Von Theodor Heuss zu Horst Köhler:
Am 12. September 1949 wurde der erste Bundespräsident gewählt. Sein aktueller Nachfolger im Amt tut sich als „Reformpräsident“ schwer.  [08.09.06]

Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler und internationales Medien-Institut legen Langzeitstudie zum Medienimage deutscher Bundespräsidenten vor.

Am 12. September 1949 legte der in Württemberg geborene Theodor Heuss als erster Bundespräsident seinen Eid auf das neue Deutsche Grundgesetz ab. Sein wichtigstes politisches Instrument war das Wort, die Rede. Dies gilt auch für alle seine Nachfolger. Der neunte Bundespräsident, der seit nunmehr zwei Jahren amtierende Horst Köhler, trat seine Amtszeit mit dem Anspruch an, als „Reformmotor“ tätig zu sein. Dies gelang ihm nur anfangs. Im Vergleich zu seinen Vorgängern Roman Herzog und Johannes Rau verliert er nach und nach an Bedeutung und Rückhalt in den Medien. Reformpolitisch kann er sich bislang nicht durchschlagend positionieren. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer umfangreichen Untersuchung, die jetzt der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Professor Dr. Frank Brettschneider gemeinsam mit dem internationalen Inhaltsanalyse-Institut Media Tenor vorgelegt hat. Für den Zeitraum von 1995 bis Juni 2006 wurden 367.759 Beiträge in Fernsehnachrichten und deutschen Printmedien untersucht.

Die Einzelergebnisse ihrer Studie fassen Brettschneider und der Media Tenor folgendermaßen zusammen:

Köhler seit Regierungswechsel immer seltener präsent

Horst Köhler kam als Mann der Opposition in das höchste Amt der Bundesrepublik Deutschland. Mit Reden und Staatsbesuchen im Ausland leistete er in den ersten Monaten seiner Amtszeit einen spürbaren Beitrag zur politischen Debatte in Deutschland. Anders als sein Vorgänger Johannes Rau am Ende seiner Amtszeit konnte Köhler in der Medienberichterstattung die Wahrnehmungsschwelle überwinden.

Die Wahrnehmungsschwelle markiert jenen Umfang an Berichterstattung, mit der das „Grundrauschen“ in der Mediendemokratie überwunden werden kann: Welche Zahl an Beiträgen in meinungsführenden Medien kann eine Veränderung in nachfolgenden Meinungsumfragen bewirken? Bei politischen Themen haben frühere Untersuchungen erbracht, dass die Wahrnehmungsschwelle bei den hier untersuchten Medien auf das Halbjahr bezogen bei etwa 300 Beiträgen liegt.

Der ehemalige Finanzpolitiker fand über alle Mediengrenzen hinweg eine breite Plattform für seine Botschaft: Deutschland muss sich verändern. Das Medienecho unmittelbar nach seinem Start half Köhler, unbequeme Erkenntnisse wohltemperierter einzufärben, ohne dass sein Ruf nach Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft an Deutlichkeit verlor.

Roman Herzog erlangte lediglich in der ersten Hälfte des Jahres 1997 eine ähnliche Aufmerksamkeit: Im Mai erhielt er den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen, zudem wurde er – zusammen mit dem tschechischen Präsidenten Vaclav Havel – in New York als „Europäischer Staatsmann des Jahres 1997“ ausgezeichnet. Johannes Rau gelangte zu Beginn seiner Amtszeit zwar ebenfalls über die Wahrnehmungsschwelle – allerdings mit für ihn „schlechten Nachrichten“ (Verstrickungen in West-LB-Affären).

Aber: Horst Köhler gelang es nicht, die anfängliche Medienaufmerksamkeit zu stabilisieren. Nach dem „Blitzstart“ geriet der „Reformmotor“ ins Stottern. Die Medienpräsenz sank vor allem nach der Bundestagswahl im September 2005 bis zum Juni 2006 deutlich. Damit reduzierten sich auch die ohnehin geringen politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Bundespräsidenten, der auf öffentliche Aufmerksamkeit angewiesen ist.

Positives, aber schwächer werdendes Image von Köhler

Bundespräsidenten haben in der Regel ein positives Medienimage. Anders als bei anderen politische Institutionen – etwa dem Deutschen Bundestag oder der Bundesregierung – überwiegen in der Berichterstattung über Bundespräsidenten die positiven Bewertungen. So war das Image von Roman Herzog durchweg positiv (ca. zehn Prozentpunkte mehr positive als negative Bewertungen). Johannes Rau startete zwar mit viel Medienaufmerksamkeit (siehe oben), diese war aber aufgrund der West-LB-Affären vor allem im ersten Halbjahr 2000 negativ. Gegen Ende seiner Amtszeit wurde das Image von Johannes Rau positiver. Horst Köhler wurde zu Beginn seiner Amtszeit deutlich positiv bewertet. Parallel zu seiner sinkenden Medienpräsenz ist jedoch auch sein Image seit dem Regierungswechsel weniger strahlend.

Köhler nicht als Reformer erfolgreich, sondern als Persönlichkeit und als Außenpolitiker

Horst Köhler war als „Reformpräsident“ angetreten. Er wollte wichtige Debatten nicht nur anschieben, sondern so lange am Leben erhalten, bis sich daraus politische Entscheidungen ergeben haben. Nach anfänglichen Initiativen zu verschiedenen Reformthemen war er jedoch auf den zahlreichen Reformbaustellen in der Bundesrepublik im letzten halben Jahr kaum noch präsent. In den Debatten über die Gesundheitsreform, die Steuer- und Haushaltspolitik, die Rentenpolitik und den Arbeitsmarkt war Köhlers Stimme fast nicht zu hören. Mag sein, dass er aus Rücksicht auf die Große Koalition Zurückhaltung geübt hat. Dabei wäre gerade bei einer Großen Koalition eine unabhängige Stimme des Bundespräsidenten hilfreich.

Statt mit Reformthemen konnte Köhler mit seiner Persönlichkeit und mit seinen Auslandsaufenthalten punkten. Auf keiner anderen Image-Dimension wurde der Bundespräsident so positiv bewertet wie bei seiner Persönlichkeit. Außer bei der Außenpolitik ist Köhlers Image auch im Bereich Kultur sowie Frauen/Familie überwiegend positiv. Ein negatives Image findet sich hingegen vor allem beim Thema Sozialpolitik. Hier überwog die Kritik an seinen Positionen ebenso wie in der Diskussion über seinen Standpunkt zur Zukunft der Bundeswehr oder sein Gesellschaftsbild.

Will Köhler wirklich als Reformpräsident in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen, dann liegt noch viel Arbeit vor ihm. Vor allem muss er sich konsequent und wiederholt zu Reformthemen äußern und die Meinungsführermedien von der Wichtigkeit der Reformthemen überzeugen. Gelingt ihm dies nicht, wird er am Ende seiner Amtszeit nur „allseits beliebt“ gewesen sein – politisch bewegt hat er dann aber nichts.

Kontakt für Medien:

Professor Dr. Frank Brettschneider, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft
Universität Hohenheim
Tel.: 0711 459-24031
E-Mail: frank.brettschneider@uni-hohenheim.de


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