Ungleichheit im Alter:
Tagung der Uni Hohenheim ermittelt Handlungsbedarf der Politik [04.05.18]
Internationaler Experten-Workshop „The Economics of Ageing and Inequality“ des Forschungsschwerpunktes „Inequality and Economic Policy Analysis (INEPA)“ der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften läuft noch bis 5. Mai 2018
Die demographische Herausforderung meistern, den hohen Lebensstandard erhalten und die Ungleichheit im Alter mindern: Um diese Ziele zu erreichen, müssen die Industrieländer rechtzeitig angemessene politische Maßnahmen ergreifen. Zu diesem Ergebnis kommt Prof. Dr. Klaus Prettner bei der heutigen Eröffnung der internationalen Experten-Tagung „The Economics of Ageing and Inequality“ an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Der Inhaber des Lehrstuhls für Wachstum und Verteilung ist Sprecher des Forschungsschwerpunktes „Inequality and Economic Policy Analysis (INEPA)“. Der Austausch zwischen den 25 international ausgewiesenen Experten u.a. aus Deutschland, Österreich, den USA, Frankreich und China endet am morgigen 5. Mai um 19:00. Weitere Infos unter inepa.uni-hohenheim.de
Demenz scheint ein individuelles Schicksal zu sein. Doch Studien des US-Think Tanks RAND zeigten, dass das Erkrankungsrisiko bei einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen wesentlich höher liegt. Generell ist die Lebenserwartung der Menschen mit hohem Einkommen um viele Jahre höher als jene mit niedrigem Einkommen, so ein Kongressbeitrag des Vienna Institute of Demography. Ein Grund hierfür sei, dass medizinische Innovationen vornehmlich Besserverdienenden zur Verfügung stünden.
Als eine Folge gerate auch das staatliche Rentensystem in Schieflage: So profitieren die einkommensstarken Bevölkerungsschichten überdurchschnittlich, weil sie erstens höhere Pensionen erhalten und zweitens diese länger beziehen. Das ergeben Berechnungen der US-Universität Berkeley – deren Computersimulationen auch gleich die Auswirkungen möglicher Reformen analysieren.
„Dies sind nur einige Beispiele von empirischen Untersuchungen und theoretischen Modellierungen, die heute und morgen auf dem Kongress vorgestellt werden. Was sich bei allen jedoch abzeichnet: Vor allem die Wirtschafts- und die Sozialpolitik sind gefordert, frühzeitig Politikmaßnahmen zu ergreifen, die es erlauben die demographischen Herausforderungen zu meistern und gleichzeitig die zunehmende Ungleichheit im Alter abzumildern“, erklärt Prof. Dr. Prettner von der Universität Hohenheim.
„Bislang hat sich die Politik viel zu sehr auf Durchschnittswerte konzentriert, die zeigen, dass Lebenserwartung und Einkommen im letzten Jahrhundert erheblich gestiegen sind“, begründet Co-Organisator Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza vom Lehrstuhl für Haushalts- und Konsumökonomik der Universität Hohenheim. „Die Durchschnittswerte lassen jedoch beträchtliche soziale Ungleichheiten außer Acht. Das gilt insbesondere auch im Alter, zum Beispiel in der Restlebenserwartung oder im Rentenvermögen.“
Ursachen liegen sowohl in Biographien als auch an staatlichen Rahmenbedingungen
Die Ursachen dafür, dass Ungleichheit vor allem im Alter zunähme, lägen sowohl in den individuellen Erwerbsbiographien, als auch an den sozialstaatlichen Rahmenbedingungen, so das Urteil der beiden Wissenschaftler der Universität Hohenheim.
„Die Weichen werden bereits durch die Schulbildung, die Berufswahl, die Erwerbsbiographie und die persönliche Gesundheits-/Krankheitsgeschichte frühzeitig gestellt. Aber auch die individuelle Vorsorge bis hin zum familiären Umfeld haben einen Einfluss“, sagt Prof. Dr. Prettner.
„Ob und wie stark sich das auswirkt, liegt an den sozialen Sicherungssystemen und der Organisation der Gesundheitsversorgung. Das bedeutet, dass die Wirtschafts- und Sozialpolitik ein großes Potenzial besitzt, die Ungleichheit zu beeinflussen“, erklärt Prof. Dr. Sousa-Poza.
Szenarien und Modellrechnungen beleuchten Reform-Vorschläge
In den folgenden zwei Tagen diskutieren die Tagungsteilnehmer sowohl die Auswirkungen auf Rentensysteme, Rentenvermögen und Rentengerechtigkeit, als auch auf die Gesundheit und Restlebenserwartung alter Menschen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
Sie suchen aber auch nach Politikmaßnahmen, die helfen, gleichzeitig die demographischen Herausforderungen zu bewältigen, die Zunahme der Ungleichheit im Alter abzumildern und den bisher erreichten hohen Lebensstandard weiterhin zu gewährleisten.
„So zeigt uns der Konferenzbeitrag der chinesischen Fudan University, dass es der Volksrepublik mit einer Ausweitung der Wohlfahrtsprogramme gelungen ist, die Ungleichheit in der Bevölkerung wieder ein Stück weit zu verringern“, berichtet Prof. Dr. Sousa-Poza. Weitere Szenarien vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und der FU Berlin führten die Bedingungen für eine sinnvolle Implementierung der Altersteilzeit aus. Modellsimulationen der US-Universität Berkeley verglichen Reformansätze für mehr Rentengerechtigkeit. Und Berechnungen von Dr. Doris Prammer, welche an der Oesterreichischen Nationalbank tätig ist, sagten angesichts der alternden Bevölkerung auch ein kompensatorisches Steigen der staatlichen Einnahmen aus Einkommenssteuern und Sozialbeiträgen voraus.
Demographischer Wandel kann und muss gestaltet werden
Letzteres zeige, dass der demographische Wandel differenziert betrachtet und gestaltet werden müsse, betont Prof. Dr. Prettner.
„Die Bevölkerungsstatistik zeigt: In einigen Ländern übersteigt die Zahl der 60- bis 64-Jährigen kurz vor dem Rentenalter bereits die Zahl der 15- bis 19-Jährigen, die vor dem Eintritt in den Arbeitsmarkt stehen. Es wird aber auch kompensierende Effekte geben, welche die ökonomischen Belastungen der demographischen Entwicklung abmildern: Der Anteil der erwerbstätigen Frauen steigt, im Durchschnitt sind die jungen, die in den Arbeitsprozess eintreten, besser ausgebildet als die älteren, die aus dem Erwerbsprozess ausscheiden. Und die Automatisierung wird immer mehr Aufgaben übernehmen, für die in der Vergangenheit insbesondere ungelernte Arbeitskräfte benötigt wurden“, so der Ökonom der Universität Hohenheim.
Wenn sich die Arbeits- und Rentenstrukturen allerdings nicht ändern, werde sich der Anteil der älteren nichterwerbstätigen Personen pro aktiver Arbeitskraft im OECD-Raum von rund 38 % im Jahr 2000 auf knapp über 70 % im Jahr 2050 nahezu verdoppeln, zitiert Prof. Dr. Prettner die Zahlen der OECD.
HINTERGRUND: Next World Program
Die Experten-Tagung „The Economics of Inequality and Ageing“ wird veranstaltet im Rahmen des „Next World Program“. Dabei handelt es sich um eine gemeinsame Initiative des „Program on the Global Demography of Ageing“ der Universität Harvard (USA), des World Demographic & Ageing Forum / WDA Forum St. Gallen (Schweiz), des „Asia Health Policy Program“ der Universität Stanford (USA), des Programms „Comparative Ageing Societies“ der Fudan University (Shanghai/China) und des Forschungsschwerpunktes „Inequality and Economic Policy Analysis (INEPA)“ der Universität Hohenheim. Zur Initiative gehören ein jährlicher Kongress zu einem bedeutenden Wirtschaftsthema in Zusammenhang mit alternden Gesellschaften und eine Schwerpunktausgabe des „Journal of the Economics of Ageing“. Die Konferenz „Inequality and Ageing“ 2018 wird unterstützt vom Forschungszentrum für Gesundheitswissenschaften der Universität Hohenheim. Sie ist Teil des Programms zum 200-jährigen Jubiläum der Universität Hohenheim.
HINTERGRUND: Forschungsschwerpunkt INEPA
Der Forschungsschwerpunkt „Inequality and Economic Policy Analysis (INEPA)“ der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften untersucht die Ursachen und Konsequenzen der Ungleichheitsentwicklung, um mögliche Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Neben dem Anspruch, die Mechanismen aufzudecken, die zu einer ökonomischen Ungleichverteilung führen, sollen so auch politische Maßnahmen formuliert, neue Methoden für eine präzisere Analyse von Ungleichheit entwickelt und das Wissen über die Ungleichheitsentwicklung verbreitet und dadurch ein gestärktes gesellschaftliches Bewusstsein geschaffen werden. Insbesondere bearbeitet der Forschungsschwerpunkt die Themen Arbeitsmarkt & Diskriminierung, Globalisierung, Finanzwissenschaft & politische Antworten, Automatisierung, Innovation & Technologie, Messung & Bewertung der Ungleichheit, Sozioökonomische Implikationen der Ungleichheit und die historischen Wurzeln der Ungleichheit.
HINTERGRUND: 200 Jahre Universität Hohenheim
Bildung und Forschung als Schlüssel zum Überleben: Auf diesem Gedanken gründeten König Wilhelm von Württemberg und Königin Katharina im Jahr 1818 die damalige „Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt Hohenheim“ – die Vorläuferin der heutigen Universität. Anlass waren eine Klimakatastrophe, Missernten und Hungersnöte nach dem „Jahr ohne Sommer“. Ausgelöst hatte sie der indonesische Vulkan Tambora, der 1815 Tonnen von Asche und Staub mit der Sprengkraft von 170.000 Hiroshima-Bomben in die Atmosphäre spie.
200 Jahre später folgt die Universität Hohenheim ihrem Gründungsauftrag, durch Forschung und Lehre Beiträge zur Lösung globaler Herausforderungen zu liefern. Im Jubiläumsjahr 2018 feiert sie diese Arbeit mit 180 Veranstaltungen. Themen wie Ernährung und Gesundheit, Klima, Wasser und Ökosysteme, soziale Ungleichheit oder auch Bioökonomie spielen dabei ebenso eine Rolle wie die kulturellen Aspekte des Campuslebens. Programm und Infos im Web, Facebook, Instagram und Twitter unter www.uni-hohenheim.de/jubilaeum2018 und #hohenheim200.
Interview-Vermittlung während der Konferenz:
Vadim Kufenko, Universität Hohenheim, Institut für Volkswirtschaftslehre
T 01799 078 999
Text: Klebs
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Klaus Prettner, Universität Hohenheim, Sprecher Forschungsschwerpunkt Inequality and Economic Policy Analysis (INEPA), Fg. Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wachstum und Verteilung
T: 0711 459 23592, E: klaus.prettner@uni-hohenheim.de.
Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Universität Hohenheim, Fg. Haushalts- und Konsumökonomik
T 0711 459 22863, E alfonso.sousa-poza@uni-hohenheim.de