NS-Anhänger lässt Brigl trotzdem kaum beschreiben. So spricht er sich beispielsweise gegen die geforderte Entlassung Adolf Münzingers aus, eines renommierten Hohenheimer Wissenschaftlers, der bis zuletzt ohne Parteiabzeichen und SA-Mitgliedschaft blieb. Brigl selbst tritt erst 1937 in die NSDAP ein“, so Waller.
Dem NS-Regime muss Brigl zu vorsichtig, zu nett, zu inkonsequent erschienen sein. Immerhin hegt man höchste Erwartungen in Bezug Hohenheim. Die Nationalsozialisten wollen dem deutschen Volk neuen Raum im Osten erschließen. Der Agrarwissenschaft kommt für die Umsiedlungspolitik eine Schlüsselrolle zu und Hohenheim soll zur nationalsozialistischen Kaderschmiede ausgebaut werden. Brigl erscheint für solche Visionen ganz offensichtlich als falscher Mann. Er muss seinen Rektorposten bereits nach einem Jahr mit einem warmen Händedruck räumen.
Ähnlich ergeht es seinem Nachfolger Alfred Beck, der ebenfalls noch zur älteren Wissenschaftler-Generation gehört. Vor seiner Ernennung hatte er Brigl als Sonderbeauftragter des Ministeriums kontrolliert. Als er selbst Rektor wird erfüllt Beck allerdings ebenfalls nicht die in ihn gesetzten Erwartungen. Auch er muss vor Ende der regulären Amtszeit gehen. Beck scheint dies persönlich zu nehmen und verlässt in der Folge die Landwirtschaftliche Hochschule.Die Jungen übernehmen
Rektorwahlen finden an der Landwirtschaftlichen Hochschule inzwischen nur noch pro forma statt – und haben keinerlei bindende Wirkung. Obwohl sich eine Mehrheit des Senats erneut für Alfred Beck ausspricht, wird mit dem 32-jährigen Peter Carstens seitens des Ministeriums nun erstmals ein Vertreter der jungen Generation an die Spitze der Hochschule befördert.
Carstens hat in Hohenheim studiert, promoviert und über „Rassenvergleichende Untersuchungen am Hundeskelett“ habilitiert. Seine Berufung als Professor für Tierzucht ist gerade ein Jahr her. Parallel hat der ambitionierte Wissenschaftler mit 32 Jahren bereits eine steile NS-Karriere hingelegt: 1930 Einritt in NSDAP und SA, 1933 Übertritt zur SS und Ernennung zum Oberscharführer, 1934 Ernennung als Führer des Rasse- und Siedlungsamt der SS, dazu zahlreiche politische Ämter. Das Rektoramt in Hohenheim soll nicht seine letzte Karrierestation bleiben.
Auf dem Weg zur NS-Kaderschmiede
Mit Carstens hält ein neuer Wind in Hohenheim Einzug. Die jungen, glühenden Nationalsozialisten unter den Wissenschaftlern sehen sich im Aufwind und versuchen sich zunehmend von Trittbrettfahren abzugrenzen, die erst 1933 in die NSDAP eingetreten sind und als „Märzgefallene“ verspottet werden.
Die tief empfundene nationalsozialistische Gesinnung wird allmählich zum alles entscheidenden Maßstab an der Hochschule. Wer etwa während Führer-Ansprachen im Radio gleichgültig weiterarbeitet muss um seinen guten Ruf fürchten. NSDAP-Mitglieder mit niedriger Mitgliedsnummer werden bei Beförderungen und Verwaltungsakten bevorzugt.
Carstens will Hohenheim zu einer nationalsozialistischen Musteranstalt ausbauen, einer Elite-Hochschule für den NS-Nachwuchs. Viel Raum in seinen Planungen nimmt dabei etwa die Ansiedlung einer Reit- und Fahrschule in Hohenheim ein. Zur Umsetzung sollte es allerdings nicht mehr kommen.
„Keine Planänderung des Regimes, sondern der bevorstehende Krieg muss als Grund dafür angesehen werden“, betont Waller. „Man ging von einem schnellen Sieg aus und vertagt den Ausbau der Hochschule auf die Zeit danach.“
Von der Theorie zur menschenverachtenden Praxis
Der Karrierist Carstens beendet seine Rektortätigkeit in Hohenheim nach drei Jahren freiwillig, um sich neuen Herausforderungen zu stellen. Bevor er als 1941 als Rektor an die neu gegründete Reichsuniversität Posen wechselt findet er als Leiter des SS-Ansiedlungsstab Polen noch Gelegenheit, wissenschaftlich ausgearbeitete Pläne zur Umsiedlung von „Volksdeutschen“ in die Ostgebiete praktisch in die Tat umzusetzen.
Dabei bezieht Carstens auch Hohenheimer Studierende ein, die ihn im Rahmen einer „Exkursion“ in Polen besuchen. Die Aufgabe der Studierenden: Bei der „Räumung“ polnischer Betriebe helfen, enteignete Höfe kartographieren und die reibungsfreie Übernahme durch „volksdeutsche“ Bauern vorbereiten. Eine Tätigkeit, der großes Gewicht beigemessen wird: Schließlich lassen Tierbestände und zu bewirtschaftende Felder keinen längeren Leerlauf zu.Umkehrung der MachtverhältnisseAls Rektoren in Hohenheim folgen bis Kriegsende Erhard Jung, Walter Zimmermann und Emil Lowig. Sie alle gehören ebenfalls der jüngeren Generation begeisterter Nationalsozialisten an und führen die Hochschule im selben Geist weiter.
Die Karriere von Walter Zimmermann kann dabei als Paradebeispiel für eine typische Umkehrung von Machtverhältnissen während der NS-Zeit stehen. Sein extrem früher Parteieintritt 1925 (Mitgliedsnummer 1857!) macht aus dem wissenschaftlichen Assistenten nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten plötzlich eine große Nummer.
Diese politische Macht spielt Zimmermann schamlos aus – und macht seinem Chef am Institut das Leben schwer. Max Rüdiger, Professor für Landwirtschaftliche Technologie, der im Januar 1933 noch zum neuen Rektor der Hochschule gewählt wird, verzichtet nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten darauf, das Amt anzutreten. 1936 verlässt Rüdiger die Hochschule und wandert in die Türkei aus. Offiziell aus eigenem Wunsch. Tatsächlich dürften die Verhältnisse an seinem Institut für Rüdiger unerträglich geworden sein.
Zimmermann, der selbst nicht habilitiert ist, rückt zunächst auf dem Lehrstuhl nach und wird 1941 schließlich vom Ministerium als Rektor eingesetzt.
Stunde Null bleibt aus
Lange Zeit wurde das Jahr 1945 im Nachkriegsdeutschland als Stunde Null angesehen. Doch Befunde von Historikern haben aufgezeigt, dass diese Bezeichnung unpassend ist. Denn in den meisten Institutionen bleibt ein radikaler, personeller Umbruch aus. Die Kontinuitäten überwiegen. In Hohenheim gilt das ganz besonders.
Auch wenn sich einige Entnazifizierungsverfahren bis in die 50er-Jahre in die Länge ziehen, bleibt nur einer Handvoll Hohenheimer Wissenschaftlern die Rückkehr an ihre frühere Position dauerhaft verwehrt.
Abermals profitiert die Hochschule von ihrem Forschungsschwerpunkt, der Landwirtschaft. Die Amerikaner erkennen schnell, dass Agrarwissenschaft für den Wiederaufbau und die Ernährung der Bevölkerung eine elementare Rolle spielt. Und so sind agrarwissenschaftliche Institute neben theologischen die ersten, denen eine Wiedereröffnung gestattet ist.
Der geringer Zerstörungsgrad aufgrund der abgeschiedene Lage ermöglichte es, dass bereits zum Sommersemester 1946 alle Fächer in Hohenheim wieder in vollem Umfang unterrichtet werden können.
Großzügige Persilschein-Aussagen
Zum hohen Grad der Kontinuität trägt auch Übergangsrektor Adolf Münzinger bei. Auf der Suche nach einer unbelasteten und fähigen Person, der die Geschicke der Hochschule übertragen werden können, werden die Amerikaner in dem altgedienten Agrarökonomie-Professor fündig, der bis zuletzt kein Parteiabzeichen trug und sich lediglich durch sein großes wissenschaftliches Renommee an der Hochschule hatte halten können.
Tatsächlich steht aber auch für Münzinger, der bereits von 1926 bis 1927 die Hochschule als Rektor geleitet hatte, die rasche Wiederaufnahme des Lehrbetriebs an erster Stelle – vor einer echten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.
„Münzinger ist in dieser Zeit ein gefragter Mann“, erklärt Waller. „Sowohl von Seiten der amerikanischen Militärregierung, die seine Einschätzung in vielen Entnazifizierungsprozessen benötigt, als auch von belasteten Kollegen, die sich Persilschein-Aussagen von ihm erhoffen. Münzinger dürfte sich wohl bewusst gewesen sein, dass zahlreiche persönliche Schicksale nun in seiner Hand liegen. Rückblickend muss man urteilen, dass bei seinen vielen entlastenden Aussagen häufig persönliche Sympathie und fachliche Wertschätzung den Ausschlag gegeben haben, nicht aber die tatsächliche NS-Verstrickung der betroffenen Personen.“
Schwindender Ehrgeiz bei der Entnazifizierung
1945 beginnen die Amerikaner die Entnazifizierung mit großen Ambitionen. Im Zuge des aufziehenden Kalten Kriegs steht jedoch zunehmend der Konflikt mit der Sowjetunion im Zentrum der Aufmerksamkeit. Mit jeder Entnazifizierungswelle werden Regel gelockert und zusätzliche Ausnahmen zugebilligt.
1951 schließlich gelingt der Beamten-Lobby der große Coup. Auf ihren Druck hin, und um Schadensersatzansprüche abzuwenden, wird das sogenannte „131er-Gesetz“ erlassen. Es sieht vor, dass langjährige Beamte, die im Zuge der politischen Säuberungen ihre Anstellung verloren haben, aber nicht in die Gruppe der Haupttäter eingestuft wurden, ein Anrecht auf Wiedereinstellung erhalten. Wenn kein adäquater Posten frei ist, muss dafür sogar eine neue Stelle geschaffen werden.
Um die vielen belasteten Professoren unterzubringen werden an den Hochschulen der amerikanischen Besatzungszone etliche neue Lehrstühle geschaffen. Auch Hohenheim erhält einen 131er-Professur. Da kein Agrarwissenschaftler verfügbar ist, entscheidet man sich für den Historiker Günther Franz. Ab 1957 lehrt er in Hohenheim Agrargeschichte, ein Fach, das bis dato an der Hochschule nicht existiert hatte.
Vom NS-Propagandist zum Agrarhistoriker
Günther Franz war ein begeisterter NS-Anhänger gewesen und hat die Propaganda bis kurz vor Kriegsende durch einschlägige Publikationen und Vorträge unterstützt. Beispielweise verteidigte er anhand eines Vortrags mit dem Titel „Juden, wie sie waren und wie sie sind“ im Umfeld der Reichspogromnacht die Zwangskennzeichnung der Juden und ihre gesellschaftliche Ausgrenzung.
Während seiner Zeit an der Universität Jena, die zu jener Zeit als Zentrum der nationalsozialistischen Rasseforschung galt, arbeitete Franz in der Forschungsgemeinschaft SS-Ahnerbe in der Abteilung „Gegnerforschung“. Als Gegnergruppen galten neben den Juden, Kommunisten, Freimaurer, Liberale und die Kirchen.
Nach der Einnahme Straßburgs wird ihm ein Lehrstuhl für Geschichte an der dort entstanden neuen Reichsuniversität angeboten. Im November 1943 wird Franz zum SS-Hauptsturmführer ernannt. Als solcher tritt er Dezember 1944 in Berlin in den Dienst der Kulturabteilung des Reichssicherheitshauptamtes.
Desinteresse und Deckel des Schweigens
„Die NS-Vergangenheit von Günther Franz war in Hohenheim kein Geheimnis – im Gegenteil, sie war ja der Grund, weshalb er überhaupt im Zuge des 131er-Gesetzes an die Hochschule gekommen war. Dennoch berichtet ein Zeitgenosse von einem ‚Deckel des Schweigens‘ der darüber gelegen habe“, so Waller.
Anders als durch einen solchen Deckel des Schweigens lässt sich eine absurde Situation aus dem Jahr 1962 tatsächlich kaum erklären: Günther Franz kandidiert bei der anstehenden Rektorwahl als ehemaliger NS-Funktionär gegen Georg Baur – einen Professor, der während der NS-Zeit von der Landwirtschaftlichen Hochschule verdrängt worden war und erst nach Kriegsende zurückkehren konnte.
Zum Zug kommt Franz erst in der darauffolgenden Wahlperiode. Doch seine NS-Vergangenheit scheint weder bei der ersten noch bei der zweiten Kandidatur als Rektor eine Rolle gespielt zu haben.
„Während es in öffentlichen Behörden, etwa dem Justizwesen, zumeist Seilschaften waren, welche ehemaligen NS-Funktionären den Weg zurück in höchste Ämter ebneten, scheint es in Hohenheim das pure Desinteresse der Professorenschaft gewesen zu sein. Kritische Fragen zu stellen hätte bedeutet, sich auch mit den eigenen Verstrickungen auseinandersetzen zu müssen. Daran bestand – ganz offensichtlich – kein Interesse“, so Waller.
Ehemaliger NS-Funktionär neben Zwangsarbeitern auf dem Universitätsfriedhof
„Günther Franz vertritt nach 1945 keine nationalsozialistischen Thesen mehr, baut jedoch auf seiner Forschung aus der NS-Zeit auf. In überarbeiteter Form legt er zahlreiche Bücher von vor 1945 neu auf. Darüber hinaus pflegt Franz nach dem Kriegsende intensiven Kontakt mit ehemaligen Weggefährten, woraus ein Netzwerk gegenseitiger Begünstigung entsteht“, so Waller.
Auch nach seiner Berufung in Hohenheim hält Franz beispielsweise Kontakt zum schwer belasteten Nationalsozialisten Franz Six, der 1952 begnadigt und aus der Haft entlassen wurde. Quellen deuten darauf hin, dass Six zu jener Zeit als Vorstandsmitglied der „Landmaschinen- und Ackerschleppvereinigung“ teil hatte an den Unterstützungsmaßnahmen für den in Südamerika untergetauchten Kriegsverbrecher Josef Mengele.
Nach seiner Emeritierung im Jahr 1970 lebt Günther Franz in der Nähe der Hochschule. Nach seinem Tod 1992 wird er auf dem Universitätsfriedhof beerdigt. Dort befinden sich u.a. auch die namenlosen Gräber von zwei Zwangsarbeitern, die während der NS-Zeit an die Hochschule deportiert wurden.
Auch diesen Ort will die Uni Hohenheim nun in seinem historischen Kontext kenntlich machen. Im Rahmen der Gedenkfeier am 12.11. wird ein Mahnmal enthüllt, das an das Schicksal der ca. 240 Hohenheimer Zwangsarbeiter erinnert, die zwischen 1940 und 1945 in Hohenheim ausgebeutet wurden.