Vergabe straffen, anmieten, bauen:
„Ab Wintersemester darf es kein Prof-TV mehr geben“  [19.02.08]

Rektor Prof. Dr. Hans-Peter Liebig im Pressegespräch über Vorlesungen per Video-Übertragung, Hörsaal-Enge und Raumnot an der Universität Hohenheim

Entgegen dem Landestrend erlebt die Universität Hohenheim derzeit das stärkste Wachstum in Baden-Württemberg: Seit der Jahrtausendwende hat die Studierendenzahl um fast 50 Prozent zugenommen. Dem folgenden Platzmangel wolle die Universität mit einem dreiteiligen Plan begegnen, erklärte Prof. Dr. Hans-Peter Liebig, im gestrigen Pressegespräch. Derzeit straffe die Hochschule ihr Hörsaal-Vergabe-System und stehe kurz vor Abschluss mehrerer Mietverträge für neue Räume in der Umgebung. Mittelfristig werde das Wachstum jedoch kaum ohne Baumaßnahmen zu bewältigen sein. Ab Wintersemester dürfe es jedoch keine Hörsaalübertragung mehr geben, versicherte der Rektor den anwesenden Studierenden. Im anstehenden Sommersemester gäbe es allerdings noch sechs Vorlesungen, die wegen großen Andrangs via Video in Zweithörsäle übertragen würden.

Seit einem Tiefstand von 4.500 Studierenden im Wintersemester 2000/01 sei die Universität Hohenheim stetig gewachsen. Mit aktuell rund 6.700 Studierenden im vergangenen Wintersemester sei ein neuer Höchststand erreicht worden.

„Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sind seit Jahren voll ausgebucht, das heißt, die Erstsemesterzahlen bewegen sich an der Obergrenze der Zulassungszahlen, die uns vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst vorgeschrieben sind“, erläutert Prof. Dr. Liebig. Ähnlich sehe es bei den Naturwissenschaften aus. Gesamtsteigerungen habe es unter anderem durch den Ausbau der Wirtschafts-, Kommunikations- und Ernährungswissenschaften gegeben. „Diesen Akt haben wir nahezu vollständig aus eigener Kraft gestemmt“, betonte der Rektor.

Bis zum Jahr 2012 könne die Universität so um weitere 1.000 Studierende wachsen. Grund dafür ist das Ausbauprogramm „Hochschule 2012“, mit dem die Landesregierung der steigenden Zahl der Abiturienten ein Studium ermöglichen wolle. „In einer ersten Tranche werden wir bis Jahresende zwei neue Studiengänge für insgesamt 120 Erstsemester einrichten, über eine zweite Tranche wird dieses Frühjahr verhandelt.“

 

Engpass bei Hörsälen, Labor- und Büroräumen

„Erstmals müssen wir nicht nur um Personal, sondern auch um Raumausstattung kämpfen, um ein akzeptables Lehrniveau zu bieten“, resümiert Prof. Dr. Liebig die Folgen. Dies gelte sowohl für die Büro- und Laborräume als auch für die Vorlesungs- und Seminarräume.

Im Sommersemester müssten sechs besonders stark besuchte Einführungsveranstaltungen deshalb noch einmal via Video in zusätzliche Hörsäle übertragen werden. Auf die Frage, ob Anstieg und Engpass nicht vorhersehbar gewesen seien, nannte der Rektor neben dem Wachstum in den Wirtschaftswissenschaften vor allem das veränderte Verhalten der Studierenden.

„Seit Einführung der Studiengebühren fällt auf, dass die Studierenden ihr Studium ernster nehmen und Vorlesungen in größerer Zahl besuchen – ein Effekt der so sicher nicht quantifizierbar war.“ Dennoch hätte die Universität den Mangel an einem großen Hörsaal in der Lehrorganisation schneller berücksichtigen müssen. „Hier haben wir zu lange die Erfahrung fortgeschrieben, dass es im Vorjahr ja noch einmal gut gegangen war.“

 

Kein Hörsaal-Zelt oder Leichtbau

Nach intensiven internen Gesprächen wolle die Universität das Raum- und speziell das Hörsaalproblem in drei Schritten angehen. Denn: „intensive Gespräche mit Bauamt und Ministerien haben gezeigt, dass wir nicht mit einem schnellen Neubau rechnen können“. Selbst improvisierte Lösungen wie ein Hörsaal-Zelt oder ein Leichtbau mit einer Lebensdauer von zehn Jahren seien an Kosten und Denkmalschutz gescheitert.

Der Universitätsrat habe sich deshalb bereits im Februar vergangenen Jahres an Ministerpräsident Oettinger gewandt und um Mittel für einen neuen Hörsaal für 700 bis 800 Studierende gebeten. Statt einer Zusage habe das Antwortschreiben eine generell günstige Raumausstattung für Hohenheim postuliert und ansonsten empfohlen, mit Vorlesungen auf Randzeiten auszuweichen.

„Leider arbeitet die Landesregierung hier mit Zahlen, die seit fünf Jahren veraltet sind“, erklärte der Rektor der Universität Hohenheim. Denn die Antwort stütze sich auf ein Gutachten zum Flächencontrolling des Arbeitskreises für Bedarfsmessung der Landesbehörde Vermögen und Bau aus dem Jahr 2003. „Es ist nun an uns, aktuelle belastbare Zahlen zu liefern und zu belegen, dass wir auch sonst alle Mittel ausschöpfen.“

 

1. Schritt: Gestraffte Organisation und Ausnutzung

Sehr weit sei die Universität Hohenheim mit internen Maßnahmen: „Bislang wurden unsere Hörsäle intern recht großzügig vergeben. Stattdessen soll es ab kommendem Wintersemester straffe Regeln geben.“ Anfang Februar habe das Rektorat eine zentrale Stelle für das Hörsaal-Management geschaffen. Noch im Frühjahr führe die Hochschule eine neue Software ein, die Bedürfnisse und Auslastungen prüft und elektronisch optimiert. „Hier gab es Verzögerungen bei der Entwickler-Firma, die inzwischen jedoch ausgeräumt sind.“

Gleichzeitig liefen intensive Gespräche zwischen Rektorat und der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, um zu große Einsteiger-Vorlesungen zu vermeiden. „Vorlesungen teilen, Lehraufträge vergeben, Lecturer einstellen, auf Randzeiten ausweichen: Hier hat die Fakultät eine große Bereitschaft zu Zusatzleistungen signalisiert“, erklärt der Rektor. „Sicher ist jedenfalls, dass es Professoren-TV aus dem Nachbarhörsaal ab kommendem Wintersemester nicht mehr geben darf.“

 

2. Schritt: Mieträume

In den vergangenen Wochen habe die Hochschulleitung mit Hochdruck daran gearbeitet, Büroflächen im Umfeld der Universität anzumieten. „Parallel zum Ausbau unseres Studienangebotes erwarten wir ab kommendem Wintersemester auch fünf neue Professoren samt Mitarbeitern durch das Ausbauprogramm „Hochschule 2012“. Bis zum Jahr 2012 könnten es insgesamt 15 werden.“

Ganz konkret lägen entsprechende Projekte für den Wollgrasweg vor. „Hier können in Kürze Räumlichkeiten angemietet werden, womit insgesamt zusätzlich etwa 60 bis 80 Büroräume zur Verfügung stehen.“ Für den Lehrbetrieb habe die Universität Räume in der Bauernschule angemietet. Leider etwas schleppend seien die Verhandlungen mit der evangelischen Landeskirche verlaufen, einzelne große Räume im Haus Birkach zu mieten, nachdem der Kauf des Gebäudes gescheitert war.

Ansonsten grase die Universität wie die Location-Scouts die Umgebung ab: „Große Klausuren könnten zum Beispiel auch im Großkino oder in der Messe stattfinden – wobei sich das Kino-Beispiel bereits als zu teuer und eingeschränkt erwies“, berichtet Rektor Prof. Dr. Liebig aus der Suche. Angeschrieben habe er auch seinen Kollegen von der Universität Stuttgart, mit der Bitte zu prüfen, ob sie vorübergehend mit Räumen helfen könnte.

 

3.Schritt: Antrag auf Neubau

Mittelfristig ist sich der Rektor jedoch sicher, dass kaum ein Weg an einem Neubau vorbeiführt: „Sicher ist, dass wir mit allein organisatorischen Maßnahmen das, was auf uns zukommt, nicht stemmen können. Wir können das Problem hinausschieben. Aber angesichts der belegten Attraktivität der Universität Hohenheim halte ich es für äußerst zweifelhaft, dass wir den Zuwachs ohne Neubau verkraften werden.“

Politisch sei der Ball nach dem Briefwechsel aus dem vergangenen Jahr an die Universität zurückgespielt worden. „Der Bauantrag wird kommen. Doch davor ist es an uns zu zeigen, dass wir alles Menschenmögliche getan haben.“

 


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