CEO-Reden 2020 unter der Lupe:
Top-Verständlichkeit bei Telekom-Chef Timotheus Höttges [06.10.20]
Universität Hohenheim analysiert CEO-Reden der DAX-30-Unternehmen / Verständlichkeit auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr / Höttges zum sechsten Mal in Folge auf Platz 1
Spitzenmanager im Verständlichkeits-Check: Die Reden deutscher CEOs sind so verständlich wie im Vorjahr. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Universität Hohenheim in Stuttgart. Prof. Dr. Frank Brettschneider und sein Team untersuchen seit 2012, wie verständlich die Vorstandsvorsitzenden der DAX-30-Unternehmen auf den Hauptversammlungen ihrer Unternehmen sprechen. Im Schnitt erreichen die Reden in diesem Jahr 15,5 Punkte auf einer Skala von 0 bis 20.
Mit Hilfe einer Analyse-Software fahnden Prof. Dr. Brettschneider und sein Team unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und zusammengesetzten Wörtern. Anhand dieser Merkmale bilden sie den „Hohenheimer Verständlichkeits-Index“. Er reicht von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich).
Nach dem Hohenheimer Verständlichkeits-Index hielt Timotheus Höttges (Telekom) mit 19,8 Punkten die formal verständlichste Rede. Damit belegt der Vorstandsvorsitzende der Telekom zum sechsten Mal in Folge den ersten Platz. Auf dem zweiten Platz folgt Stephan Sturm: Mit 19,7 Punkten bietet der CEO von Fresenius SE zum wiederholten Mal eine Top-Leistung.
Er teilt sich den zweiten Platz mit Dr. Theodor Weimer von der Deutschen Börse. Unter Dr. Weimer legt die Deutsche Börse deutlich mehr Wert auf Verständlichkeit als zu Beginn der Untersuchungen. 2013 und 2015 belegte einer seiner Vorgänger, Dr. Reto Francioni, noch jeweils den letzten Platz (6,4 bzw. 8,1 Punkte). „Theodor Weimer zeigt damit, dass auch komplexe Finanzmaterie verständlich vermittelt werden kann“, sagt Prof. Dr. Brettschneider, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim.
Große Verständlichkeit stärkt Reputation des Unternehmens
Auch in diesem Jahr haben zahlreiche Wirtschaftsbosse Reden gehalten, die sich nicht nur an Anleger, Analysten sowie Finanz- und Wirtschaftsexperten richten. Im Schnitt erreichen sie einen Verständlichkeits-Wert von 15,5 Punkten – das sind genauso viele Punkte wie im Vorjahr und 5,7 Punkte mehr als im Jahr 2012 (9,8).
„Es ist erfreulich, dass der sehr gute Vorjahreswert trotz der widrigen Umstände in diesem Jahr gehalten wurde. Zuvor hatte sich die formale Verständlichkeit der Reden sieben Mal in Folge verbessert“, erläutert Prof. Dr. Brettschneider. „Die Vorstandsvorsitzenden nutzen die Hauptversammlung für Reden, die auch für eine breitere Öffentlichkeit verständlich sind. Viele Redner bemühen sich, Fachsprache so zu übersetzen, dass auch Laien den Inhalt der Rede verstehen. Für den Auf- und Ausbau von Reputation ist dies sinnvoll“, so Prof. Dr. Brettschneider.
Sechs Redner haben mehr als 19 Punkte erreicht. Die deutlichsten Verbesserungen zeigen sich bei Rice Powell (Fresenius MC), Dr. Johannes Teyssen (E.ON) und Dr. Markus Steilemann (Covestro). Die größte Verschlechterung verzeichnet Dr. Joachim Wenning (Münchener Rück). Dr. Herbert Diess (VW) ist nach einem viertletzten Platz und 11,1 Punkten im Jahr 2019 nun mit 8,1 Punkten auf den vorletzten Platz abgestiegen. Bei seiner ersten Rede 2018 erreichte Dr. Diess noch 13,2 Punkte.
Verständlichkeitshürden: Bandwurmsätze, Fachbegriffe, Wortungetüme
„Am meisten schmälern Bandwurmsätze, abstrakte Begriffe, zusammengesetzte Wörter und nicht erklärte Fachbegriffe die Verständlichkeit einiger Reden“, erklärt Claudia Thoms, Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft. Aber: Überlange Sätze werden seltener, immer weniger Reden enthalten zusammengesetzte Wortungetüme.
Auch greifen die Vorstandsvorsitzenden immer seltener auf komplizierte Fachausdrücke zurück, die höchstens die Experten im Publikum verstehen. Vor allem Anglizismen und Ausdrücke wie „Best of both worlds“, „Purpose“, „Renewables-Aktivitäten“ und „forward-thinking healthcare“ könnten teilweise noch vermieden werden, kommen aber insgesamt vergleichsweise selten vor.
Auch unerklärte Abkürzungen wie „MEB-Drittmarktgeschäft“, „MQB-Basis“ und „NMC-Akkus“ sind eher die Ausnahme. Oft erklären die Redner schwierige Begriffe, wenn sie sie doch einmal verwenden. „Zu erläutern, was „Blockchains“, „Re-Rating“ und „neuromorphe Rechner“ sind, mag dabei nicht für jeden Zuhörer oder Leser notwendig sein. Dadurch steigt aber die Wahrscheinlichkeit, dass auch Personen mit weniger Vorkenntnissen das verstehen, was der Redner meint“, sagt Claudia Thoms.
Allerdings verwenden immer noch viele CEOs Passiv-Formulierungen, kritisiert Prof. Dr. Brettschneider. „Sie verschweigen ‚Ross und Reiter‘. Damit bleibt unklar, wer eigentlich handelt, und die Zuhörer verlieren den Faden und schlussendlich auch das Interesse.“ Besonders häufig finden sich Passiv-Formulierungen in der Rede von Bayer-Chef Werner Baumann (10,0 % aller Sätze). In der Rede des Erst-Platzierten Höttges sind es nur 0,5 Prozent. Und die CEOs von Merck, der Deutschen Börse und von Continental kommen sogar ganz ohne Passiv-Sätze aus.
Klartext überzeugt
Die formale Verständlichkeit sei zwar nicht das einzige Kriterium für eine gelungene Rede, betont Prof. Dr. Brettschneider. Wichtiger noch sei der Inhalt. Und hinzu kämen Kriterien wie der Aufbau der Rede oder der Vortragsstil. Dennoch sollte ein Redner nicht vergessen: „Formal verständliche Botschaften werden von den Zuhörern besser verstanden und erinnert. Und verständliche Botschaften genießen mehr Vertrauen als unverständliche“.
Daher sollte man laut Prof. Dr. Brettschneider einige Grundregeln für verständliche Reden einhalten: kurze Sätze, gebräuchliche Begriffe, Fachbegriffe übersetzen und zusammengesetzte Wörter möglichst vermeiden. „Denn nur wer verstanden wird, kann auch überzeugen.“
HINTERGRUND: Der Hohenheimer Verständlichkeits-Index
Der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Brettschneider und sein Team berechnen den Hohenheimer Verständlichkeits-Index mit Hilfe der Verständlichkeits-Software „TextLab“. Die Software wurde von der Ulmer Agentur H&H CommunicationLab und von der Universität Hohenheim entwickelt. Sie berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z.B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter).
Aus diesen Werten setzt sich der „Hohenheimer Verständlichkeits-Index“ zusammen. Er bildet die Verständlichkeit von Texten auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich) ab. Zum Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Hörfunk-Nachrichten kommen im Schnitt auf 16,4 Punkte, Politik-Beiträge überregionaler Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt oder der Süddeutschen Zeitung auf Werte zwischen 11 und 14.
Text: Elsner
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Institut für Kommunikationswissenschaft
T 0711 459 24030, E frank.brettschneider@uni-hohenheim.de