Bitte nur 30 km/h:
Rektor plakatiert für sicheren Campus [20.07.22]
Eine lange geplante Tempo 30-Zone verzögert sich. Deshalb appelliert die Universität Hohenheim jetzt an freiwillige Geschwindigkeitsbegrenzung
Langsamere Autos, schnellere Behörden: Das ist der Wunsch von Prof. Dr. Stephan Dabbert. Seit beinahe 10 Jahren bemüht sich der Rektor der Universität Hohenheim in Stuttgart um eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf dem Campus. Das Ziel: Mehr Sicherheit zu Fuß und mit dem Rad sowie eine höhere Aufenthaltsqualität. Gleichzeitig soll die Maßnahme ein Zeichen für klimafreundliche Mobilität setzen. 2017 stimmte der Stuttgarter Gemeinderat dem Mobilitätsplan der Universität formell zu. Dort war die campusweite Tempo 30-Zone ursprünglich als „kurzfristige Maßnahme“ zur Umsetzung bis Ende 2018 vorgesehen. Seitdem ist das Projekt allerdings keinen Schritt vorangekommen – trotz zahlreicher Gespräche und einer Verkehrserhebung, die den Handlungsbedarf mit Zahlen unterlegt. Nun ergreift Prof. Dr. Dabbert selbst die Initiative: Mit einer Plakat-Aktion auf dem Campus appelliert er an die Autofahrer:innen, freiwillig vom Gas zu gehen.
Das abgebildete Tempo 30-Schild ist zu einem Herz geformt und mit einem dicken „Danke“ versehen. Statt von einem Pfosten wird es von einem Kreis aus Händen in die Höhe gehalten, darüber der Gruß: „Willkommen auf unserem schönen Campus“. Weil eine offizielle Regelung noch immer auf sich warten lässt, appelliert Rektor Prof. Dr. Stephan Dabbert nun mit Plakaten an den guten Willen der Autofahrer:innen.
Ihm selbst falle es zunehmend schwer, Verständnis aufzubringen, angesichts immer neuer Hürden und Verzögerungen, mit denen sich die Universität Hohenheim bei der Umsetzung ihres Mobilitätsplans konfrontiert sieht, bekennt Prof. Dr. Dabbert.
„Wir stehen als Gesellschaft vor gewaltigen Herausforderungen. Wenn wir selbst für kleine Fortschritte viele Jahre benötigen, werden wir bei komplexen Transformationsprozessen wie der Verkehrs- und Energiewende scheitern. Das Projekt ‚Tempo 30‘ verfolgt die Universität nunmehr seit fast einem Jahrzehnt. Dies führt erschreckend vor Augen, wie lähmend sich das verworrene Geflecht an Zuständigkeiten und das Übermaß an Bürokratie für konkrete Initiativen auswirken kann. Leider steht das Projekt nur als ein Beispiel für viele weitere“, erläutert der Rektor.
Ermutigt fühlt sich Prof. Dr. Dabbert bei dem ungewöhnlichen Schritt durch einen Beschluss des Stuttgarter Gemeinderats vom Februar 2022: Als Teil einer Initiative von rund 70 deutschen Großstädten will Stuttgart Tempo 30 im Rahmen eines Pilotprojekts großflächig testen. Die Städteinitiative strebt dazu eine Änderung der Straßenverkehrsordnung an.
Vorgeschichte: Tempo 30 an der Universität Hohenheim
Die Vorarbeiten für den Mobilitätsplan der Universität Hohenheim beginnen im Jahr 2013. Die Ziele stehen damals bereits fest: Emissionen verringern, Erreichbarkeit verbessern, Aufenthaltsqualität steigern und Gefahrenstellen beseitigen. Zentrale Handlungsfelder sind Verbesserungen für den öffentlichen Nahverkehr, das Fahrrad und Fußgänger:innen sowie eine Regulierung des PKW-Verkehrs. Neben zahlreichen weiteren Punkten rückte dabei schnell auch der Wunsch nach einer campusweiten Tempo 30-Zone in den Fokus.
Eigentlich wähnte sich die Universität Hohenheim bezüglich dieses Vorhabens bereits im Oktober 2017 am Ziel. Damals verabschiedete der Ausschuss für Umwelt und Technik des Gemeinderats der Stadt Stuttgart den Hohenheimer Mobilitätsplan als Teil eines städtebaulichen Rahmenplans („Masterplan 2030 – Bauen & Verkehr“). Tempo 30 ist darin als „kurzfristig umsetzbare Maßnahme“ enthalten. Die Realisierung war ursprünglich bis Ende 2018 vorgesehen. Doch weder Stadt noch Land haben bisher grünes Licht erteilt.
Daran änderte auch eine Verkehrserhebung vom Juli 2019 bislang nichts, die den Handlungsbedarf mit konkreten Zahlen unterlegt: 200 bis 300 Fahrzeuge passieren demnach pro Stunde die Heinrich-Pabst-Straße zwischen Mensa, Hörsaalzentrum und Institutsgebäuden. 500 Personen überqueren die Hauptverkehrsstraße in derselben Zeit. In besonders stark frequentierten Monaten wie z.B. Oktober und November dürften es sogar noch erheblich mehr sein. Bei Tempo 50 ist das keine ungefährliche Angelegenheit. Das verkehrsplanerische Fazit der Erhebung legt deshalb konkrete Maßnahmen nahe.
Pragmatischer Vorschlag soll Bedenken ausräumen
Für Prof. Dr. Dabbert sind das keine abstrakten Zahlen, denn er passiert den Campus beinahe täglich als Fußgänger. Die Gefahrenstellen und Begebenheiten vor Ort kennt er deshalb genau. Umso weniger Verständnis hat er daher auch für die Argumentation Stuttgarter Straßenbahn AG, die sich 2018 im Bezirksrat gegen die Tempo 30-Zone ausgesprochen hat.
Hintergrund der Ablehnung ist die Verlängerung der Buslinie 65 zum Flughafen, die im Dezember 2019 realisiert wurde – nicht zuletzt auch auf Wunsch der Universität. Um Verspätungen auf der nun sehr langen Strecke zu minimieren, investierte die Stadt im Vorfeld mehrere Millionen Euro in Streckenverbesserungen. Durch Tempo 30 in Hohenheim sieht die SSB nun erneut Gefahren für Verspätungen.
„Der Einwand mag auf den ersten Blick berechtigt erscheinen. Wer sich vor Ort auskennt, weiß jedoch: In der Realität können Busse zwischen den Haltestellen, Kurven und Radfahrer:innen auf dem Hohenheimer Campus nur wenige Meter Tempo 50 km/h ausfahren. Die eigentliche Ursache für Verspätungen ist eine Engstelle in der Fruwirthstraße Richtung Adorno-/Welfenstraße: Ein Parkstreifen auf der Fahrbahn verhindert, dass zwei große Fahrzeuge aneinander vorbeifahren können. Bei Gegenverkehr müssen die Busse warten. Mein Vorschlag lautet deshalb, diese 14 Parkplätze aufzulösen. Damit dürfte der Geschwindigkeitsverlust durch Tempo 30 mehr als ausgeglichen sein. Leider habe ich auf diesen Vorschlag bisher keine Reaktion erhalten“, sagt Prof. Dr. Dabbert.
Mut, weiterhin am Thema dran zu bleiben, macht dem Rektor unter anderem ein Besuch von Verkehrsminister Winfried Herrmann im September 2020. Bei einer Campus-Führung sagte der Minister seine Unterstützung für das Anliegen der Universität und weitere Gespräche zu. Als mögliche Umsetzungsvariante brachte er dabei einen Verkehrsversuch ins Spiel.
Weitere Informationen
Mobilitäts-Portal der Universität Hohenheim
Text: Leonhardmaier