"Wir wollen wachsen" [07.08.07]
Stärkere Vernetzung, mehr interner Wettbewerb, neues Qualitätsmanagement: Universität Hohenheim präsentiert Struktur- und Entwicklungsplan als Strategiepapier
Verstärkter Leistungsdruck durch zunehmenden Wettbewerb, steigende Studierendenzahlen, erhöhter Erwartungsdruck dank Studiengebühren und das alles bei knapper werdenden Ressourcen: Als erste Universität Baden-Württembergs präsentiert die Universität Hohenheim ihren aktuellen Struktur- und Entwicklungsplan als Strategiepapier für die kommenden fünf Jahre. Im Journalistengespräch erläuterten der Rektor der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Hans-Peter Liebig, und der Vorsitzende des Universitätsrates, Dr. h.c. Matthias Kleinert, wie die Hochschule die Herausforderungen in den kommenden fünf Jahren meistern will.Die Universität Hohenheim will wachsen: Schon in fünf Jahren sollen fast 20 Prozent mehr Studierende den Campus bevölkern. Neue Lehrstühle, bessere Ausstattung und intensivere Betreuung sollen eine bessere Lehre erlauben, ausgebaute Zentrale wissenschaftliche Einrichtungen die Forschungskompetenz bündeln und erhöhen. Inhaltlich bleibt die Universität Hohenheim eine Universität mit einem Schwergewicht in den Life Sciences, deren Kern in den Agrarwissenschaften liegt und einem zweiten Schwergewicht in den Wirtschaftswissenschaften. „Wir werden keinen Bereich auf Kosten eines anderen fördern“, stellte Prof. Dr. Hans-Peter Liebig als Rektor während eines gestrigenPressegespräches klar. Stattdessen sollen Zielvereinbarungen, Leistungszulagen und andere Instrumente den internen Wettbewerb um zunehmend knappe Ressourcen anheizen. Verstärkte Vernetzung in der Region und global soll das eigene Angebot ergänzen, Qualitätsmanagement mit Zwischenevaluationen einen hohen Standard gewährleisten.
Mit ihrem aktuellen Struktur- und Entwicklungsplan definiert die Universität Hohenheim als erste Universität des Landes konkrete Ziele für die kommenden fünf Jahre, zieht Bilanz aus den vergangenen fünf Jahren und listet konkrete Maßnahmen, wie aus den Visionen Wirklichkeit werden soll. „Ein ambitioniertes Konzept, mit dem die Universität Hohenheim ihren Platz als einzigartige, hoch spezialisierte Hochschule behaupten wird“, urteilt Dr. h.c. Matthias Kleinert als Vorsitzender des Universitätsrates, der die Strategie-Entwicklung in der Funktion eines Aufsichtsrats begleitete und kontrollierte. Und versprach: „Als Kontrollgremium werden wir die Zwischenschritte regelmäßig überprüfen und das Ergebnis nach fünf Jahren an diesem Strategiepapier messen.“
Visionen
Mit vier besonderen Schwerpunkten will die Universität Hohenheim einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und Zukunftsfähigkeit des Landes Baden-Württemberg leisten und Grundlagen schaffen um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Diese sind:
• Agrar- und Ernährungswissenschaften im Rahmen der Food Chain
• Energie und Rohstoffversorgung aus der Agrarwirtschaft
• Biologische Signale
• Innovation und Dienstleistung
Als Leitlinien nannte Prof. Dr. Liebig neben Internationalität, Innovation und Interdisziplinarität auch die Nachhaltigkeit. Ergänzt wird das eigene Angebot durch starke Netze: Zum einen mit Partnern aus der Region, zum anderen durch internationale Verbünde. Neben der regulären Lehre will die Universität Hohenheim auch einen Beitrag zum lebenslangen Lernen leisten und die Weiterbildung ausbauen. Intern strebt die Hochschule ein Klima der Partnerschaftlichkeit und Leistungsorientierung in einer demokratisch geprägten Arbeitsumgebung an. Dazu gehöre auch das Bekenntnis zum Gender Mainstreaming.
Herausforderungen und Maßnahmen
Vier große Herausforderungen, die es unmittelbar zu meistern gilt, sehen der Rektor und der Hochschulrats-Vorsitzende auf die Universität zukommen. Dazu zählen sie den verstärkten Wettbewerb der Hochschulen um überdurchschnittliche Forscher und Studierende, um Fördergelder und Forschungskooperationen. Hinzu kommt ein Kapazitätsproblem, wenn landes- und bundesweit die Studierendenzahlen nach allen Hochrechnungen nach oben schnellen. Gleichzeitig erzeuge die Einführung von Studiengebühren den Druck, die Lehre tatsächlich spürbar zu verbessern. Erschwert werde die gesteigerte Nachfrage samt Wettbewerbs- und Qualitätsdruck durch die mangelnden Ressourcen. „Ob Geld, Personal oder Räume – hier fehlt es uns an allem“, bestätigte Prof. Dr. Hans-Peter Liebig.
Verstärkter Wettbewerb
Dem neuen Wettbewerbsdruck wolle die Universität Hohenheim durch ein ganz klares, bundesweit einmaliges Profil begegnen. „Hier haben wir die Universität ermutigt, in ihren vier Schwerpunkten mit den Wirtschaftswissenschaften und den Life Sciences zwei klare Positionen zu besetzen, in denen sie ihre Kräfte bündelt“, sagte Dr. Matthias Kleinert. Nun soll die Schwerpunktbildung weiter herunter gebrochen werden, in dem sich auch die einzelnen Fakultäten klare Profile geben.
Verstärkt werden solle auch das Konzept, Schwerpunktforschung über Fakultätsgrenzen hinweg in Wissenschaftlichen Zentren zu bündeln, wie es die Universität mit ihren Zentren für Tropenforschung, Life Sciences, Osteuropa, Innovation und Dienstleistung sowie Gender und Ernährung betreibt. „Als Einzelkämpfer kann sich der Forscher heute nicht mehr finanzieren. Mit den Zentren schaffen wir eine Ausstattung für ideale Forschungsbedingungen und bringen Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen – ein großes Plus in Zeiten, an denen die spannendsten Forschungsergebnisse in den Grenzbereichen zwischen einzelnen Fachbereichen erwartet werden“, erklärte Prof. Dr. Liebig
Um die eigenen Angebote zu ergänzen, suche die Universität Hohenheim die enge Vernetzung – in der Region und auf internationaler Ebene: „Regional sind wir vor allem in zwei Verbünden aktiv: Zum einen auf Universitätsebene mit den Universitäten Tübingen, Stuttgart und auch Ulm. Zum anderen im Verband „Hochschulregion Tübingen-Hohenheim“, der zwei Universitäten und 4 Hochschulen vereint, was in dieser Form bundesweit einmalig ist. Beide sollen intensiviert werden“, sagte Prof. Dr. Liebig. Global suche die Universität Hohenheim die Kooperation mit wenigen, dafür ausgesucht führenden Partnern: „Den jeweils Besten des Landes in unserem Spezialgebiet“, so Prof. Dr. Liebig.
Ergänzt würden alle Maßnahmen durch ein künftiges Qualitätssicherungssystem, das alle Bereiche der Universität erfasst. Seitens des Universitätsrates haben wir die Universität aufgefordert, Ziele zu definieren und jährlich zu berichten, wie weit sie mit der Zielerreichung gekommen ist“, berichtete Universitätsrat-Vorsitzende Dr. h.c. Kleinert. Dieser Wunsch sei mit ein Grund, warum die Universität Hohenheim den anderen Landesuniversitäten mit ihrem Struktur- und Entwicklungsplan zeitlich voraus: „Wir haben schon vor drei Jahren begonnen, alle Teile der Universität zu evaluieren. Nach dieser Bilanz haben wir mit dem Struktur- und Entwicklungsplan die nächsten Ziele definiert und so die Basis für ein Qualitätsmanagement gegeben“, erklärte Prof. Dr. Liebig.
Steigende Studierendenzahlen
Bis ins Jahr 2012 wird die Zahl der Abiturienten um ca. 30 Prozent steigen, um bis ins Jahr 2020 auf hohem Niveau stabil zu bleiben. „Wir stellen uns der Herausforderung, mehr auszubilden, indem wir kräftig wachsen wollen“, sagte Prof. Dr. Liebig. Bis 2012 plant die Universität 420 neue Studienplätze in den neuen Studiengängen
• Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergie: insgesamt 30 Studienanfängerplätze
• Gesundheitsmanagement: insgesamt ca.150 Studienanfängerplätze
• Europäisches Innovations- und Dienstleistungsmanagement: insgesamt ca. 150 Studienanfängerplätze (davon jeweils 60 Anfängerplätze in der ersten Tranche).
• Ernährungsmanagement: insges.ca. 60 Studienanfängerplätze
• Bio-Analytik und experimentelle Biotechnologie: insgesamt ca. 30 Studienanfängerplätze (in der noch mit dem MWK abzustimmenden zweiten Tranche).
„Dabei wollen wir vor allem Wirtschaftsbereiche unterstützen, in denen sich jetzt schon ein Mangel an hoch qualifizierten Mitarbeitern abzeichnet.“
Zur Betreuung plane die Universität Hohenheim 15 neue Lehrstühle mit mehr als 30 neuen Mitarbeitern. Hinzu kämen derzeit (ohne Ausbauprogramm 2012) mindestens 20 neue Mitarbeiterstellen allein für Studierendenbetreuung aus den Studiengebühren. Wie Studiengebühren generell verwendet werden, habe eine Kommission rund um Studierendenvertreter erarbeitet, um das Rektorat bei der Entscheidung zu beraten. „Auf diesem Gebiet müssen wir aber noch Erfahrungen sammeln“, kommentiert Prof. Dr. Liebig. Wie erfolgreich die jetzigen Investitionen aus Studiengebühren waren, solle nach einem Jahr überprüft werden, um den Verteilungsschlüssel gegebenenfalls wieder zu ändern.
Mangelnde Ressourcen
„Es fehlt uns an allem: Geld, Räumen und Personal“, hatte Rektor Prof. Dr. Hans-Peter Liebig die Lage zu Gesprächsbeginn zusammengefasst. Durch den Solidarpakt II seien die Zuschüsse des Landes für weitere fünf Jahre auf dem Niveau von 1997 festgeschrieben. Dieses stellt die Ausgangsbasis dar, die im Rahmen der noch abzuschließenden Verträge mit den Universitäten auch zu Umverteilungen zwischen den Hochschulen führen kann, d.h. für die Universität Hohenheim können Zuweisungen auch innerhalb des Solidarpaktes II noch ansteigen oder fallen. Um die steigenden Studierendenzahlen zu bewältigen, habe das Land zwar das Ausbauprogramm 2012 aufgelegt, doch „auch hier wird von den Universitäten ein substantieller Eigenanteil erwartet. Gleichzeitig bleibt die Wirtschaft mit ihrem Engagement hinter den früheren Ankündigungen leider zurück.“
Wichtig ist deshalb das Bekenntnis des Rektors zur gesamten Universität in allen Bereichen: „Wir wollen als Ganzes wachsen und nicht in Teilen auf Kosten anderer.“ Noch in den vergangenen Jahren habe die Universität Hohenheim umgeschichtet und Stellen in den Agrarwissenschaften abgebaut, um die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften aufzustocken. „Diese Neuorganisierung der Fakultäten betrachte ich als abgeschlossen.“
Ressourcen erhielten in Zukunft vor allem die Bereiche, die Gelder von außen akquirieren oder sich intern im Wettbewerb durch Leistung durchsetzen. „Als Universitätsrat begrüßen wir es, dass die Hochschulleitung künftig auch mit den einzelnen Fakultäten Zielvereinbarungen abschließen wird und den internen Wettbewerb generell verstärkt“, kommentierte der Universitätsrats-Vorsitzende Dr. h.c. Matthias Kleinert. Statt das zur Verfügung stehende Personal, die Räume und Sachmittel wie bisher insgesamt direkt einzelnen Professoren zuzuweisen, will die Hochschulleitung künftig einen Teil der zur Verfügung stehenden Ressourcen in jeder Fakultät einzurichtenden Verfügungspools zuführen, um die sich die einzelnen Lehrstühle immer wieder neu bewerben können. Neu berufene Professoren sollen einen Teil ihrer Ausstattung künftig nur auf Zeit erhalten, um anschließend an ihrer Leistung gemessen zu werden.
Auf Personalebene erhofft sich die Universität Hohenheim ein zusätzliches Plus an Leistung durch intensive Personalentwicklung. „Bei diesem Konzept ging die Verwaltung mit ersten Schritten voran, nun müssen wir den Prozess intensivieren“, so Prof. Dr. Liebig. Mit einem elektronischen Raum- und Flächenmanagement plane die Universität Hohenheim, die Hörsaalausnutzung zu optimieren, um die akute Raumnot zu mildern. Bis dahin erklärte Rektor Prof. Dr. Hans-Peter Liebig die Hörsaalvergabe zur Chefsache.
Um Transparenz und Planungsspielräume zu erhöhen, wolle die Universität Hohenheim eine mehrjährige Budgetplanung einführen. Gleichzeitig plane sie, die Haushaltung auf kaufmännischer Kalkulation umzustellen und das Controlling auszuweiten.
Ausgangssituation und Rückblick
Für ihre Zukunftspläne habe die Universität Hohenheim in den vergangenen fünf Jahren ein gutes Fundament gelegt, lautet die Einschätzung des Rektors und des Universitätsrats-Vorsitzenden.
„Durch eine Zielvereinbarung mit dem Land konnten wir bereits die Life Sciences und die Kommunikationswissenschaften ausbauen. Vier englischsprachige Studiengänge brachten uns einen Internationalisierungsschub und unser damaliges Ziel, auf über 5.000 Studierende zu wachsen, haben wir mit derzeit knapp 6.000 Studierenden weit übertroffen“, zog Prof. Dr. Liebig Bilanz. Weit vorangeschritten sei auch das Forschungsprojekt, Verfahren zur Studierendenauswahl zu entwickeln und wissenschaftlich zu begleiten, das auch Teil der Zielvereinbarung mit dem Land Baden-Württemberg sei.
Daneben habe die Universität Hohenheim die teilweise schwierige Neuorganisation der drei Fakultäten abgeschlossen. Außerdem habe sie in den vergangenen fünf Jahren zwei Zentrale wissenschaftliche Einrichtungen – Innovation und Dienstleistung sowie Gender und Ernährung – eröffnet und das Food Chain Konzept entwickelt, dass die Forschung von der Lebensmittelerzeugung auf Feld und im Stall auch unter Einsatz molekularbiologischer Methoden über die ganze lebensmitteltechnische Verarbeitungskette bis zur medizinischen Begleitforschung und den wirtschaftswissenschaftlichen Markt- und Verbraucherstudien umfasse.
„Außerdem haben wir in einer internen Evaluation von allen Fakultäten eine Stärken-Schwächen-Analyse angefordert. Die Ergebnisse zeigen bereits ein sehr detailliertes Bild, sind aber noch nicht abschließend ausgewertet“, sagt Prof. Dr. Liebig. Ein sehr positives Bild zeichneten die Evaluationsergebnisse für die Wissenschaftlichen Zentren, Versuchsstationen und Landesanstalten: „Es zeigt sich deutlich, dass die Kompetenzbündelung in den Zentren über die Jahre kontinuierlich zunimmt“, sagte Prof. Dr. Liebig. Als unverzichtbar hätten sich die Versuchsstationen erwiesen: „Hier bestätigte sich, dass wir das, was im Labormaßstab getestet wurde, nur unter den Praxisbedingungen der Versuchsstationen zur Anwendungsreife bringen können“, bilanzierte der Rektor. Die Landesanstalten schließlich hätten sich als wertvolles Instrument für den Wissenstransfer in die Wirtschaft behauptet.
Im internen Service-Bereich habe die Universität Hohenheim die Studierendenbetreuung und die Forschungsförderung gestärkt. „Auch in der Verwaltung wollen wir weiter umstrukturieren, um ihre Effizienz weiter zu steigern.“ Reformbedarf zeigten die Evaluationsergebnisse auch im Segment der Weiterbildung, Übergang ins Berufsleben und Existenzgründung: „Hier gibt es herausragende Einzelleistungen. Organisatorisch bedarf der Bereich jedoch einer verstärkten Zusammenfassung.
Auch von externem Lob konnte Prof. Dr. Liebig gleich mehrfach berichten: Herausragend war das Urteil des Wissenschaftsrates in seinen Empfehlungen zur Entwicklung der Agrarwissenschaften in Deutschland im Kontext benachbarter Fächer (Gartenbau, Forst- und Ernährungswissenschaften), in denen er den Hohenheimer Agrarwissenschaften mit Ernährungswissenschaften und Lebensmitteltechnologe eine bundesweit führende Rolle bescheinigt. In der Lehre wurden alle agrarwissenschaftlichen Studiengänge der Universität Hohenheim akkreditiert.
Der Hohenheimer Wirtschaftsinformatik habe die Querschnittsevaluation Informationswissenschaften gute Forschungsleistungen attestiert. Lob habe auch das integrative Modell des Studiengangs Wirtschaftswissenschaften erhalten, das Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre kombiniert und durch Sozial- und Rechtswissenschaften ergänzt. Dabei wurde empfohlen, die Forschungsleistung in diesem Bereich zu steigern. Dieser Empfehlung ist insbesondere durch die Einrichtung des Wissenschaftlichen Zentrums Innovation und Dienstleistungen gefolgt worden.
Kontakt für Medien:
Florian Klebs, Universität Hohenheim,
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,
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