NS-Vergangenheit:
Uni Hohenheim veröffentlicht ersten Einblick in laufende Studie [10.11.17]
Projekt zur Aufarbeitung der NS-Zeit und ihrer Folgen stößt auf Besonderheiten und auf typische NS-Karrieren / Beitrag in Magazin „Momente“ beleuchtet ausgewählte Biografie
Seit dem Frühjahr 2016 beschäftigt sich ein Forschungsprojekt an der Universität Hohenheim in Stuttgart mit der NS-Vergangenheit der Hochschule und deren Folgen weit über das Kriegsende hinaus. Einen ersten Einblick in die laufende Forschung gibt das heute erscheinende Magazin „Momente“ zur Geschichte Baden-Württembergs. Weitere Zwischenergebnisse stellt die Universität am 26. Februar 2018 auf einer Fachtagung vor. Die Endergebnisse werden am 12. November 2018 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung bekannt gegeben. Infos zum Projekt unter www.uni-hohenheim.de/aufarbeitung-ns-zeit
An der landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim habe bereits in der Weimarer Republik eine konservativ-nationalistische Grundstimmung geherrscht, die später durchaus einen Nährboden für typische NS-Karrieren geboten habe. Auch an der Ausbeutung von Zwangsarbeitern habe sich Hohenheim beteiligt. Dagegen sei die NS-Regierung mit dem Plan gescheitert, die damalige Hochschule zur nationalsozialistischen Musteranstalt im ideologisch bedeutenden Agrarsektor auszubauen.
Zu dieser Einschätzung kommt Dr. Anja Waller, die sich seit dem Frühjahr 2016 im Auftrag der Universität mit der Aufarbeitung der Hohenheimer NS-Vergangenheit beschäftigt. Dabei beschränkt sich die Historikerin nicht nur auf die Zeit bis 1945, sondern bezieht auch die Auswirkungen des Nationalsozialismus bis in die 1960er Jahre ein. Im Zentrum steht dabei die Frage, in wie weit es in Hohenheim nach Kriegsende einen Neuanfang gab und in wie weit es belasteten Personen gelang, in Hohenheim Fuß zu fassen
Quellen sind weit verstreut, aber überraschend zahlreich
Dabei stützt sich Dr. Waller u.a. auf Akten aus dem Universitätsarchiv, durchforstet Quellen in den Archiven der Länder und des Bundes, sichtet Unterlagen des internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes zum Schicksal von Zwangsarbeitern und recherchiert in den Kirchenarchiven von Rottenburg und Stuttgart.
Unterstützt wird die Historikerin von Prof. Dr. Andreas Gestrich, dem renommierten Leiter des Deutschen Historischen Instituts in London als wissenschaftlichem Beirat.
Universität will das volle Ausmaß der Verstrickung mit dem NS-Regime ausloten
Bislang klafften bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Universität Hohenheim noch beträchtliche Lücken, bestätigt der amtierende Rektor der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Stephan Dabbert. Einige dieser Lücken seien nur schwer zu schließen, da manche Akten unvollständig seien oder bei Bombenangriffen vernichtet wurden.
„Klar ist, dass die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim an den Gräueln des Nationalsozialismus nicht unbeteiligt war. Ebenso deutlich ist, dass es auch in Hohenheim nach Kriegsende keinen sauberen Schnitt und Neuanfang gab. Mit diesem Projekt wollen wir das volle Ausmaß der Hohenheimer NS-Verstrickungen erforschen, um uns endlich auch diesem Kapitel der Hohenheimer Geschichte zu stellen“, so der Rektor.
Nicht nur die junge Generation der Studierenden, auch die etablierten Professorinnen und Professoren stellen sich heute Fragen zur damaligen Rolle ihrer Universität. Dabei sei auch der Entschluss gefallen, den Auftrag zur Aufarbeitung an außenstehende Historiker zu vergeben.
Gedenkveranstaltung im anstehenden Jubiläumsjahr
„Im Vergleich zu vielen anderen Institutionen muss sich die Universität Hohenheim den Vorwurf gefallen lassen, dass sie den Schritt zur Aufarbeitung sehr spät gegangen ist. Doch wer sich einer 200-jährigen Geschichte mit vielen Erfolgen rühmen will, darf auch die dunklen Kapitel darin nicht ausblenden. Im Jubiläumsjahr 2018 werden wir daher die Ergebnisse des Projektes der Öffentlichkeit vorstellen und der Bedeutung einer umfassenden historischen Rückbesinnung für die Gegenwart Rechnung tragen“, sagt Prof. Dr. Dabbert.
Geplant seien eine Fachtagung am 26. Februar 2018 und eine Gedenkveranstaltung am 12. November 2018. Die Details werden auch von den Ergebnissen abhängen, die das Projekt in den kommenden Monaten zu Tage fördern wird.
„An verschiedenen Stellen auf dem Campus und auch im Hohenheimer Schloss finden wir auch heute noch Verweise auf Personen und Ereignisse, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus stehen. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung wollen wir auch diese Orte in ihrem historischen Kontext kenntlich und der Diskussion zugänglich machen“, so der Rektor.
Gemeinschaftsgeist und National-konservativer Nährboden begünstigen NS-Engagement
Aus historischer Sicht stelle Hohenheim durchaus einen besonderen Fall dar, erklärt Dr. Waller. Schon in den 1920er Jahren sei die Stimmung in Hohenheim vorwiegend konservativ-nationalistisch geprägt gewesen. Der Anteil jüdischer Studenten sei gering gewesen, Studentenverbindungen aus dem linken oder republikanischen Spektrum hätten gar nicht erst existiert. Entsprechend niedrig sei die Zahl der Hochschulangehörigen, die in den 30er Jahren aus der Hochschule gedrängt worden seien.
Eine Ursache dafür sei die abgeschiedene Lage und die sehr überschaubare Anzahl an Hochschulmitgliedern: „Mit ihrem Standort auf den Fildern war die damalige Hochschule vom Großstadtleben im Stuttgarter Talkessel ziemlich isoliert: In Hohenheim gab es keine städtischen Angebote. Es gab kaum Kulturprogramm. Und es gab auch keine Vielfalt an wissenschaftlichen Disziplinen, die verschiedene geistige Impulse gebracht hätten.“
Im Kreis Stuttgart sei Hohenheim die letzte Hochschule gewesen, an der der NS-Studentenbund Fuß fasste. Dafür habe der NS-Studentenbund direkt nach der Gründung bereits 16 Mitglieder besessen. „Bei nur 117 Studenten bedeutete das eine Quote von 14 Prozent. Das sind mehr als dreimal so viele, wie der Durchschnittswert von 4 Prozent an anderen Hochschulen im Deutschen Reich“.
Pläne für eine NS-Musteranstalt scheiterten
Hinzu kommt eine weitere Besonderheit: Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts seien alle anderen landwirtschaftlichen Hochschulen in größere Universitäten eingegliedert worden. Nur Hohenheim sei akademisch eigenständig geblieben.
Die NS-Regierung habe deshalb Pläne verfolgt, die Hochschule zur nationalsozialistischen Musteranstalt auszubauen. Auch Reichsbauernführer Alfred Arnold habe entsprechend deutliche Erwartungen an die Hochschule formuliert. „Dort fanden die Pläne jedoch kein Gehör, weil sie als zu starke Einmischung eines Nicht-Akademikers empfunden wurden.“
In den Kriegsjahren selbst engagierten sich Hohenheimer Dozenten im NS-Kader bei der Umsetzung des „Generalplan Ost“ Zur gleichen Zeit seien in Hohenheim rund 250 Zwangsarbeiter beschäftigt worden.
Hohenheimer Besonderheiten noch Gegenstand der laufenden Forschung
Was die NS-Karrieren betrifft, sei Hohenheim leider keine Ausnahme gewesen: „Die bisherige Forschung hat bereits gezeigt, dass es sich bei den teilweise sehr steilen NS-Karrieren von Wissenschaftlern um erschreckend normale Biografien handelt, die oft auch über das Kriegsende hinaus erfolgreich verliefen. Das war in Hohenheim nicht anders als an anderen Hochschulen“ erklärt Dr. Waller.
Eine dieser Karrieren zeichnet sie in einem Beitrag für das heute erscheinende Geschichtsmagazin „Momente“ nach. Es handelt von dem Aufstieg von Otto Siegel, Student und Gründer der Hochschulgruppe des NS Studentenbundes in Hohenheim. Ihm habe vor allem sein politisches Engagement den Weg in die Wissenschaft bis zum Posten eines Institutsdirektors in der besetzten Ukraine geebnet. Nach dem Krieg sei ihm die Rückkehr auf eine außerordentliche Professur in Mainz gelungen. In den 70er Jahren sei die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz erfolgt.
Die Hohenheimer Besonderheiten sind derzeit noch Gegenstand der laufenden Forschung. Dazu gehöre der Umgang mit den Hohenheimer Zwangsarbeitern und die Folgen der NS-Zeit vor allem in den 50er und 60er Jahren.
Dabei untersucht Dr. Waller auch, wie die Hochschule mit Einzelpersonen umging, die die Hochschule zu Unrecht verlassen mussten und gerne zurückkehren wollten – und wie sie sich gegenüber belasteten Personen verhielt. Prominentestes Beispiel für die zweite Kategorie sei der Agrarhistoriker und SS-Hauptsturmführer Günther Franz, der der Hochschule von 1963 bis 1967 sogar als Rektor vorstand.
Text: Klebs
Kontakt für Medien:
Dr. Anja Waller, Universität Hohenheim, Projekt zur Aufarbeitung der NS-Zeit und ihrer Folgen an der Universität Hohenheim
T 0711 459 22058, E anja.waller@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Stephan Dabbert, Rektor der Universität Hohenheim
T 0711 459 22000, E presse@uni-hohenheim.de