Aus Fehlern lernen:
Was Bahn und Gewerkschaft bei Tarif-Verhandlungen künftig besser machen sollten  [04.12.07]

Wirtschaftswissenschaftler der Universität Hohenheim zur Fehler-Chronik eines dilettantisch geführten Verhandlungsmarathons

Millionen-Schäden für die Wirtschaft und monatelang verärgerte Reisekunden hätten vermieden werden können – wenn Bahn und GdL ein paar einfache Regeln der Verhandlungskunst berücksichtigt hätten. Prof. Dr. Markus Voeth, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing der Universität Hohenheim mit dem Spezialgebiet „Verhandlungsforschung“ identifiziert die 10 größten Fauxpas von Bahn und Gewerkschaft und zeigt auf, was Unterhändler aus den Tarifverhandlungen bei der Bahn lernen können.

1) Verhandlungen nicht ohne Not in den Medien führen!

Sowohl Bahn wie auch GDL haben von Beginn an versucht, die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen. Damit sollte der Druck auf den Verhandlungspartner gesteigert werden, um diesen zu Zugeständnissen zu bewegen. Im Ergebnis hat das „Verhandeln über Medien“ aber dazu geführt, dass der Konflikt länger und härter wurde. Nach dem Einspannen der Öffentlichkeit drohte so bei Nachgeben nicht mehr nur ein Gesichtsverlust gegenüber dem Verhandlungspartner, sondern stattdessen auch gegenüber dem Millionenpublikum der deutschen Öffentlichkeit.

2) Verhandlungen nicht automatisch zur Chefsache machen!

Die Verhandlungen wurden auf beiden Seiten von Vorstandsmitgliedern oder Vorstandsvorsitzenden geführt. Da diese hochrangigen Persönlichkeiten sehr viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit genießen, hat diese exponierte Besetzung der Verhandlungsteams eine „unspektakuläre“ Einigung wesentlich erschwert. Aufgrund ihrer öffentlichen Positionen mussten diese Verhandlungsführer sehr viel stärker einen individuellen Gesichtsverlust fürchten, als dies bei weniger bekannten Persönlichkeiten der Fall gewesen wäre. Daher sollten Verhandlungsteams nicht immer automatisch von der obersten Hierarchieebene besetzt werden. Diese sollte eher im Hintergrund die Fäden ziehen!

3) Verhandlungsteams auch mal austauschen!

Sehr früh hat sich in diesem Verhandlungskonflikt gezeigt, dass die von Bahn und GDL anfangs entsandten Verhandlungsführer keine sachbezogene Verhandlungsebene zu finden in der Lage waren. Daher hätte Bahn und GDL sehr viel früher auf die Idee kommen müssen, die eigenen Verhandlungsführer auszutauschen. Das Ziel, in der Sache das Maximale für die eigene Partei herauszuholen, sollte über der Tatsache stehen, den Verhandlungsführern einen persönlichen Verhandlungserfolg zu bescheren.

4) Keine leeren Drohungen in Verhandlungen aussprechen!

Mehrfach hat die GDL innerhalb des mehrmonatigen Verhandlungsmarathons mit Streiks gedroht, diese dann aber wieder zurückgenommen. Hierdurch hat sie maßgeblich ihre Verhandlungsposition untergraben, da sie immer unglaubwürdiger innerhalb des Verhandlungsprozesses wirkte. In Verhandlungen sollten Verhandlungsführer stets darauf bedacht sein, nur dann zu drohen, wenn man anschließend auch zur Umsetzung einer Drohung bereit ist.

5) Den eigenen Verhandlungsspielraum nicht im Vorfeld einengen!

Durch den im Frühsommer mit den anderen Bahn-Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifvertrag wurde die Einigung mit der GDL erschwert. Die Bahn hatte sich mit Transnet und GDBA darauf geeinigt, dass diese Nachforderungen stellen können, wenn die Bahn mit der GDL zu höheren Tarifabschlüssen gelangen würde. Durch die Klausel wurde aber eine zusätzliche Komplexität für die Bahn-GDL-Verhandlung geschaffen, da die Verhandlung nun nicht mehr unabhängig und ohne Rückwirkung geführt werden konnte.

6) Einstiegsgebote an der Realität ausrichten!

Die GDL hatte sich bei ihrer Einstiegsforderung einer Gehaltserhöhung von 31 % vermutlich an der auch von der Verhandlungsforschung nachgewiesenen Gesetzmäßigkeit orientiert, dass Verhandlungsergebnisse zumeist in der Mitte zwischen den gegensätzlichen Einstiegsgeboten zu finden sind und es sich daher lohnt, eine möglichst hohe Basisforderung aufzustellen. Allerdings dürfen Einstiegsgebote nicht außerhalb des Machbaren liegen. Denn durch das Einstiegsgebot definieren Verhandlungspartner ihre Verhandlungsposition und wecken bei den eigenen Zielgruppen entsprechende Erwartungen. Demnach hat aber auch der, der 31 % fordert anschließend Schwierigkeiten 10 % als Verhandlungserfolg auszuweisen.

7) Niemals Pakete in Verhandlungen aufschnüren!

Um die Komplexität in den Verhandlungen zu reduzieren, neigen Verhandlungsparteien naturgemäß dazu, über die Verhandlungsgegenstände separat zu verhandeln. Teilweise wird auch versucht, Teileinigungen für die Verhandlungsgegenstände zu erzielen. So ist auch das Vorgehen von Bahn und GDL zu deuten, die sich zuerst über die Lohnforderung einigten und dann erst das Thema „eigenständiger Tarifvertrag“ zum Abschluss brachten. Diese Strategie ist aber meistens falsch. Denn durch Aufschnüren von Paketlösungen, also eine Zerlegung der Gesamtverhandlungen in Teilverhandlungen wird die Verhandlung zusätzlich härter (distributiver). Die Verhandlungsparteien machen es so unmöglich, in Paketlösungen Entgegenkommen der anderen Seite bei dem einen Verhandlungsgegenstand durch das eigene Entgegenkommen bei einem anderen Verhandlungsgegenstand zu „honorieren“.

8) In Verhandlungen nie auf Positionen beharren, sondern Alternativen ins Spiel bringen!

Beide Seiten haben lange Zeit stets nur ihre anfängliche Position wiederholt. Da die Positionen aber keinen Einigungsraum eröffneten, war sehr schnell klar, dass so keine Einigung herbeigeführt werden könne. Was fehlte, waren alternative Verhandlungslösungen. Die letztlich herbeigeführte Lösung für den Tarifkonflikt hätte schon viel früher in die Verhandlung eingeführt werden können.

9) Verhandlungsteams immer einheitlich auftreten!

Eine Grundregel für eine erfolgreiche Verhandlungsführung ist es zudem, sich als Verhandlungsteam von der Gegenseite nie „spalten“ zu lassen. Genau dies hat die GDL allerdings zugelassen, indem zwischenzeitlich unklar war, ob sich die Gewerkschaft tatsächlich in ihrem Vorgehen einig sei. Beispielsweise wurde dem Verhandlungsführer Schell mehrfach anschließend durch andere Gewerkschaftsvertreter in seinen Aussagen widersprochen.

10) In Verhandlungen gemachte Zusagen stets einhalten!

Schließlich ist es nicht nur eine Form der Verhandlungsfairness, sondern auch eine Voraussetzung für Verhandlungserfolg, wenn in der Verhandlung gemachte Zusagen anschließend auch eingehalten werden. Beide Verhandlungsparteien haben gegen diese „goldene Regel“ der Verhandlungsführung mehrfach verstoßen. Noch am vergangenen Freitag berichteten die Medien, dass die Gewerkschaft darüber verärgert sei, dass Bahnchef Mehdorn Details in der Öffentlichkeit präsentiert habe, über die zuvor in der Verhandlung Stillschweigen vereinbart worden sei.

 

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Markus Voeth, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Marketing
Tel.: 0711 459-22925, E-Mail: voeth@uni-hohenheim.de



Zurück zu Pressemitteilungen