Erste chinesische Textilmesse in Deutschland:
„Kauft billige Kleider aus China“ [30.10.06]
Sechs Fragen an Prof. Dr. Ansgar Belke, Experte für Außenwirtschaft, Universität Hohenheim
Am 5. November 2006 eröffnet die erste chinesische Textilmesse auf deutschem Boden in Karlsruhe. Kritiker befürchten eine Einfuhr-Schwemme, die die bisherigen EU-Produzenten in den Ruin treibt. Seit 2005 darf China nur einen beschränkten Teil seiner Produktion in die EU exportieren. Müssen wir T-Shirts aus China fürchten?
Prof. Dr. Belke: Im Gegenteil – wir sollten uns freuen, dass wir weniger für Kleidung ausgeben müssen. Vergangenes Jahr hatte die EU den Markt für China kurzzeitig freigegeben. Kurzfristig stieg die Zahl der chinesischen Textilimporte um fast 200 Prozent, auf Druck der südlichen Mitgliedsländer verhängte die EU Strafzölle und Einfuhrquoten. Die deutsche Textilindustrie war gegen diese Schutzmaßnahmen. Denn die Strafzölle, die uns vor chinesischer Konkurrenz schützen sollen, haben mittelfristig nur Nachteile für uns: Aufhalten lässt sich der Vormarsch Chinas nicht, durch Inselmentalität würden wir uns nur in falscher Sicherheit wiegen. Gleichzeitig wäre der freie Handel eine Chance, von der wir profitieren können.
Ist es nicht so, dass der chinesische Textilboom als ein Schock kommt, der in vielen Ländern Arbeitsplätze vernichtet?
Prof. Dr. Belke: Klassische textilproduzierende Länder sind die Karibik, Kambodscha, Bangladesh, Sri Lanka, Indonesien und die Sub-Sahara-Region. Das sind Länder, die sich nur deshalb entwickeln konnten, weil die EU China benachteiligt hatte. Hinzu kommen direkte Nachbarn wie Osteuropa, Nordafrika und die Türkei, die vom zoll- und quotenfreien Zugang zur EU profitierten. China hat derweil massiv in moderne Textiltechnik investiert, hat nun einen Wettbewerbsvorteil und auch das Recht, diesen ohne Behinderung auszuspielen.
Das heißt, Sie sehen Verlierer, zählen die EU aber nicht dazu?
Prof. Dr. Belke: Es wird Verschiebungen geben. Der Wohlstandszuwachs in China geschieht allerdings nicht auf Kosten des Westens. Die EU ist Chinas wichtigster Handelspartner: heute ist China der größte Produktlieferant der EU, gleichzeitig haben sich die EU-Exporte nach China in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Nach dem Krieg haben Handelskritiker die Angst vor Japan und Korea geschürt – heute blicken wir auf eine erfolgreiche Handelspartnerschaft zurück. China ist eine Herausforderung. Dennoch warne ich davor, die Rolle Chinas trotz seines enormen Wirtschaftswachstums zu überschätzen. Auch in China steigen inzwischen die Löhne, was Chancen für Indien eröffnet, wo sie zehn Prozent niedriger liegen. Als Pluspunkt entsteht eine kaufkräftige Mittelschicht, die neue Chancen für Exporte nach China liefert. Hinzu kommen spezielle Probleme Chinas: Bürokratie, Korruption, mangelnde Infrastruktur und die Bevölkerungszusammensetzung. China wird alt, bevor es reich wird.
Wie soll die EU mit der Herausforderung China umgehen?
Prof. Dr. Belke: Für Produzenten innerhalb der EU gilt, dass es besser ist, Textilien billig einzukaufen, als sie teuer mit Ressourcen zu produzieren, die wir besser einsetzen können. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wir gut können: Chemie, Maschinenbau, Optik – also Produkte, bei denen wir über die Qualität und nicht über die Lohnkosten konkurrieren.
Ist dieser Vorsprung auf Dauer haltbar?
Prof. Dr. Belke: Was Ausgaben für Forschung und Entwicklung betrifft, könnte China beim jetzigen Tempo bis 2025 mit der EU gleichziehen. Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen und ich kann nur hoffen, dass er uns neuen Antrieb gibt. Es ist sicher ein Fakt, dass nicht nur einfache Arbeiter, sondern auch Fachkräfte mit weniger Einkommen rechnen müssen. Doch es hilft nichts, Schranken aufzubauen, hinter denen wir uns kurzfristig in falscher Sicherheit wiegen. Tatsächlich handelt es sich bei den Schutzzöllen um vorgeschobene Argumente, bei denen es eigentlich um andere Interessen geht.
Um welche?
Prof. Dr. Belke: Es ist ein Druckmittel, da sich China selbst nicht an wirtschaftliche Spielregeln hält. Dazu gehören Subventionen an chinesische Unternehmen, Produktpiraterie und der fehlende Schutz von ausländischen Investitionen, der fixe Wechselkurs, der die chinesische Währung künstlich niedrig hält und chinesische Produkte weiterhin verbilligt. EU-Handelskommissar Peter Mandelson hat am 24. Oktober eine neue China-Politik verkündet, die auf Dialog setzt, erstmals aber auch weitere Klagen vor der Welthandelsorganisation WTO nicht ausschließt.
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Ansgar Belke, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Außenwirtschaft
Tel.: 0711 459-23247, E-Mail: belke@uni-hohenheim.de