Bruttoinlandsprodukt:
Uni Hohenheim entwickelt neues Vorhersage-Modell für BaWü [29.09.21]
Für die vierteljährliche Prognose des BIP des Landes wird künftig ein Modell genutzt, das Statistiker der Uni Hohenheim zusammen mit dem IAW Tübingen erarbeitet haben.
Wirtschaftsprognosen für die gesamtdeutsche Entwicklung, zum Beispiel für das gesamtdeutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP), können regionale Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern nicht berücksichtigen. Wissenschaftler von der Universität Hohenheim in Stuttgart haben jetzt zusammen mit dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) ein Prognosemodell speziell für das Wirtschaftswachstum in Baden-Württemberg erarbeitet. Es liefert Vorhersagen für das laufende sowie die beiden folgenden Quartale. Ende September werden erstmals Ergebnisse vorgestellt. Künftig werden das IAW und die Universität Hohenheim viermal jährlich Prognosen des baden-württembergischen Bruttoinlandsproduktes veröffentlichen. Finanziell wird das Vorhaben durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg gefördert.
Zuverlässige Prognosen über die künftige wirtschaftliche Entwicklung eines Landes oder einer Region sind für Politik und Verwaltungen sehr wichtig: Sie bilden die Grundlage für Steuerschätzungen und die Haushaltsplanung sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene. Dies gilt insbesondere in einem föderalen Staat wie der Bundesrepublik, in dem die Bundesländer bestimmte Zuständigkeiten, wie beispielsweise für das Gesundheitswesen, Bildung und Berufsausbildung, Kultur oder Polizei, eigenverantwortlich übernommen haben.
Es gibt in Deutschland allerdings zwischen einzelnen Regionen enorme Unterschiede in der Wirtschaftskraft pro Einwohner. Deswegen können Wirtschaftsprognosen für einzelne Bundesländer nicht direkt aus dem deutschen nationalen BIP abgeleitet werden. „Beispielsweise ist die Schwankungsbreite des BIP-Wachstums in Baden-Württemberg höher als auf Bundesebene“, so Dr. Karsten Schweikert vom Fachgebiet Ökonometrie und Wirtschaftsstatistik der Universität Hohenheim und Leiter des Modul „Data and Statistical Consulting“ der Core Facility Hohenheim. „Das hat sich unter anderem auch in einem stärkeren Rückgang des BIP des Landes während der globalen Finanzkrise, aber auch in einer stärkeren Erholung danach widergespiegelt.“
Das Land gehört zu den wichtigen Industrieregionen Deutschlands und trägt rund 15 Prozent zum nationalen BIP bei. Zu verdanken hat es das seiner eher mittelständisch geprägten Wirtschaft mit einem hohen Anteil an produzierendem Gewerbe. Die Wirtschaft im Land ist stark exportorientiert, auch weil die Automobilindustrie hier besonders stark ist. Die Weltwirtschaft und insbesondere das Wirtschaftsklima in den Haupthandelspartnern haben deshalb einen besonders großen Einfluss.
Neues Prognosemodell berücksichtigt spezielle Situation Baden-Württembergs
Bisher verwendeten Verwaltung und Politik in Baden-Württemberg keine ausgefeilten statistischen Ansätze zur Beobachtung der wirtschaftlichen Entwicklung. Daher haben Dr. Schweikert und Dr. Kuck von der Universität Hohenheim in Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) an der Universität Tübingen ein Prognosemodell speziell für die Vorhersage des Bruttoinlandsprodukts des Landes erarbeitet.
Ziel ist es, eine möglichst präzise Prognose auf kürzere Sicht zu erstellen. Das Modell ergibt einen so genannten Nowcast für das laufende Quartal. Dies ist deshalb wichtig, weil die Quartalsergebnisse der amtlichen Statistik immer erst mit einer zeitlichen Verzögerung zur Verfügung stehen. Außerdem wird das Modell genutzt, um die Entwicklung in den beiden Folgequartalen zu prognostizieren.
Dabei berücksichtigten die Wissenschaftler:innen eine breite Palette an regionalen, nationalen und globalen Einflussfaktoren: Insgesamt fließen 94 Indikatoren in die Prognose ein, von denen 17 vierteljährlich und 77 monatlich erhoben werden. „Ein idealer Datensatz für regionale Wirtschaftsprognosen besteht aus einer Mischung aus zeitnahen und qualitativ hochwertigen Indikatoren“, weiß Dr. Schweikert.
Er unterscheidet dabei zwischen „harten“ und „weichen“ Indikatoren. Markterwartungen werden als „weiche“ Indikatoren bezeichnet, während Indikatoren, die bestimmte Komponenten des BIP messen, als „harte“ Indikatoren gelten. So finden sich in dem Datensatz reale Variablen, wie zum Beispiel Auftragseingang bzw. Umsatz in ausgewählten Branchen, Preise, Löhne sowie offene Stellen und Beschäftigungsquoten. Darüber hinaus beziehen er und seine Kollegen verschiedene Stimmungsindikatoren und Finanzvariablen ein. Dazu gehören Konjunktur-, Experten- und Konsumklimaumfragen, ebenso der deutsche DAX und der US-amerikanische S&P 500.
Aus den im Modell gewonnenen Prognosewerten werden gemeinsam mit dem IAW Schlussfolgerungen gezogen. Dabei werden auch die längerfristigen Verläufe sowie aktuelle Entwicklungen einzelner Indikatoren berücksichtigt. Außerdem wird die prognostizierte Entwicklung in Baden-Württemberg entsprechenden Werten für den Bund gegenübergestellt. Ihre Bewährungsprobe hat die Zusammenarbeit jetzt Ende September: Die jüngsten Prognosen für das BIP-Wachstum in Baden-Württemberg sind das erste veröffentlichte Resultat des gemeinsamen Projektes.
Weitere Informationen
Gemeinsamen Pressemitteilung von IAW und Universität Hohenheim
Volltext der Prognose
Pressemitteilung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus
HINTERGRUND: Core Facility Hohenheim (CFH)
Die Core Facility Hohenheim (CFH), eröffnet im Januar 2017, ist eine zentrale Serviceeinrichtung und Technologieplattform der Universität Hohenheim und versteht sich als Partnerin für die Bearbeitung komplexer analytischer Fragestellungen in der Spitzenforschung. Mit ihren vier Modulen „Massenspektrometrie“, „Spektroskopie“, „Analytische Chemie“ und „Data and Statistical Consulting“ stellt sie u.a. Großgeräte zur Durchführung komplexer analytischer Untersuchungen bereit, berät bei Design und Durchführung von Untersuchungen und bietet Zugang zu globalen kommerziellen Datenbanken.
Infos: https://cfh.uni-hohenheim.de/
Text: Stuhlemmer
Kontakt für Medien:
Dr. Karsten Schweikert, Universität Hohenheim, Fachgebiet Ökonometrie und Wirtschaftsstatistik und Leiter Modul 4: Data and Statistical Consulting bei der Core Facility Hohenheim (CFH),
T + 49 (0)711 459-24713, E karsten.schweikert@uni-hohenheim.de