„EG darf sich Recht nicht von UN diktieren lassen“  [05.05.08]

Antworten aus der Wissenschaft: Prof. Dr. Hans Schlarmann, Honorarprofessor für Öffentliches Recht an der Universität Hohenheim, zu den ungeahnten Auswirkungen der EG-Antiterrorismusverordnungen auf Unternehmen und Bürger.

Seit 2001 können wirtschaftliche Embargos nicht nur gegen Staaten, sondern auch gegen verdächtige Personen und Unternehmen verhängt werden. Dafür sorgen die UN-Richtlinien und ihre Umsetzung in der EG-Antiterrorismusverordnung. Herr Professor Schlarmann, die offizielle Bezeichnung „intelligente Sanktionen“ ringt Ihnen offensichtlich ein Lächeln ab.

Prof. Dr. Schlarmann: Im Grundsatz halte ich so einen Ansatz, der auf die Unterbrechung der Finanzströme abzielt, für sehr vielversprechend: Terroristen ohne Geld sind ungefährlich. Nur die Umsetzung ist leider weniger intelligent ausgefallen als der Name verspricht.

 

Ihre Kritik entzündet sich daran, dass der UN-Sicherheitsrat eine Art Schwarze Liste herausgegeben hat, die von der EG ungeprüft umgesetzt wird, durch die terrorverdächtige Personen wirtschaftlich kaltgestellt werden.

Prof. Dr. Schlarmann: Ganz genau, wenn Sie auf dieser sogenannten Terror-Liste gelandet sind, die alle drei Wochen aktualisiert wird, werden Ihre Bankkonten eingefroren, Ihre Versicherungsleistungen gestrichen und sie dürfen keine Geschäfte mehr tätigen. Strenggenommen wäre es Ihnen noch nicht einmal erlaubt, im Supermarkt einzukaufen. Im Gegenzug machen sich Unternehmen strafbar, die Sie einstellen, versichern oder Ihnen etwas verkaufen.

 

Das geschieht ohne dass ich als Betroffener vorher gehört werde?

Prof. Dr. Schlarmann: Ja, denn die Liste wird aus Geheimdienstinformationen zusammengestellt. Aber was noch schlimmer ist, Sie haben keinerlei Möglichkeit Widerspruch einzulegen, selbst wenn Sie den Verdacht plausibel widerlegen können. Deutsche Gerichte sind nicht zuständig, da es sich um eine EG-Verordnung handelt. Das Europäische Gericht, 1. Instanz, verweist an die UN, da die EG lediglich einen völkerrechtlichen UN-Beschluss umsetze. Doch auch in der UN-Zentrale in New York gibt es keine Stelle, bei der Sie Beschwerde einlegen können. Ich denke, hier muss sich die EG emanzipieren und der Europäische Gerichtshof wird das sicher noch korrigieren.

 

Das müssen Sie erläutern?

Prof. Dr. Schlarmann: Normalerweise genießen Bürger der Bundesrepublik Deutschland Rechtsschutz, wenn sie vom Staat in ihren Rechten eingeschränkt werden. Dieses Recht auf Widerspruch und Prüfung gibt es ebenso auf Europa-Ebene. Für völkerrechtliche Beschlüsse gilt das bisher noch nicht – auch wenn sie in Europa umgesetzt werden. Man kann sagen, der UN-Sicherheitsrat höhlt mit seinem Beschluss die europäischen Grundrechte aus. Da die EG diesen Grundrechtsschutz nicht mehr gewährleistet, ist mittlerweile sogar das Bundesverfassungsgericht hellhörig geworden.

 

Wie groß ist denn das Ausmaß des Problems?

Zahlenmäßig handelt es sich um ein geringes Problem. Die Liste umfasst weltweit nur 600 bis 800 Einträge. Es dreht sich eher um das grundsätzliche Problem, ob sich die EG Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats eins zu eins beugen müssen. Meines Erachtens sind die europäischen Grundrechte hier das höhere Rechtsgut.

 

Sie sprachen davon, dass sogar die Kassiererinnen die Terror-Liste beachten müssen. Wie sieht es denn mit der Umsetzung der Verordnungen aus?

Also ich wurde an der Kasse noch nie nach meinem Ausweis gefragt. Im Einzelhandel wird hier noch immer ein Auge zugedrückt. Firmen rate ich allerdings, ein EDV-Programm einzurichten, das automatisch überprüft, ob Kunden oder Zulieferer auf der aktuellen Version der Liste stehen. Sonst müssen sie mit Strafverfahren rechnen.

 

 

Zur Person:

 

Prof. Dr. Hans Schlarmann spricht zum Thema „Die EG-Antiterrorismusverordnungen – (ungeahnte) Auswirkungen auf Unternehmen und Bürger“ auf seiner Antrittsvorlesung als Honorarprofessor der Universität Hohenheim am Montag, 5. Mai 2008, 17 Uhr, Schloss Hohenheim (Balkonsaal). Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten München, Bochum, Freiburg im Breisgau, Genf und Münster. Als wissenschaftlicher Referent forschte er am Zentralinstitut für Raumplanung an der Universität Münster, wo er über das Thema „Das Verhältnis der privilegierten Fachplanung zur kommunalen Bauleitung“ promovierte. Seit 1981 arbeitet Prof. Dr. Schlarmann als Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Öffentliches Recht bei der internationalen Anwaltskanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart. Mit Lehraufträgen für Öffentliches Recht dozierte Prof. Dr. Schlarmann an den Universitäten Münster, Bayreuth, Humboldt-Universität Berlin. An der Universität Hohenheim lehrt Hans Schlarmann seit 2003 und erhielt 2008 die Honorarprofessur für Öffentliches Recht.

 

Text: Leonhardmair / Klebs


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