Grünes Licht für die Ampel?:
Expert:innen warnen vor zu vielen „Roten Linien“ [12.10.21]
Sondierungsgespräche zwischen SPD, Grüne und FDP haben begonnen / Verhandlungsexpert:innen der Unis Hohenheim und Potsdam beleuchten Möglichkeiten und potenzielle Schwierigkeiten
Jamaika ade: Nach den jüngsten Ereignissen zur Wahl am 26. September 2021 scheint der Kurs klar auf die Ampel gerichtet zu sein (Rot-Gelb-Grün). In öffentlichen Auftritten haben SPD, Grüne und FDP mehrfach die guten Chancen für ein solches Bündnis betont. Doch wie geeint ist die Front wirklich? Die Verhandlungsexpert:innen Prof. Dr. Uta Herbst von der Universität Potsdam und Prof. Dr. Markus Voeth von der Universität Hohenheim in Stuttgart haben gemeinsam mit ihren Teams die öffentlichen Auftritte der Parteien in den letzten Tagen genau verfolgt. Zusammen leiten sie die Negotiation Academy Potsdam (NAP) und beschäftigen sich mit Verhandlungsstrategien und -taktiken. Ihr Fazit: Die Parteien zeigen sich verhandlungsbereit und kommunizieren gleichzeitig auffallend viele Themen, die keinen Verhandlungsspielraum bieten, sogenannte „rote Linien“. Prinzipiell sei dies eine gute und klare Kommunikation. Doch eine große Zahl „roter Linien“ erzeuge auch viel Konfliktpotenzial bei drei Verhandlungsparteien.
Nach den ersten Sondierungsgesprächen tragen SPD, Grüne und FDP ein positives Stimmungsbild nach außen: Man spricht von großem Vertrauen zwischen den Parteien, auch und vor allem durch die vielen „vertrauensbildenden Maßnahmen“, die man durchgeführt habe: Keine Indiskretionen, die Gemeinsamkeiten werden hervorgehoben und betont.
Eine solche offene und klare Kommunikation sei bei diesen Verhandlungen wichtig – doch erst jetzt, da die Ampel konkreter wird, gehe es auch wirklich ums Eingemachte, sagen die beiden Direktoren der Negotiation Academy Potsdam (NAP) Prof. Dr. Uta Herbst von der Universität Potsdam und Prof. Dr. Markus Voeth von der Universität Hohenheim.
„Direkt nach der Wahl ging es um die Frage, ob man sich ein solches Bündnis überhaupt vorstellen könnte. Mit dem Start der Sondierungsgespräche liegt der Fokus jetzt erstmals wirklich auf inhaltlichen Übereinstimmungen von SPD, Grüne und FDP. Hier zeigen die Wahlprogramme aber, dass die Parteien in einzelnen Punkten sehr weit auseinander liegen.“
„Rote Linien“ beim Klimaschutz, Steuererhöhungen und Mindestlohn
In Vorbereitung der bevorstehenden Sondierungsgespräche haben alle drei Parteien deshalb sogenannte „Rote Linien“ formuliert. „Damit ist gemeint, dass eine Partei nur dann an der Ampel teilnehmen will, wenn die anderen Parteien ihre Vorstellungen an einer bestimmten Stelle mittragen und man an dieser Stelle nicht gezwungen wird, hinter die rote Linie zu gehen“, erklärt Prof. Dr. Uta Herbst von der Uni Potsdam. „Die Grünen sehen beispielsweise eine rote Linie beim Klimaschutz, die SPD bei Steuererhöhungen, die FDP beim Mindestlohn“, ergänzt Dr. Max Ortmann aus dem Potsdamer NAP-Team.
Durch das Vorab-Formulieren solcher „roter Linien“ soll den jeweils anderen Parteien klargemacht werden, an welchen Stellen eine Partei keine Verhandlungsbereitschaft mitbringt. Vielmehr erwarte man an solchen Stellen, dass die anderen Parteien bei den eigenen Vorstellungen mitziehen. „Das Formulieren von roten Linien hat eine wichtige Signalfunktion für die bevorstehenden Sondierungsgespräche“, betont Prof. Dr. Herbst.
Doch gerade, wenn es mehrere Verhandlungsparteien gibt, schüren „rote Linien“ auch schnell Konfliktpotenzial. Prof. Dr. Voeth: „SPD, Grüne und FDP sollten nicht zu viele rote Linien formulieren, da hierdurch der Verhandlungsraum eingeschränkt wird. Zum anderen müssen die Beteiligten aufpassen, keine im Widerspruch zueinanderstehenden roten Linien zu formulieren.“
Beispielsweise könnte es sein, dass das Klimaschutzprogramm der Grünen nur mit Steuererhöhungen funktioniert. Wenn die FDP nun genau an dieser Stelle eine rote Linie formuliere, dann könnte es sein, dass es am Ende keine Lösung gibt, die zugleich beide rote Linien beachtet. „In diesem Fall säßen alle in der Zwickmühle: man will sich einigen, kann es aber nicht, da man zu viele und dann auch noch widersprüchliche Vorbedingungen formuliert.“
Niklas Bronnert vom Hohenheimer Standort der NAP geht weiter: „In diesem Fall müsste zumindest eine Partei doch eine Lösung hinter ihrer roten Linie akzeptieren. Das wäre aber mit einem Gesichtsverlust verbunden. Immerhin hätte man dann ja bereits im Vorfeld in der Öffentlichkeit verkündet, dass man hier eine rote Linie habe, die nicht überschritten werden dürfe.“
Prof. Dr. Herbst und Prof. Dr. Voeth raten den Parteien daher, das Vorab-Formulieren von „roten Linien“ nur mit absoluter Vorsicht einzusetzen. „Zu viele ‚rote Linien‘ machen Verhandlungen schwieriger und ggf. sogar Verhandlungsergebnisse und damit die Ampel unmöglich.“
HINTERGRUND: Negotiation Academy Potsdam (NAP)
Die Negotiation Academy Potsdam (NAP) wurde 2013 an der Universität Potsdam gegründet und verfügt seit 2016 über einen zweiten Standort an der Universität Hohenheim. Tätigkeitsfelder der NAP sind die Bereiche Verhandlungsforschung, Verhandlungsschulung und der Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Ihr Leitbild ist ein ganzheitliches Verständnis von Verhandlungen als Managementprozess, der neben der eigentlichen Verhandlungsführung vor allem auch vor- und nachgelagerte Managementaufgaben betrachtet (z. B. Verhandlungsvorbereitung oder Verhandlungscontrolling).
Text: Schmid
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Markus Voeth, Fachgebiet Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing & Business Development, Direktor der Negotiation Academy Potsdam
T +49 711 459 22925, E voeth@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Uta Herbst, Lehrstuhl für Marketing, Universität Potsdam, Direktorin der Negotiation Academy Potsdam,
T +49 331 977 3854, E uta.herbst@uni-potsdam.de