Ernährungsmediziner warnt:
"Mit Armut etabliert sich versteckter Hunger in Deutschland" [21.12.12]
Verborgener Hunger: Fehl- und Mangelernährung in der Kindheit haben lebenslange Folgen / Unentgeltliches, hochwertiges Essen in Kitas als Prävention
Der Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz offenbart: Auch in Deutschland entwickelt sich wieder Armut. Oft unbemerkt, doch eng damit verbunden etabliert sich auch ein versteckter Hunger in Form von Fehl- und Mangelernährung, warnt der Ernährungsmediziner Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim. "Der Tagessatz von Hartz IV für Ernährung reicht nicht aus, um ein Kind gut zu ernähren. Die Folgen tragen Menschen und Gesellschaft ein Leben lang." Der Wissenschaftler fordert deshalb unentgeltliches, hochwertiges Essen in Kindertagesstätten und Schulen.Man sieht eine unzureichende Ernährungssituation nicht auf den ersten Blick: Bis zu 16 Millionen Menschen in Deutschland leben laut dem gestern veröffentlichten Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz (nak) unter der Armutsgrenze. "Viele von ihnen leiden an den Folgen von Fehl- und Mangelernährung", sagt Prof. Dr. Biesalski. "Diese Menschen haben meist genug, um satt zu werden. Aber ihnen fehlt das Geld für eine gesunde und damit auch ausgewogene Ernährung." Der Wissenschaftler spricht von Hidden Hunger – verstecktem Hunger. Dieser betrifft weltweit bis zu 2 Milliarden Menschen. Ursache so UNICEF und andere Organisationen: Armut.
Neben Senioren seien vor allem alleinerziehende Mütter und ihre Kinder, die von Hartz IV leben, betroffen: "Je nach Alter kostet eine kindgerechte Ernährung mit allen erforderlichen Nährstoffen zwischen drei und sechs Euro pro Tag und Kind", erklärt der Ernährungswissenschaftler. Aber selbst der Hartz-IV-Höchstsatz sehe für die Ernährung täglich nur zwischen zwei und drei Euro in der Altersgruppe der unter 14-Jährigen vor.
Auch das Essen in Kindertagesstätten und Ganztagsschulen sei vielerorts mangelhaft, beklagt Prof. Dr. Biesalski: "Es bleiben gerade einmal 70 Cent pro Kind für Essen übrig, wenn man die Kosten für Personal und Logistik abzieht."
Schlechte Ernährung in der Kindheit verhindert sozialen Aufstieg
Mit den Folgen von Fehl- und Mangelernährung in der Kindheit haben, je nach Schweregrad, Betroffene ihr ganzes Leben lang zu kämpfen: "Ihre physische und mentale Entwicklung ist in unterschiedlichem Maß eingeschränkt", macht der Experte deutlich. "Das sind alles andere als gute Voraussetzungen für eine fundierte Ausbildung und beruflichen Erfolg. Eine schlechte Ernährung in der Kindheit kann das gesamte weitere Leben beeinflussen."
Studien aus Schweden und den USA belegten: Wer nicht genug Geld für eine ausgewogene Ernährung hat, leidet als Erwachsener häufiger an klassischen Zivilisationskrankheiten wie Fettsucht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Gegensteuern könnte die Politik mit einem höheren Hartz-IV-Regelsatz, fordert Prof. Dr. Biesalski. Viel wirkungsvoller sei jedoch unentgeltliches und qualitativ ausreichendes Essen in allen Kindertagesstätten und Schulen.
Hintergrund: Buch "Der verborgene Hunger"
Der Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim hat dem Hidden Hunger ein ganzes Buch gewidmet. "Der verborgene Hunger. Satt sein ist nicht genug" heißt es. Darin beschreibt er das Phänomen ausführlich und zeigt, wie es sich beeinflussen lässt.
Kongress: Hidden Hunger vom 6. bis 9. März 2013
Mit dem weltweit ersten Kongress zum Thema holt die Universität Hohenheim den Hidden Hunger 2013 aus der Verborgenheit. Vorläufiges Programm und weitere Informationen unter www.hiddenhunger.uni-hohenheim.de
Text: Weik / Klebs
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski, Universität Hohenheim, Fachgebiet Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft
Tel.: 0711/459 24112, E-Mail: biesal@uni-hohenheim.de