„Deutschland kann weiter von Chinas Aufschwung profitieren“  [19.02.08]

Antworten aus der Forschung: Prof. Dr. Harald Hagemann, Ökonom und Beschäftigungs-Experte der Universität Hohenheim zu Auswirkungen von Chinas wirtschaftlichem Höhenflug auf Deutschland

 

China wird Deutschland vielleicht noch in diesem Jahr als Exportweltmeister ablösen. Als Beschäftigungsexperte beobachten Sie Auswirkungen von Chinas Wirtschaftswachstum auf Deutschland sehr genau. Trotzdem sehen Sie nicht völlig unglücklich aus.

Prof. Dr. Hagemann: Nein, denn China entwickelt sich zum Wirtschaftspartner, von dem auch der starke deutsche Mittelstand profitieren wird – sofern Deutschland seine Stärken im Hochtechnologiebereich nicht vernachlässigt. Das chinesische Wachstum ist beeindruckend, startete allerdings auch von einem sehr niedrigen Niveau. Zur Zeit liegt der bedeutendste Absatzmarkt für Deutschland bei unserem Nachbarn in Frankreich, speziell für Baden-Württemberg sind es die USA.

 

Bei den Lohnkosten hat China der Welt eine neue Untergrenze gezeigt. Haben Sie keine Sorge um den Arbeitsmarkt?

Prof. Dr. Hagemann: Die Massenproduktion wird weiter in Länder wie China verlagert werden. Unsere Chance liegt im Qualitätswettbewerb statt im Preiswettbewerb. Rein preislich kann zum Beispiel die deutsche Automobilindustrie nicht mit dem neuen Tatra aus Indien konkurrieren. Trotzdem bleiben die Marken Porsche, Mercedes und Audi erfolgreich. Doch dafür muss man weiter sehr innovativ sein und neue und bessere Produkte anbieten.

 

Ein Plädoyer für Innovation und Ausbildung?

Prof. Dr. Hagemann: Zur Zeit produziert China mehr als 100.000 Ingenieure pro Jahr. Was die können und was das bedeutet, ist langfristig noch unklar. Wenn wir den deutschen Arbeitsmarkt betrachten fällt jedenfalls auf, dass sich die Arbeitslosenquote bei Geringqualifizierten in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht hat, während wir bei Hochqualifizierten praktisch keine Zunahme finden.

 

In der öffentlichen Wahrnehmung profitieren vor allem Großkonzerne von China, die Airbusse oder Schwebebahnen liefern und China als verlängerte Werkbank benutzen. Sie sprachen von speziellen Chancen für den Mittelstand.

Prof. Dr. Hagemann: China wächst vor allem in der Schwerindustrie – mit wenig Rücksicht auf Umwelt und andere Ressourcen. Mit der wachsenden Mittelschicht setzt hier jedoch ein Umdenken ein. Umwelttechnologie wird zunehmend nachgefragt – und dieses Feld wird stark von deutschen Mittelständlern dominiert, die im jeweiligen Segment international häufig Marktführer sind. Zögerlich wird dieses Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit auch in anderen Bereichen sichtbar und wird dafür sorgen, dass Chinas Wirtschaft mittelfristig langsamer, dafür solider wachsen wird.

 

Inwiefern?

Prof. Dr. Hagemann: China kann günstig produzieren, weil das Lohn-Niveau niedrig ist und weil es wenig Rücksicht auf den Kopierschutz von Patenten und den Umweltschutz nimmt. Hinzu kommt der Trick, dass China eine stark unterbewertete Währung hat, was ihre Exporte verbilligt. Dies traf übrigens auch für Deutschland in den 50er und 60er Jahren zu, was durch exportgetriebenes Wachstum unser Wirtschaftswunder verstärkte. Hier werden auf Dauer Grenzen des Wachstums liegen. Neben Umweltproblemen wird China weiterhin einen immensen Strukturwandel zwischen Land- und Stadtbevölkerung zu bewältigen haben.

 

China zeichnet Deutschlands Entwicklung nach?

Das Beispiel Südkorea zeigt, wie ein Land, das anfangs über Lohndumping viele Arbeitsplätze im Bereich der Massenproduktion in Europa in den 60er und 70er Jahren (z.B. im Schiffbau) vernichtete, langfristig zu einem gleichwertigen Wirtschaftspartner heranwachsen kann, der z.B. mit Firmen wie LG oder Samsung im Bereich der Hochtechnologie heute international führend ist.

 

Was ist Ihr Rat an alle, die sich nach einem China zu Zeiten vor der Öffnung sehnen?

Prof. Dr. Hagemann: Weltweit belegen alle Wirtschaftsbeziehungen: Der Handel zwischen zwei Industrieländern ist immer auf höherem Niveau, als zwischen Industrie- und Entwicklungsland. Deshalb: Nicht ängstlich sein und China einbinden. Dann bleibt zu hoffen, dass Probleme wie Lohndumping, unterbewertete Währung und Missachtung des geistigen Eigentums durch einen wachsenden Mittelstand und die fortschreitende Integration in den Weltmarkt und die Welthandelsorganisation WTO überwunden werden. Die G8-Staaten werden mit China sicher bald auf G9 anwachsen. Und insgesamt hat Deutschland von der Globalisierung bislang mehr profitiert, als darunter gelitten, trotz aktueller Fälle wie Nokia.

Fragen: Florian Klebs

 

Zur Person

Prof. Dr. Harald Hagemann ist Volkswirt mit Fachgebiet Wirtschaftstheorie an der Universität Hohenheim. Der Beschäftigungsexperte betreut unter anderem den Promotionsstudiengang „Globalisierung und Beschäftigung“ für herausragende Nachwuchswissenschaftler, der das internationale Zusammenspiel von Finanz-, Güter- und Arbeitsmärkten erforscht. Ergebnisse sind Konzeptbeiträge für eine neue Beschäftigungspolitik, die Lohn- und Gesellschaftspolitik mit anderen Bereichen der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik koordiniert. Der Promotionsschwerpunkt entspricht in seiner Arbeitsweise einem Graduiertenkolleg und wurde 1998 dank der Förderung durch das Evangelische Studienwerk Villigst eingerichtet.

 

Kontakt für Medien:

Kontaktadresse (nicht zur Veröffentlichung):
Prof. Dr. Harald Hagemann, Universität Hohenheim, Fachgebiet VWL insb. Wirtschaftstheorie, Tel.: 0711 459-23592,
Fax: 0711 459-22598, E-Mail: hagemann@uni-hohenheim.de



Zurück zu Pressemitteilungen