Resonanz schafft Perspektiven:
Gelingende Beziehungen für mehr Nachhaltigkeit im Schwarzwald  [21.01.25]

Impulse für den Wandel: Gemeinsame Forschung der Universität Hohenheim und des Biosphärengebiets Schwarzwald

Eine aktuelle Studie des Biosphärengebiets Schwarzwald in Zusammenarbeit mit der Universität Hohenheim in Stuttgart zeigt: Nachhaltige Entwicklung gelingt, wenn Mensch und Kulturlandschaft im Einklang stehen. Die Forschenden betonen die Bedeutung von Resonanzbeziehungen – wechselseitigen, bedeutsamen Verbindungen zwischen dem Selbst und der Welt – als Schlüssel für eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation. Am Beispiel des Schwarzwalds wird deutlich, wie lang gewachsene Traditionen, innovative Projekte und neue Gemeinschaften Impulse für den Wandel setzen können. Diese Erkenntnisse eröffnen hilfreiche Perspektiven für Wissenschaft, Politik und Praxis auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft. Die Studie „Connecting resonance theory with social-ecological thinking“ wurde in diesen Tagen in der renommierten Fachzeitschrift „People and Nature“ veröffentlicht: besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/pan3.10777


Wie kann der Wandel hin zu einer nachhaltigeren Zukunft gelingen? Florian Brossette vom Biosphärengebiet Schwarzwald und Claudia Bieling von der Universität Hohenheim zeigen in ihrer Studie „Connecting resonance theory with social-ecological thinking“, die in „People and Nature“ veröffentlicht wurde, wie die Qualität der Beziehungen zwischen Mensch und Kulturlandschaft zentrale Impulse für eine sozial-ökologische Transformation setzen kann. Die Resonanztheorie des Soziologen Hartmut Rosa bildet dabei das theoretische Fundament: Sie untersucht, wie wechselseitige, bedeutungsvolle Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt entstehen und wie diese Wandel fördern können.

„Wir haben Rosas Resonanztheorie auf praktische Beispiele von Transformation im UNESCO Biosphärengebiet Schwarzwald angewandt und die Frage gestellt, welche Beziehungen dabei eine Rolle spielen“, erklärt Claudia Bieling, Professorin für Gesellschaftliche Transformation und Landwirtschaft an der Universität Hohenheim. Rosa unterscheide zwischen drei Resonanzachsen – zu anderen Menschen, zu Dingen und zum ‚großen Ganzen‘ wie etwa in Kunst oder Religion.


Landwirtschaft aus Überzeugung, nicht aus Notwendigkeit

UNESCO Biosphärenreservate, in Baden-Württemberg als Biosphärengebiete bezeichnet, sind Modellregionen für nachhaltige Entwicklung. Dahinter steht das Programm „Der Mensch und die Biosphäre“. „Es geht im Biosphärengebiet nicht um Naturschutz im klassischen Sinn, sondern um den Menschen als Bestandteil der Natur“, erklärt Florian Brossette von der Geschäftsstelle des Biosphärengebiets Schwarzwald.

Der Schwarzwald ist stark geprägt durch den Menschen. Die extensive Beweidung mit wenigen Tieren, meist Kühe und Ziegen, auf großer Fläche hat zu einem einzigartigen Wechsel zwischen Wald und Offenland geführt. Diese Kulturlandschaft bietet zahlreichen seltenen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum.

Doch geänderte wirtschaftliche und politische Bedingungen führen zu Herausforderungen beim Erhalt der Landschaft. „Inzwischen arbeiten 90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe im Nebenerwerb“, erklärt Florian Brossette. „Sie machen das also nicht aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, sondern aus einer tiefer begründeten Überzeugung. Diese besser zu verstehen hilft uns die Resonanztheorie.“


Traditionelle Weidewirtschaft neu gedacht

Schon vor Generationen haben sich Kleinbauern im Südschwarzwald zu Weidegemeinschaften zusammengeschlossen. Während es im 20. Jahrhundert noch darum ging, eine Überweidung zu verhindern, mussten sich die Kooperationen spätestens mit Beginn des 21. Jahrhunderts neu aufstellen. Die Weidegemeinschaften kümmern sich mittlerweile primär um Landschaftspflege und wirken einer Verwaldung der wertvollen Bergweiden entgegen. „Hier hat die sozial-ökologische Transformation bereits stattgefunden“, so Brossette. Möglich werde das durch lange gewachsene, generationsübergreifende Resonanzbeziehungen zwischen den Menschen.

An anderer Stelle sind Gemeinschaften auch neu entstanden, wie etwa die „Geiße Buure Atzenbach“. Hier hat sich eine Gruppe Dorfbewohner zusammengeschlossen, um eine Ziegenherde gemeinsam zu betreuen. „Sie betrachten diese Initiative zur Erhaltung der Kulturlandschaft als gemeinsames Vergnügen und nicht als individuelle Belastung“, heißt es in der Studie.


Neue Impulse durch innovative Projekte

Dass auch Initiativen „von außen“ Resonanzen fördern können, zeigen zwei weitere Beispiele. So hat die Geschäftsstelle des Biosphärengebiets die jährlichen „Kulinarischen Hinterwälder Wochen“ initiiert. Im Fokus des Projekts steht der Erhalt der bedrohten Rinderrasse „Hinterwälder“, der kleinsten Rinderrasse Mitteleuropas. Die robusten Tiere sind besonders gut für die Beweidung der mageren Steilhänge im Südschwarzwald geeignet, da sie mit ihrem geringen Gewicht kaum Trittschäden verursachen.

In einer Zusammenarbeit von landwirtschaftlichen Betrieben, Restaurants und dem Biosphärengebiet werden die Tiere gezielt vermarktet. Durch kulinarische Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit wird die Bedeutung dieser Rasse für die Kulturlandschaft erfolgreich in das Bewusstsein der Menschen gerückt. „Hier wird eine Sache, in diesem Fall das Hinterwälder-Fleisch, mit Bedeutung aufgeladen“, so Brossette. Die Restaurantgäste entwickeln eine neue Beziehung zu dem Gericht auf ihrem Teller.

Das Open-Air-Theater „Theater in den Bergen“ wiederum behandelt Themen wie Artenvielfalt oder Wasserknappheit mitten in der Kulturlandschaft und schafft es so, die Zuschauer:innen zu bewegen und zu einem Teil der Inszenierung werden zu lassen. „Wir argumentieren, dass hier durch die Kunst eine neue Resonanz nicht nur zu den auf der Bühne behandelten Themen, sondern auch zur umgebenden Landschaft geschaffen wird“, so Bieling.


Ein neues Verständnis von Transformation

Brossette und Bieling wollen mit ihrer qualitativen Studie aufzeigen, wie wichtig es ist, bei Maßnahmen zur sozial-ökologischen Transformation Beziehungen in den Blick zu nehmen. Sie warnen allerdings auch, dass sich Resonanz nicht planen lässt. „Für Institutionen wie das Biosphärengebiet liegt die Aufgabe vor allem darin, Räume zu schaffen, die gelingende Beziehungen unterstützen“, erklärt Bieling. Die Autoren rufen dazu auf, die Erkenntnisse in Wissenschaft, Politik und Praxis zu nutzen, um die komplexen Herausforderungen der Nachhaltigkeit zu meistern.


Weitere Informationen


Landwirt:innen im Hochschwarzwald haben nur wenige Tiere und haben sich häufig in Weidegemeinschaften zusammengeschlossen. Die Beweidung ist wichtig für die Offenhaltung der Landschaft und den Erhalt der Artenvielfalt im Biosphärengebiet Schwarzwald. Foto: Thomas Stephan/Biosphärengebiet Schwarzwald

Landwirt:innen im Hochschwarzwald haben nur wenige Tiere und haben sich häufig in Weidegemeinschaften zusammengeschlossen. Die Beweidung ist wichtig für die Offenhaltung der Landschaft und den Erhalt der Artenvielfalt im Biosphärengebiet Schwarzwald. Foto: Thomas Stephan/Biosphärengebiet Schwarzwald

Landwirt:innen im Hochschwarzwald arbeiten zu 90 Prozent im Nebenerwerb. Landschaftspflege, Gemeinschaft und die Freude am Umgang mit den Tieren stehen im Vordergrund, wirtschaftlich notwendig oder lohnend ist ihre Arbeit nur in den seltensten Fällen. Foto: Christoph Eberle/Biosphärengebiet Schwarzwald

Landwirt:innen im Hochschwarzwald arbeiten zu 90 Prozent im Nebenerwerb. Landschaftspflege, Gemeinschaft und die Freude am Umgang mit den Tieren stehen im Vordergrund, wirtschaftlich notwendig oder lohnend ist ihre Arbeit nur in den seltensten Fällen. Foto: Christoph Eberle/Biosphärengebiet Schwarzwald

In Atzenbach hat sich eine Gruppe junger Menschen zu den „Geiße Buure“ zusammengeschlossen, um sich gemeinsam um eine Ziegenherde zu kümmern. Foto: Florian Brossette/Biosphärengebiet Schwarzwald

In Atzenbach hat sich eine Gruppe junger Menschen zu den „Geiße Buure“ zusammengeschlossen, um sich gemeinsam um eine Ziegenherde zu kümmern. Foto: Florian Brossette/Biosphärengebiet Schwarzwald

Text: Ronja Münch, Biosphärengebiet Schwarzwald

Kontakt für Medien:

Dr. Florian Brossette vom Biosphärengebiet Schwarzwald, Fachbereich Landnutzung
T +49 7673 889 402 4388, E Florian.Brossette@rpf.bwl.de

Prof. Dr. Claudia Bieling, Universität Hohenheim, Fachgebiet Gesellschaftliche Transformation und Landwirtschaft
T +49 711 459 24029, E claudia.bieling@uni-hohenheim.de


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