Glyphosat-Diskussion:
Agrarwissenschaftler plädiert für gezielteren Einsatz statt Verbot [15.06.16]
Forscher der Universität Hohenheim für beschränkten und maßvollen Glyphosat-Einsatz / Anwender sollte Sachkunde nachweisen / Fruchtfolge beugt Schäden vor
Es ist effizient, kostengünstig, relativ umweltverträglich und verursacht kaum Unkrautresistenzen – und doch ist kein Pflanzenschutzmittel derzeit in der EU so umstritten wie Glyphosat. Die Kehrseite der Medaille: Es schmälert die Artenvielfalt, Rückstände finden sich zunehmend in Gewässern, Futter- und Nahrungsmitteln – und es steht im Verdacht, zu den krebserregenden Stoffen zu gehören. Prof. Dr. Günter Neumann von der Universität Hohenheim sieht mehr Sachverstand bei der Anwendung des Herbizids für dringend geboten. Er setzt sich für einen gezielteren Einsatz des Mittels ein. Doch ein komplettes Verbot hält er für kontraproduktiv – die Vorteile beim Einsatz in bodenschonenden Anbauverfahren seien derzeit nicht mit anderen Methoden zu erreichen.
Weltweit werden immer mehr glyphosathaltige Herbizide gegen Unkräuter eingesetzt – mit der Folge, dass sich auch zunehmend Rückstände in Gewässern und in der Nahrungskette finden. „In den vergangenen Jahren mehren sich Zweifel an der generellen Unbedenklichkeit von Glyphosat und der Zusatzstoffe im Spritzmittel“, berichtet Prof. Dr. Neumann, Agrarwissenschaftler an der Universität Hohenheim.
Die Fronten sind verhärtet: Bis Ende des Monats muss die EU-Kommission eine Entscheidung fällen, ob sie die Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat verlängert. „Da gibt es Pro und Contra auch jenseits der Diskussion, ob diese Substanz als wahrscheinlich krebserregend einzustufen ist oder nicht“, meint der Agrarwissenschaftler, „auch wenn die öffentliche Diskussion derzeit hauptsächlich darauf fokussiert.“
Er plädiert dafür den Einsatz von Glyphosat auf ein unbedingt nötiges Maß zu reduzieren.
Pro und Contra Glyphosat
„Glyphosat ist ein wichtiges und wertvolles ackerbauliches Werkzeug und sollte auch als solches behandelt werden. Es wirkt hocheffizient gerade bei Problemunkräutern und tötet auch die Wurzeln ab. Die Substanz ist vergleichsweise umweltverträglich und kostengünstig. Und im Gegensatz zu vielen anderen Wirkstoffen sind für Glyphosat zumindest in Europa bisher kaum Unkraut-Resistenzen bekannt.“
Allerdings setze man in anderen Ländern wie den USA, Brasilien und Argentinien besonders stark auf Anbausysteme mit Glyphosat-toleranten Kulturpflanzen, gibt der Experte zu bedenken. „Und dort treten aufgrund des langjährigen, intensiven Einsatzes von Glyphosat inzwischen vermehrt resistente Unkräuter auf. Hier wird also einer der wesentlichsten Vorteile des Wirkstoffs wissentlich verspielt.“
Auch negative Einflüsse von Glyphosat auf den Artenreichtum unserer Kulturlandschaften seien unumstritten, stellt Prof. Dr. Neumann fest: „Als Totalherbizid wirkt es schließlich auf alle Pflanzenarten.“
Beschränkungen und maßvoller Einsatz mit Sachverstand
Gerade vor diesem Hintergrund sei ein kritischer, bewusster Umgang mit der Substanz notwendig, betont Prof. Dr. Neumann. „Dass sie immer wieder in Oberflächengewässern zu finden ist, hängt oft mit unsachgemäßer Anwendung zusammen – vor allem auch außerhalb der Landwirtschaft. Glyphosat sollte daher nur noch von Personen mit Sachkundenachweis angewandt werden.“
Im Heimgartenbereich oder in Parks sollte es ganz verboten werden, und auch den unkontrollierten Verkauf über das Internet sieht der Experte kritisch: „Glyphosat galt viel zu lange als relativ unproblematisches Allheilmittel, und das muss sich ändern.“
In Heimgärten sei die Anwendung in Problembereichen wie Pflaster-Ritzen wegen der Abschwemmungsgefahr sowieso bereits strengstens verboten. In Beeten sei meist nur aufwendige Einzelpflanzenbehandlung möglich um benachbarte Zierpflanzen nicht zu gefährden. „Und die langsam dahinwelkenden, absterbenden Unkräuter ergeben für sehr lange Zeit auch ein recht unschönes Bild.“
Insgesamt sei es daher ein richtiger Schritt, meint Prof. Dr. Neumann, dass in Deutschland die Aufwandmengen in der Praxis begrenzt sind und Glyphosat nur noch im Notfall zur Beschleunigung der Abreife angewandt werden darf. „Im Einzelfall mag es aber sicherlich noch Anpassungsbedarf geben um flexibler auf Problemsituationen reagieren zu können.“
Zusatzstoffe und mögliche Wechselwirkungen berücksichtigen
Prof. Dr. Neumann lenkt das Augenmerk auf einen weiteren wunden Punkt: Die sogenannten Formulierungshilfsstoffe. Das sind Chemikalien, die zum Beispiel die Aufnahme der Substanz in die Pflanzen vermitteln.
„Die Sicherheitsbewertung bezieht sich bislang in erster Linie auf die Reinsubstanz. Und das ist realitätsfern, da die Möglichkeit von Wechselwirkungen mit den Zusatzstoffen besteht“, erklärt er.
Totalverbot würde Bodenschutz erschweren
Ein komplettes Verbot von Glyphosat sieht Prof. Dr. Neumann dagegen eher kritisch. Glyphosat spielt eine wichtige Rolle beim Resistenzmanagement und für den Anbau in Mulch- oder Direktsaat. Bei diesen Methoden erfolgt die Saat ohne vorheriges Pflügen, Pflanzenreste der Zwischen- oder Vorfrucht bedecken nach der Neuaussaat die Bodenoberfläche. Auf diese Weise bleibt der Boden vor Erosion geschützt und der Landwirt spart Zeit und Energie.
In eigenen Untersuchungen der Arbeitsgruppe konnten bisher in diesen Anbausystemen auch in keinem Fall Glyphosat-Rückstände in den oberirdischen Pflanzenteilen nachgewiesen werden, die eventuell später zur Kontamination von Ernteprodukten führen könnten.
„Ganz ohne das Totalherbizid, das den Unkrautbewuchs reguliert, wären diese wertvollen bodenschonenden Verfahren derzeit noch schwer umsetzbar – und Alternativen stecken, nicht zuletzt wegen des großen Erfolgs von Glyphosat, häufig noch in der Testphase.“
Alternativen zu Glyphosat noch nicht ausgereift
Deren Entwicklung voranzutreiben sei aber auf jeden Fall wichtig, betont Prof. Dr. Neumann. „Doch mechanische Verfahren zur Unkrautbekämpfung, etwa mit Messerwalzen, oder Neuentwicklungen wie der ‚Elektroherb‘ zur Unkrautbekämpfung mit Strom müssen erst noch ihre Wirtschaftlichkeit unter Beweis stellen.“
Ein Glyphosatverbot könne daher vom Regen in die Traufe führen: „Das würde wohl zunächst eher die Verwendung anderer herbizider Wirkstoffe begünstigen, die oft deutlich weniger untersucht und gegebenenfalls sogar problematischer sind als Glyphosat.“
Rückstandsprobleme kann Verbot in EU nicht lösen
Prof. Dr. Neumann geht auch davon aus, dass ein Totalverbot von Glyphosat das Problem der Rückstände in der Nahrungskette nicht grundlegend verändern würde. „Für die Futter- und Nahrungsmittelindustrie wird in großem Maßstab Soja importiert, und das stammt überwiegend von Glyphosat-resistenten Sorten.“
„Da in den Ursprungsländern aber auch immer mehr Unkräuter resistent sind, müssen die Felder häufiger und auch später in der Kulturperiode mit dem Herbizid behandelt werden“, warnt der Forscher. „Das erhöht das Risiko von Rückständen in den Ernteprodukten erheblich.“
Vielseitige Fruchtfolge gegen Glyphosat-Schäden
Doch auch im heimischen Ackerbau können selbst bei bestimmungsmäßigem Glyphosat-Gebrauch unerwartete Probleme auftreten: Verschiedene Landwirte, die mit Direktsaat arbeiten, haben beobachtet, dass der Ertrag bei langjähriger Anwendung über zehn und mehr Jahre immer weiter zurückging.
„Zunächst wurden vor allem die Wurzeln der Kulturpflanzen geschädigt. Die Herbizid-Rückstände im Boden und in den Resten der behandelten Unkräuter wurden erheblich langsamer abgebaut, die Aktivität der Mikroorganismen in den betreffenden Böden stark vermindert“, fasst Prof. Dr. Neumann die Ergebnisse zusammen. Die Symptome traten besonders bei langjährig engen Weizen/Raps-Fruchtfolgen oder Weizen-Monokulturen auf.
Um das zu vermeiden empfiehlt der Agrarwissenschaftler vielseitige Fruchtfolgen und den Anbau von Zwischenfrüchten. „Damit konnten die betroffenen Landwirte solche Schadeffekte inzwischen weitgehend vermeiden. Offenbar bedingt die höhere biologische Vielfalt im Anbausystem auch eine größere Vielfalt an Mikroorganismen im Wurzelraum – und damit auch einen beschleunigten Abbau der Herbizid-Rückstände. Und gleichzeitig leistet man damit auch ein Beitrag zur Artenvielfalt.“
Mehr Informationen: Expertenliste Glyphosat
Die Universität Hohenheim hat zur Diskussion um das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat eine Liste mit Experten zu diesem Thema herausgegeben – zu finden unter www.uni-hohenheim.de/expertenliste-glyphosat
Text: Elsner
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Günter Neumann, Universität Hohenheim, Fachgebiet Ernährungsphysiologie der Kulturpflanzen
T 0711 459 24273, E guenter.neumann@uni-hohenheim.de