Anti-Weizen-Welle:
Weizenzüchter widerspricht Mär vom bösen Weizen  [03.03.15]

Dr. Friedrich Longin, Weizenexperte an der Universität Hohenheim, hält die derzeitige Ablehnung des Weizens für wissenschaftlich nicht begründbar.

Dumm und dick soll er machen, und man sollte ihn gänzlich vom Speisezettel verbannen: Die Anti-Weizen-Welle aus den USA ist mit diversen Bestsellern zum Thema längst in Deutschland angekommen. Doch Weizen ist wesentlich besser als sein Ruf, unterstreicht Dr. Friedrich Longin, Weizen-Experte an der Universität Hohenheim. Im Gegenteil: Möglicherweise könnten neue Weizensorten zukünftig dazu beitragen, den leider noch verbreiteten Mineralstoff-Mangel von Menschen vor allem in Entwicklungsländern in den Griff zu bekommen.

 

Weizen soll verantwortlich sein für fast alle modernen Erkrankungen. Das jedenfalls behaupten die Autoren von Bestsellern wie "Weizenwampe" oder "Dumm wie Brot". Sie glauben, dass Weizen an Fettsucht, Diabetes, Nervenerkrankungen und vielem mehr schuld sei und empfehlen einen völligen Verzicht.

Dr. Friedrich Longin, Weizen-Spezialist an der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim, verteidigt den Ruf des Weizens. „Viele Hypothesen werden in den Büchern als wissenschaftlich bewiesen dargestellt“, meint er, „und oft werden Kausalzusammenhänge hergestellt, die so nicht haltbar sind.“ Das sorge für massive Verunsicherung bei den Verbrauchern.

 

Alte Weizenarten: Kein Beleg für bessere Verträglichkeit

Zur Weizenfamilie gehören rund ein Dutzend Weizen-Arten. Von großer Anbaubedeutung weltweit sind allerdings nur die Arten Brotweizen und Hartweizen, in Europa zusätzlich der Dinkel. Jede dieser Arten hat wiederum Hunderte von verschiedenen Sorten. Sie wurden nicht erst in neuer Zeit, sondern seit Beginn des Ackerbaus von Menschen gezüchtet. Der Begriff „Urweizen“ ist daher nur schwer definierbar.

Dennoch spricht man oft von „alten Weizenarten oder Weizensorten“, die besser verträglich sein sollen. „Doch selbst Einkorn, Emmer und Dinkel weisen heute große genetische Unterschiede zu den Sorten vor 10.000 Jahren auf“, erläutert Dr. Longin. „Und dafür, dass sie besser bekömmlich sind, gibt es bislang keinen einzigen wissenschaftlichen Beleg.“

 

Inhaltsstoffe selten im Fokus der Züchter

Weizen zählt zu den Grundnahrungsmitteln der Erde. Der Fokus der Weizenzüchter liegt daher primär auf dem Ertrag. Neue Sorten sollen den Standortansprüchen in verschiedenen Regionen der Welt besser gerecht werden, resistenter gegenüber Krankheiten sein und bessere Backeigenschaften haben. Vor allem sollen sie einen stabilen Ertrag unter möglichst reduziertem Dünger- und Spritzmitteleinsatz liefern.

Die Inhaltsstoffe des Weizens haben die Züchter bislang kaum gezielt verändert, auch weil schlichtweg das Marktinteresse dafür fehlt. Auch völlig neue Proteine könnten – entgegen anderslautender Behauptungen – durch klassische Züchtung nicht so einfach entstehen, betont Dr. Longin. „Pflanzen können nur solche Proteine bilden, die in ihren Genen codiert sind.“

Dafür wären gentechnische Züchtungsmethoden nötig, die in Deutschland nicht zugelassen sind. Auch weltweit wird bisher keine einzige gentechnisch veränderte Weizensorte angebaut.

 

Weizenzüchtung gegen Mineralstoffmangel

„Weizen ist allerdings ein wichtiger Lieferant von Mineralstoffen, die in zahlreichen Ländern nicht ausreichend über die Ernährung aufgenommen werden“, stellt Dr. Longin klar. Deswegen versuchen Weizenzuchtprogramme für Entwicklungsländer teilweise darauf zu selektieren, dass neue Weizensorten höhere Zink- und Eisengehalte aufweisen.

„Die Urform des Weizens, der Einkorn, hat übrigens deutlich gesteigerte Mengen an positiven Inhaltstoffen wie Zink, Eisen und das Carotinoid Lutein“, hebt Dr. Longin hervor. Ernährungsphysiologisch wäre er daher attraktiv. Gekoppelt sei dies aber mit einem deutlich geringeren Ertrag als bei Brotweizen.

 

Drei Krankheiten durch Weizen

Selbstverständlich, betont Dr. Longin, gebe es drei anerkannte Krankheitsbilder im Zusammenhang mit Weizen. Die Landessaatzuchtanstalt kooperiert bei diesen Fragen mit dem Mainzer Gastroenterologen und Wissenschaftler Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan.

Unstrittig, so der Mediziner, seien die Weizenallergie und die durch Gluten ausgelöste Zöliakie. Beide Krankheiten seien eher selten, sie treten bei weniger als 1-2 Prozent der Bevölkerung auf. Die Zöliakie sei klar diagnostizierbar, gewisse Unsicherheiten bestünden noch bei der Weizenallergie.

Schwieriger verhalte es sich mit der Weizensensitivität. „Die Ursache ist entgegen anderslautender Meinungen in Presse, Büchern und Internet wissenschaftlich leider noch nicht geklärt“, so Prof. Schuppan. „Es gibt außer der klinischen Präsentation, oft mit Symptomen außerhalb des Verdauungssystems, und dem Ausschluss einer Zöliakie und Weizenallergie sowie anderer Nahrungsmittelunverträglichkeiten auch noch keine positive Diagnosetechnik.“ Es scheint aber, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Weizen gut vertrage, betont der Experte.

 

Weizensensitivität: Suche nach den Ursachen

Die Mainzer Wissenschaftler gehen der Frage nach der Ursache der Weizensensitivität gerade auf den Grund. Im Verdacht stehen insbesondere die α-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs), die in Weizen und anderen glutenhaltigen Getreiden vorkommen. Die Forscher erwarten im Laufe dieses Jahres erste klinische Ergebnisse.

„Nicht zutreffend ist aber die oft wiederholte Aussage, dass moderner Weizen mehr ATIs enthalte als alte Sorten“, betont Dr. Longin. „Es scheint eine große Varianz zwischen den Sorten und einen erheblichen Umwelteinfluss zu geben, was aber genauer untersucht werden muss."

 

Hintergrund: Erkrankungen durch Weizen

1 Zöliakie: Lebenslanger Verzicht auf Weizen

Zöliakie ist eine chronische Erkrankung des Dünndarms und beruht auf einer lebenslangen Unverträglichkeit gegenüber Gluten. Gluten kommt in allen Weizenarten sowie im Roggen, Gerste und Hafer vor. Die einzige Therapie ist der lebenslange Verzicht auf diese Arten. Weniger als 1 % der Weltbevölkerung leidet unter Zöliakie. Sie ist mittels Antikörpertest und Darmspiegelung eindeutig diagnostizierbar.

 

2 Weizenallergie: Selten und eindeutig diagnostizierbar

Das zweite klar umrissene und diagnostizierbare Krankheitsbild ist die Weizenallergie. Hier gibt es verschiedene Ausprägungsformen, es sind allergietypische Symptome bis hin zum anaphylaktischen Schock vorhanden. Auch diese Krankheit ist sehr selten, man geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus.

 

3 Weizensensitivität: Wissenschaftlich akzeptiert, aber Ursache unklar

Die Symptome der Weizensensitivität sind sehr weitläufig - von klassischen Magen-Darm-Beschwerden über Unwohlsein bis hin zu Müdigkeit. Bis zu 8 % der Weltbevölkerung sollen betroffen sein. Die Ursachen sind noch nicht geklärt, aber mehrere Hypothesen werden derzeit überprüft.

Ein Auslöser könnten die α-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) sein. Diese Proteine kommen natürlicherweise unter anderem im Weizen vor. Untersuchungen zu den ATIs laufen derzeit.

Ebenfalls in Verdacht steht eine Gruppe von Kohlehydraten sowie mehrwertigen Alkoholen, die sogenannten FODMAPs. Sie kommen in zahlreichen Lebensmitteln wie auch dem Weizen vor. Der wissenschaftliche Beweis, dass FODMAPs die Weizensensitivität auslösen, fehlt bisher aber gänzlich.

Eine weitere Ursache der Weizensensitivität könnte die veränderte Backtechnik im Vergleich zu früher sein. Teige werden heute weitaus schneller produziert ohne längere Teigruhezeiten, in denen im Brotteig Stoffumwandlungen stattfinden können. Darüber hinaus enthalten sie immer mehr Zusatzstoffe.

Text: Elsner

Kontakt für Medien:

Dr. Friedrich Longin, Universität Hohenheim, Landessaatzuchtanstalt, Arbeitsgebiet Weizen, Tel.-Nr. 0711/459-23846, friedrich.longin@uni-hohenheim.de


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