„Komplex und verfassungsrechtlich bedenklich“:
Steuer-Experten der Universität Hohenheim geben Gesetz zur Erbschaftsteuerrform geringe Halbwertszeit  [27.11.08]

Bis zum Jahresende hatte das Bundesverfassungsgericht der Politik eine Frist gesetzt, um bestehende Ungleichbehandlungen in der aktuellen Gesetzeslage zu überarbeiten. Entsprechend heiß gestrickt sei das heute vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Reform der Erbschaftsteuer, urteilen Prof. Dr. Holger Kahle und Stefan Königer vom Fachgebiet Steuerlehre und Prüfungswesen der Universität Hohenheim. Die erforderliche Zustimmung des Bundesrates soll im Rahmen einer Sondersitzung am 12.12.2008 erfolgen. Ob das geplante Gesetz einer erneuten Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht standhalte, sei mehr als fraglich.

Ein 4-Milliarden-Loch an Steuerausfällen droht den Ländern, falls die Erbschaftssteuer bis Jahresende nicht neu geregelt wird. Denn laut Bundesverfassungsgericht verstößt die geltende Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz und ist damit nicht verfassungskonform. Bis 31.12.2008 hatten die Richter der Politik eine Frist gesetzt das Erbschaftsteuerrecht neu zu regeln.

Deshalb ist es umso unverständlicher, so Steuerexperte Prof. Dr. Kahle, dass die Politik die Zeit nicht ausreichend genutzt hätte, um eine Erbschaftsteuerreform auf den Weg zu bringen, die einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würde. Die Wissenschaftler geben zu bedenken, dass je nach Art des übertragenen Vermögens erhebliche Belastungsdifferenzen bestehen.

 

Beanstandete Ungleichbehandlung besteht weiter fort

„Der gefundene Kompromiss stellt Erben von Betriebsvermögen grundsätzlich besser als Erben von Verwaltungsvermögen“, erläutert Königer, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Steuerlehre und Prüfungswesen. Wird ein Betrieb von der nächsten Generation weitergeführt, soll dieser bis zu 100% erbschaftsteuerlich begünstigt sein, wenn die Arbeitsplätze erhalten werden und der Betrieb nicht veräußert wird. Erben von Grundvermögen, Immobilien oder Wertpapieren erhalten maximal eine Begünstigung in Höhe von 10%.

Ob die vom Gesetzgeber in Abhängigkeit von der jeweiligen Vermögensart vorgenommenen Differenzierungen bzgl. der Begünstigungen vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben werden, kann zumindest angezweifelt werden. Das Bundesverfassungsgericht wollte genau solche drastischen Ungleichbehandlungen vermeiden; die Höhe der Erbschaftsteuer sollte gerade nicht von der Art des übertragenen Vermögens abhängig sein.

 

Gestaltungsspielraum durch Neuregelung

Gleichzeitig werden durch die geplanten Neuregelungen Steuergestaltungen angeregt. „Ist ein Unternehmen in der Ausgangssituation erbschaftsteuerlich noch nicht zu 85% oder 100% erbschaftsteuerlich begünstigt, kann durch entsprechende steuerliche Gestaltungen gleichwohl ein größtenteils erbschaftsteuerfreier Übergang erreicht werden“, erklärt Königer. Eine Möglichkeit sei z.B. die Abspaltung von erbschaftsteuerlich schädlichem Verwaltungsvermögen.

„Wird Unternehmensvermögen übertragen und werden die erbschaftsteuerlichen Begünstigungsvoraussetzungen erfüllt, wird auch Verwaltungsvermögen, das im Unternehmen gehalten wird, zu 85% begünstigt bzw. ganz verschont. Hat jemand keinen Betrieb, muss er sein Verwaltungsvermögen ggf. in vollem Umfang der Erbschaftsteuer unterwerfen“, so Königer.

 

Verschonungsregeln für Unternehmensvermögen ökonomisch fragwürdig

Wird ein Unternehmen über einen Zeitraum von sieben Jahren weitergeführt, ist dessen Übertragung zu 85% erbschaftsteuerfrei, bei 10-jähriger Weiterführung wird keine Erbschaftsteuer anfallen. Voraussetzung hierfür ist jedoch jeweils der Erhalt von Arbeitsplätzen. So muss die Lohnsumme über einen Zeitraum von sieben bzw. zehn Jahren insgesamt gesehen konstant bleiben.

Dies sei jedoch eine zu starre Regelung, argumentiert Wirtschaftswissenschaftler Königer, da sich ein Unternehmensnachfolger nur in begrenztem Umfang an die Konjunktur anpassen könnte. Selbst in schwierigen Zeiten würde man ggf. Entlassungen vermeiden, um nicht nach sieben bzw. zehn Jahren erhebliche Erbschaftsteuer(mehr)belasten tragen zu müssen. So könne dieses Verhalten einer optimalen Entwicklung des Betriebs entgegenstehen und Kapital binden, das anderweitig eine höhere ökonomische Rente erzielt hätte.

 

Selbstgenutzte Immobilien erbschaftsteuerfrei übertragbar

Auch die grundsätzlich erbschaftsteuerfreie Übertragung eigen genutzter Häuser und Wohnungen sei kritisch zu sehen, da dadurch ungleiches gleich behandelt würde. Wohnraum in München sei deutlicher teurer als in Greifswald, gleichwohl wäre die Übertragung eines Hauses auf die nächste Generation sowohl in München als auch in Greifswald von der Erbschaftsteuer ausgenommen.

Bedenklich sei in diesem Zusammenhang des Weiteren, dass nur dann keine Erbschaftsteuer anfallen würde, wenn das vererbte Haus in den nächsten zehn Jahren weder verkauft noch vermietet würde. Ein in Hamburg beschäftigter Erbe, der das Wohnhaus seiner Eltern in Stuttgart erbt, wäre somit gezwungen, nach Stuttgart umzuziehen, wollte er die auf das Wohnhaus entfallende Erbschaftsteuer vermeiden.

 

Erbschaftsteuer verursacht hohe Kosten

Da die Erbschaftssteuer nur in geringem Maße zum Gesamtsteueraufkommen beiträgt, wäre sie in anderen europäischen Ländern wie z.B. in Frankreich und Österreich inzwischen abgeschafft worden, erinnert Prof. Dr. Kahle. „Da sich der wahre Wert von Unternehmen sehr schwer schätzen lässt, sind kostspielige Gerichtsstreite vorprogrammiert. Hinzu kommt ein enormer bürokratischer Aufwand für die Finanzämter und die Tatsache, dass der Koalitions-Kompromiss die Steuergestaltung verstärken wird und zumindest in Teilen vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben dürfte.“

Um die politischen Ziele – sozialer Ausgleich und gleichbleibende Einnahmen – zu erreichen, könnte man nach Ansicht der Steuerexperten auch andere Wege als die Erbschaftsteuer einschlagen, die „sinnvoller und weniger kompliziert sind“, so Prof. Dr. Kahle. „Ein höherer Spitzensteuersatz zum Beispiel brächte den gleichen Effekt, ohne sich auf ein derart schwieriges Gebiet zu begeben.“

 

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Holger Kahle, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für. betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prüfungswesen
Tel.: 0711 459-22907, E-Mail: kahle@uni-hohenheim.de


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