Bioökonomie kreativ:
Eine Reise in die Zukunftsliteratur [30.08.21]
Die Uni Hohenheim betrachtet Bioökonomie nicht nur wissenschaftlich, sondern interpretiert sie auch künstlerisch: Texte von Autor Dr. Philipp Schönthaler zum Lesen und Anhören
Im Wissenschaftsjahr 2020|21 – Bioökonomie hat sich die Universität Hohenheim in Stuttgart dem Thema Bioökonomie mal von einer ganz anderen Seite genähert: Unter dem Titel „Bioökonomie – eine Reise in die Zukunftsliteratur“ hat Dr. Philipp Schönthaler Forschung und Literatur zusammengebracht. Der Schriftsteller hat für die Universität Hohenheim drei Themen aus der Bioökonomie literarisch interpretiert. Die Texte rund um „Mobilität“, „Ernährung“ und „Zukunft“ gibt es jetzt zum Lesen oder Anhören auf der Seite Bioökonomie kreativ: www.uni-hohenheim.de/wj-20-21-biooekonomie-kreativ.
Das Wissenschaftsjahr 2020|21 steht im Zeichen der Bioökonomie, dem Leitthema der Universität Hohenheim in Forschung und Lehre. Zugleich ist es ein Anlass, sich der Materie einmal von einer ungewohnten Seite zu nähern: Der Autor Dr. Philipp Schönthaler hat drei Themen zur Bioökonomie als Montagetext, Essay und Erzählung aus seiner Sicht verarbeitet.
Bislang hatte sich der 1976 in Stuttgart geborene Schriftsteller literarisch vor allem mit der Ökonomie und Technologie beschäftigt: „Die Natur oder Biologie findet sich zwar von Anfang an in meinen Texten, dennoch zeichnet sich für mich ab, dass sie in Zukunft verstärkt in den Mittelpunkt rücken wird“, ist Dr. Schönthaler überzeugt. „Deshalb habe ich mich auch gefreut, als die Anfrage von der Universität Hohenheim kam, ob ich Lust hätte mich damit literarisch auseinanderzusetzen. In der Bioökonomie fließen die drei Bereiche Natur, Ökonomie und Technologie ja kongenial zusammen.“
Enge Verknüpfung von Literatur und Wissenschaft
„Es muss eine enge Verbindung von Wissenschaft und Literatur geben. Wissenschaft gehört zur modernen Literatur“, fährt Dr. Schönthaler fort. „Nicht erst heute leben wir in einer von Wissen und Informationen gesättigten Welt. Aber möglicherweise stellt dies den Erzähler heutzutage mehr denn je vor eine Herausforderung, denn es ist für ihn unmöglich, das gesammelte Wissen unserer Zeit in seine Texte einzubinden.“
Hinzu käme, dass die wissenschaftliche Welt immer abstrakter werde, also für den Einzelnen nicht mehr erfahrbar sei. „Aber gerade hier kann der Literatur eine fundamentale Rolle zukommen, um Wissenschaft und unseren Umgang – oder auch unsere Überforderung – mit wissenschaftlichen Daten wieder sinnlich erlebbar zu machen“, meint Dr. Schönthaler. „Zur Beschäftigung mit Themen wie der Technologie oder Biologie gehört für mich auch immer dazu die Rolle meiner eigenen Tätigkeit, also das Schreiben, mitzudenken.“
Mobilität: „Mit zunehmender Höhe wird die Welt statisch“
Für seinen ersten Text zur Mobilität hat er eine eher ungewöhnliche Textform gewählt, einen so genannten Montagetext. „Gegenüber einer konventionellen Erzählung erweist sich die Montage als eine geeignete Form, um generelle Aspekte zu thematisieren und stärker nach strukturellen Bedingungen der Mobilität zu fragen“, erklärt Dr. Schönthaler seine Wahl.
Beispielsweise, wenn die Mobilität als hoher, wenn nicht gar absoluter Wert hochgehalten werde, während die Immobilität als Stillstand negativ belegt sei: „Die Montage ermöglicht es mir hier, sehr bündig zu zeigen, dass wir etwa unsere Körper nicht anders als Maschinen, oder eben Autos, wahrnehmen, und sie derselben Logik unterwerfen, in der Immobilität unweigerlich ein Versagen, Unglück oder eine Katastrophe bedeutet“, sagt Dr. Schönthaler.
„Ich weiß, dass ich damit keine konventionelle, sondern eine eher anspruchsvolle Textform gewählt habe“, fährt er fort. „Trotzdem soll der Text Spaß beim Lesen machen und Lust wecken, sich auf ihn und das Thema einzulassen. Im Vordergrund stehen weniger eine konkrete Aussage oder Bedeutung, die man erkennen muss, sondern der Text soll zum Nachdenken anregen.“
Textversion: https://www.uni-hohenheim.de/fileadmin/uni_hohenheim/Aktuelles/Wissenschaftsjahr_2020_Biooekonomie/Biooekonomie_kreativ/Schoenthaler_Mit_zunehmender_Hoehe.pdf
Hörversion: https://www.youtube.com/watch?v=UiIBPwcwH4U&t=5s
Ernährung: „Wie ich lernte in alle Richtungen abzumagern. Über Literatur und Ernährung.“
In seinem zweiten Text unternimmt Dr. Schönthaler einen essayistischen Streifzug durch die Literatur-, Philosophie- und Geistesgeschichte. Sprache und Nahrung: Beides ist für den Menschen unverzichtbar. Spürt man ihrem Verhältnis in der Kulturgeschichte von der Steinzeit bis in die digitale Gegenwart nach, offenbaren sich erstaunliche Zusammenhänge.
Dazu beginnt Dr. Schönthaler seinen Essay bei den Höhlenmalereien der Steinzeit: Über die Jagd lassen sich spannende Geschichten erzählen. Sammeln hingegen ist geprägt von Monotonie und eignet sich deshalb nur schwer für eine packende Story. Vielleicht ist dies der eigentliche Grund, warum auf prähistorischen Höhlenzeichnungen Tiere und Speere, statt Pflanzen und Beutel zu sehen sind.
Und vielleicht prägen diese Erzählungen unsere Vorstellungen über Ernährung, Geschlechterrollen und Gesellschaft bis hinein in die Gegenwart tiefer als uns das gemeinhin bewusst ist. Dr. Schönthaler folgt der Beziehung zwischen Sprache und Nahrung durch die Jahrhunderte bis hin zur immateriellen Sprache der heutigen Zeit, die sich als digitaler und gespeicherter Code der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen entziehe.
Textversion: https://www.uni-hohenheim.de/fileadmin/uni_hohenheim/Aktuelles/Wissenschaftsjahr_2020_Biooekonomie/Biooekonomie_kreativ/Schoenthaler_Literatur_Ernaehrung.pdf
Hörversion (Teil 1): https://www.youtube.com/watch?v=FC_WBD6BO4Q
Hörversion (Teil 2): https://www.youtube.com/watch?v=wqGZsyoE9mc
Blick in die Zukunft: „Wetlands“
In der Erzählung „Wetlands“ schließlich geht es um das große Ganze: Das System Erde, auf das wir alle angewiesen sind, ist ins Wanken geraten. Doch für ein einfaches „Zurück zur Natur“ ist es längst zu spät. Die Auswirkungen, die die menschliche Zivilisation hinterlassen hat, lassen sich nicht einfach auf die Schnelle rückgängig machen.
Es bleibt nur der Weg nach vorne: Mit Technologie und Wissenschaft. Davon zumindest ist der namenlose Ich-Erzähler überzeugt, der als Wissenschaftler in einem künstlich angelegten Feuchtgebiet arbeitet. Doch das Gleichgewicht des Systems ist hochfragil …
Textversion: https://www.uni-hohenheim.de/fileadmin/uni_hohenheim/Aktuelles/Wissenschaftsjahr_2020_Biooekonomie/Biooekonomie_kreativ/Schoenthaler_Wetlands.pdf
Hörversion: https://www.youtube.com/watch?v=v6R4vpeMKkE
Zum Autor: Dr. Philipp Schönthaler
Dr. Philipp Schönthaler, 1976 in Stuttgart geboren, studierte in Vancouver Anglistik und Kunst. 2010 promovierte er in Konstanz über "Negationen des Erzählers". Er interessiert sich für zeitgenössische, kapitalistisch bedingte Konformitätserscheinungen und deren Kehrseiten. „Survival in den 80er Jahren. Der dünne Pelz der Zivilisation“ (2016) analysiert anhand der Konjunktur von Überlebenshandbüchern die sozialen Katastrophen- und Angstphantasmen in der Bundesrepublik. Der Erzählband „Vor Anbruch der Morgenröte“ (2017) eröffnet unter dem Untertitel „Leben und Dienste“ einen Werkzyklus, der sich mit neuen Technologien auseinandersetzt. Mit dem Roman „Der Weg aller Wellen“ erschien 2019 dessen Fortsetzung. Schönthaler lebt in Berlin.
Text: Stuhlemmer / Leonhardmair