„Frühchristliche Pilgerwege ins 'Heilige Land'“:
Symposion und Ausstellung an der Universität Hohenheim  [14.05.09]

22. Mai 2009, 11:00 Uhr
Vorbesichtigung für Pressevertreter im Spielhaus, botanischer Garten

26. Mai 2009:
8:30–13:00 Uhr Wissenschaftliches Symposion im Schloss Hohenheim,
14:00 Uhr offizielle Eröffnung der Ausstellung durch Herrn Prorektor Prof. Dr. Hans-Peter Burghof

Wie ein schmaler Fluss schlängelt sich blaugrün das Mittelmeer durch das Zentrum. Indien umfasst ein Zehntel der Landfläche Italiens. Griechenland liegt quer. Auf sieben Meter reicht sie von Bordeaux bis Peking: die „Tabula Peutingeriana“, das modernste Kartenwerk der Antike. Und ist nur etwas mehr als 30 cm hoch – was Europa und Asien böse zusammenstaucht. Maßstäblichkeit konnte unter diesen Bedingungen nicht erreicht werden. Dennoch: Die Karte ermöglichte den Pilgern das Weiterkommen und war eine der modernsten ihrer Zeit.

Die Reproduktion des Sieben-Meter-Monstrums ist das Herzstück der Ausstellung „Frühchristliche Pilgerwege ins 'Heilige Land'“ – und der Stolz von Prof. Dr. Ulrich Fellmeth, Leiter des Universitätsarchivs der Universität Hohenheim, der seit mehreren Jahren an Herkunft und Gebrauch der Abschrift forscht.

Als kongeniales Duo entwickelten Prof. Dr. Fellmeth und Prof. Dr. Ulrich Mell, Fg. Evangelische Theologie, einen facettenreichen Ansatz, um mit Vorträgen und Ausstellung mehr Licht in ein bislang kaum ausgeleuchtetes Kapitel von Wirtschafts- und Kirchengeschichte zu bringen. Die Ausstellung zeichnet Pilgerwege auf historischen Karten nach, veröffentlicht Berichte von riskanten Reisen in schwankenden Kutschen, gefährdet durch Stürme und Piratenangriffe und zeigt Abbilder von Pilgerfläschchen mit heiligem Wasser oder gebrannter Medaillons aus geweihter Erde. Das Symposium schlägt den Bogen von einem Paradigmenwechsel in Politik und Kirche, die erste Pilgerfahrten überhaupt möglich machten, bis zu Pilgerreisen in der Jetzt-Zeit.

 

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Tatsächlich war es kaltes Machtkalkül, das den christlichen Massentourismus möglich machte: „Im 1. Jahrhundert wurden Christen kaum wahrgenommen, im 3 Jahrhundert bereits hart verfolgt – unter diesen Umständen war an Pilgern nicht zu denken“, erklärt Theologe Prof. Dr. Mell. „Erst dann entdeckte Konstantin, dass der Monotheismus der Christen eine gute Grundlage für die Monarchie auf Erden war.“

Mit großem Finanzaufwand habe der römische Monarch das Land und den Nahen Osten mit Kirchen übersät – „und damit erst Reiseziele geschaffen, wo es überhaupt etwas anzusehen gab.“

Auch in der Kirche gab es einen Paradigmenwechsel: „Die frühen Christen kannten keine Heiligen Orte – für sie war die Gemeinde heilig“, so Mell. Erst die staatliche Anerkennung gab den Christen den nötigen Freiraum, erstmals den öffentlichen Raum mit Heiligkeitssymbolen auszustatten.

 

Hit the road, Pilger

Reisebedingungen und Wege, auf denen sich die Pilgerströme in Richtung der „Heiligen Stadt“ wälzten, zeichnete Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Fellmeth in seiner historischen Karte nach. Und was sich erst als geographisches Zerrbild darbot, offenbart sich nun als informationsgeballte Mischung aus einer historischen „google map“ und Baedeker der Antike.

„Ob der Ölberg, der Berg Sinai, Emmaus – auf der Karte ist vieles enthalten. Ein farbiges Bildsymbol bezeichnet eine Stadt als Etappenziel, ein Zacken in der Straßenlinie eine Station zum Pferdewechseln. Alles was überflüssig ist, haben die Autoren ausgespart. Alles Wichtige ist enthalten“, sagt Prof. Dr. Fellmeth.

Je nach Geldbeutel reisten die Pilger in schlechten Zelten auf dem Deck von Handelsschiffen. Oder zogen mit 6 km/h per Pferd oder Kutsche durch Straßenstaub. Unterwegs waren sie zwischen zwei Wochen und mehreren Monaten – einfache Strecke. Denn einige kamen gar nicht mehr zurück.

 

Schnellstart für Palästina

In Palästina lösten die christlichen Touristen einen Wirtschaftsboom aus. „Wir müssen uns das ähnlich vorstellen, wie den Tourismusboom in der Türkei, der ganze Landstriche ernährt“, meint Prof. Dr. Fellmeth. Die Reisenden brauchten Herbergen, Pferdeschmieden, Krankenhäuser, sogar Friedhöfe und Waisenhäuser …

… und Devotionalien: „Schon im 4. Jahrhundert gab es Bedenken, die Pilger würden den Ölberg abtragen. Denn eine Handvoll Heilige Erde galt als beliebtes Mitbringsel“. Die findige Lokalbevölkerung verkaufte kleine Portionen der Heiligen Erde als Terrakottamedaillons und Pilgerfläschchen für Heiliges Wasser.

Einige Pilger ließen so viel Geld im "Heiligen Land", dass sie völlig verarmt am Fuße des Ölbergs verschieden. So auch die berühmteste Pilgerin, der das Professorenduo in seiner Ausstellung gedenkt.

 

Frühe Feministinnen

„Vor ihrer Pilgerfahrt war Melania die Jüngere wohl eine der reichsten Frauen im römischen Reich“, beschreibt Prof. Dr. Mell das Mitglied der Römischen High Society. Eine Frau mit Werten: Nämlich rund 120.000 Goldmünzen Einkommen im Jahr – was 520 Kilo entspricht. Ein Vermögen, das sie komplett mit Klosterbauten in Palästina durchbrachte.

Über die Motivation können die Professoren nur spekulieren. „Unter den Pilgern sind auffällig viele reiche Damen“, analysiert Prof. Dr. Fellmeth. „Wir vermuten, dass es für Frauen die einzige Chance war, gesellschaftlich legitimiert aus der starren Standesgesellschaft auszubrechen.“

Tatsächlich habe das Christentum den Römerinnen der Antike viele Gleichheitsgrundsätze gebracht: etwa öffentlich zu reden oder an Gottesdiensten teilzunehmen. „Als Pilgerin konnten sie endgültig ein selbstbestimmtes Leben führen“, meint Theologie-Professor Mell. „So ein ‚Ich bin dann mal weg’ – nur halt antik und auf römisch.“

 

Symposionsinhalte und –tagungszeiten: Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete diskutieren ihre Forschungsergebnisse zum Thema Pilgern im frühen Christentum. Sie stellen Pilgerberichte vor, zeichnen Pilgerwege nach, geben Einblicke in politische Strukturen und erörtern die Ursachen und Folgen des Wandels der Heiligkeitsvorstellung. Ein weiterer Beitrag zieht den Bogen bis in die heutige Populärkultur: Denn die Pilgerfahrt ins "Heilige Land" übt auch heute noch eine Faszination für viele Menschen aus.

Das Symposion beginnt am Dienstag, 26. Mai um 8:30 Uhr in der Aula im Schloss Hohenheim und dauert bis 13:00 Uhr. Den Abschluss bildet die Ausstellungseröffnung um 14:00 Uhr im Museum zur Geschichte Hohenheims. Die Eröffnungsrede hält Prorektor Prof. Dr. Hans-Peter Burghof.

 

Ausstellungsinhalte und –öffnungszeiten: Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die „Tabula Peutingeriana“: sie vereint die zahlreichen Darstellungen von Pilgerwegen, reiches Bildmaterial und authentische Pilgerberichte.

Die Ausstellung wird bis Ende September geöffnet sein: samstags von 14:00-17:00 Uhr und sonn- und feiertags von 10:00-17:00 Uhr.

 

Text: Konstantinidis / Klebs

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Ulrich Fellmeth, Universität Hohenheim, Archiv und Museum
Tel.: 0711 459-22119, E-Mail: fellmeth@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Ulrich Mell, Universität Hohenheim, Fachgebiet Evangelische Theologie
Tel.:0711 458-282507, E-Mail: mell@uni-hohenheim.de


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