Luftverschmutzung / Smart Farming:
EU-Projekt erschließt Open Data für neue Anwendungen [11.09.19]
Projekt nutzt frei verfügbare Daten / Anwendungen: hochauflösende Simulation von Stickoxid- und Feinstaubbelastung über Stuttgart – Satellitendaten für Landwirtschaft 4.0
In frei verfügbaren Daten, im Fachjargon Open Data genannt, schlummern viele bisher brachliegende Erkenntnisse. Ein Projektteam aus fünf Forschungseinrichtungen hat es sich auf die Fahnen geschrieben, diesen Datenschatz zu heben. Im EU-Projekt „Open Forecast“ füttern sie Supercomputer mit diesen Daten. Wie das geht, erproben sie an zwei unterschiedlichen Anwendungen: Sie simulieren die Stickoxid- und Feinstaubbelastung über Stuttgart, und sie wollen frei verfügbare Satellitendaten für eine Nutzung in der Landwirtschaft aufbereiten. „Ihre Ergebnisse sollen wiederum als Open-Data-Dienste der Allgemeinheit zugutekommen“, erklärt Projektleiter Dr. Sven Bingert von der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen (GWDG). Außerdem beteiligt sind an dem Projekt die Universität Hohenheim in Stuttgart, das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS), das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg (LTZ) und das Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL).GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG VON GWDG, HLRS, UNIVERSITÄT HOHENHEIM, LTZ UND LGL
ANWENDUNG 1: Stuttgart dient als Modell bei der Simulation von Luftschadstoffen
Stickoxide und Feinstaub: Die Luftqualität ist in vielen Großstädten ein heiß diskutiertes Thema. Die Gesundheit der Bevölkerung auf der einen Seite, wirtschaftliche Faktoren auf der anderen – dies in Einklang zu bringen, ist eine große Herausforderung. Für Planungen wäre es nützlich, die Feinstaubbelastung und die Stickoxid-Verteilung verlässlich vorherzusagen.
In Stuttgart mit seiner Lage im Talkessel spielt das eine besondere Rolle, denn mit Feinstaubalarmen und Diesel-Fahrverboten ist die Stadt bundesweit zum Synonym für dicke Luft geworden. Für die Projektpartner von Open Forecast also ein ideales Testobjekt ihrer Methoden.
Um die Verteilung von Feinstaubpartikeln und Stickoxiden zu simulieren, verwenden die Forscher ein komplexes dreidimensionales Modell, ein sogenanntes Wettervorhersage-Chemie-Modell. „Damit verknüpfen wir chemische Reaktionen in der Atmosphäre mit den Wettervorgängen und beziehen so deren Wechselwirkungen mit in die Vorhersagen ein“, erklärt Prof. Dr. Volker Wulfmeyer von der Universität Hohenheim.
Höchstleistungsrechner ermöglichen hochaufgelöste Simulationen der Luftbelastung
Das Modell kann Prognosen mit einer Auflösung von 50 Meter durchführen. Damit kann es sowohl größere Gebäude als auch das Verkehrsaufkommen einbeziehen. „Eine derart hochaufgelöste Simulation, die eine Vielzahl an Rahmenbedingungen berücksichtigt, ist nur durch den Einsatz von Höchstleistungsrechnern zu erreichen“, betont Dr.-Ing. Thomas Bönisch vom Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS). Diese leistungsstarken Rechner können komplizierte Rechnungen parallel auf Tausenden Prozessoren vornehmen. Darum wird das Modell auf der Hazel Hen gerechnet, dem schnellsten Rechnersystem des HLRS und einem der zehn schnellsten Rechner Europas.
Erste Ergebnisse zeigen eine realistische und komplexe zeitlich-räumliche Verteilung der Schadstoffe. Ziel der Wissenschaftler ist es, dass künftig mit dem Einsatz von Supercomputern solche Vorhersagen routinemäßig erzeugt werden können. Sie stünden dann zum Beispiel für die Verkehrsplanung zur Verfügung.
Schließlich vergleichen die Forscher die Simulationsdaten mit den Sensordaten aus dem Projekt Luftdaten.info. Dieses in Stuttgart gestartete Citizen-Science-Projekt regt Bürger dazu an, mit einem selbstgebauten Feinstaub-Sensor eigene Daten zu erheben und diese einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Vergleich kann man beobachten, wie gut die Simulationen mit den Messdaten übereinstimmen. Diese Wechselseitigkeit kann helfen, Messfehler, etwa durch defekte Sensorik, oder Fehler bei der Simulation zu finden.
ANWENDUNG 2: Satellitendaten für das Smart Farming von morgen
Frei verfügbar sind auch viele Satellitenbilder – die Sentinel-2-Satelliten der europäischen Copernicus-Mission liefern regelmäßig wiederkehrend hochauflösende Bilddaten. Sie könnten als ein Baustein dafür dienen, dass sich die Landwirtschaft von morgen für die Herausforderungen variabler Anbaubedingungen wappnet. Das Problem: Die Satellitendaten liegen in einer Form vor, die die Landwirtschaft nicht direkt nutzen kann.
Das Projektteam speist diese Satellitendaten deshalb in Hochleistungsrechner ein. „Die Daten müssen aufbereitet werden“, erläutert Dr. Franziska Wild-Pfeiffer vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL). „Beispielsweise müssen die Wolken auf den Bildern herausgerechnet werden. Am Ende können wir sogenannte Vegetationsindizes rechnen – ein Maß für den Anteil und den Gesundheitszustand der grünen Pflanzen auf der Erdoberfläche.“
Open Data fördern Digitalisierung in der Landwirtschaft
Der Landwirt kann mit Hilfe solcher Karten Unterschiede im Schlag feststellen – was ihn bei seinen Entscheidungen in Düngungsfragen unterstützt oder auch Aufschluss über manche Krankheiten im Bestand gibt. Diese Informationen sollen in Farm-Management-Systeme der Landwirte integriert und auf modernen Schleppern für die Steuerung der Düngemenge verwendet werden.
„So kann man die Flächen laufend beobachten und gezielter bewirtschaften“, betont Dr. Martin Weis vom Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg (LTZ). „Das ist ein Baustein der Digitalisierung in der Landwirtschaft, die immer mehr auf Geodaten basiert. Verfahren der Präzisionslandwirtschaft passen zum Beispiel die Maßnahmen sogar auf Teilflächen an, die sich aus den Satellitendaten ermitteln lassen.“
Letztendlich entwickelt das Projekt „Open Forecast“ Open-Data-Dienste, mit denen die Nutzer die aufbereiteten Satellitendaten über standardisierte Schnittstellen recherchieren und nachnutzen können.
HINTERGRUND: Projekt Open Forecast
Open Forecast startete im September 2018 und endet im August 2020. Das Projekt wird durch die EU innerhalb der Connecting Europe Facility (CEF) Initiative gefördert (Action number 2017-DE-IA-0170).
Die Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen GWDG (Dr. Sven Bingert) hat die Projektleitung und arbeitet mit an der Entwicklung der Dienste und der Bereitstellung der Daten für die Öffentlichkeit über Datenportale.
Die Universität Hohenheim (Prof. Dr. Volker Wulfmeyer) ist federführend in der Durchführung der numerischen Wettervorhersage-Chemie-Simulationen und den Vergleichen mit Sensordaten.
Das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart HLRS (Dr.-Ing. Thomas Bönisch) ist eine zentrale Einrichtung für Forschung und Dienstleistung der Universität Stuttgart und gleichzeitig als Bundeshöchstleistungsrechenzentrum ein Mitglied des Gauss Centre for Supercomputing. Das HLRS stellt die Rechenkapazitäten für Simulation und Prozessierung der Daten zu Verfügung und arbeitet zudem mit bei der Entwicklung der Architektur. Ferner ist das HLRS verantwortlich für die Visualisierung der Ergebnisdaten.
Das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg LTZ (Dr. Martin Weis) entwickelt zusammen mit dem Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg LGL (Dr. Franziska Wild-Pfeiffer) den landwirtschaftlichen Anwendungsfall und implementiert ihn mit der GWDG und dem HLRS in der Praxis.
Weitere Informationen
Projekt Open Forecast: http://open-forecast.eu/
Citizen-Science-Projekt Luftdaten.info: https://luftdaten.info/
Text: Elsner
Kontakt für Medien:
Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen (GWDG):
Dr. Sven Bingert (Projektleitung), T 0551 201 2164, E sven.bingert@gwdg.de
Universität Hohenheim, Lehrstuhl und Institut für Physik und Meteorologie:
Prof. Dr. Volker Wulfmeyer, T 0711 459 22150, E volker.wulfmeyer@uni-hohenheim.de
Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) der Universität Stuttgart:
Dr.-Ing. Thomas Bönisch, T 0711 685 87222, E boenisch@hlrs.de
Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg (LTZ):
Dr. Martin Weis, T 0721 9518 207, E martin.weis@ltz.bwl.de
Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL):
Dr. Franziska Wild-Pfeiffer, T 0721 95980 487, E Franziska.Wild@lgl.bwl.de