Vom "Wunderkind" zum "Ruinator":
Langzeitstudie der Universität Hohenheim belegt Image-Verlust von Siemens [24.01.07]
Ausführliche Ergebnisse unter www.uni-hohenheim.de/presse
Auch beim Image-Faktor kann 2006 für Siemens als Krisenjahr in die Firmengeschichte eingehen. Nach jahrelanger öffentlicher Zustimmung scheint das Vertrauen in das Unternehmen und sein Management erschüttert, in der öffentlichen Meinung stehen das Traditionsunternehmen und der Vorstandschef Klaus Kleinfeld als skrupellose Geschäftemacher da. So lautet zumindest eines der zentralen Ergebnisse einer umfangreichen Untersuchung, die Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim gemeinsam mit dem internationalen Inhaltsanalyse-Institut Media Tenor durchgeführt hat. Stärken, Schwächen und Ansatzpunkte zeigt eine Langzeitanalyse von 17.272 Textpassagen über Siemens und sein Management von Januar 1998 bis Oktober 2006.Bei seinem Amtsantritt 2005 wurde Siemens-Chef Klaus Kleinfeld noch als idealer Hoffnungsträger einer neuen Generation gesehen (SZ, 08.07.2004), als „Prototyp für eine neue Managergeneration“ (Zeit, 26.01.2006), als ein „Wunderkind“ (manager magazin 01/05). Kleinfeld gab allen Konzernsparten hohe Renditeziele vor, setzte auf Innovationen, soziales Engagement und Kostenabbau. In den ersten Monaten seiner Amtszeit scheint die Berichterstattung noch abwartend, ein neutraler Ton herrscht vor. Doch als der neue Vorstandschef im April 2005, drei Monate nach der Amtsübergabe, den Rückzug aus dem Handy-Geschäft ankündigt, wird rasch Kritik laut. Im Oktober 2006 wird Kleinfeld von BILD schließlich „der Ruinator“ genannt.
Das derzeitige Image-Tief stellt nach Auswertung Prof. Dr. Brettschneiders das vorläufige Ergebnis eines mehrjährigen Niedergangs dar. Während der siebenjährigen Amtszeit von Kleinfelds Vorgänger Heinrich von Pierer besaß Siemens (inklusive seiner wichtigsten Beteiligungs- und Tochtergesellschaften) noch ein überwiegend positives Medienecho. Negative Nachrichten stellte Siemens in einen erklärenden Kontext, aus anderen Konzernteilen sorgten positive Nachrichten für ein ausgewogenes Bild. Auch während des geplanten Personalabbaus 2002 und 2004 war die Berichterstattung erstaunlich positiv: Siemens bekannte sich zu Reformen im Unternehmen und motivierte zur Erneuerung in der Gesellschaft. Der Einigung bei Siemens wurde Modellcharakter zugewiesen - obwohl Siemens längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich durchgesetzt hatte. Insgesamt war das Bild in den Medien in der siebenjährigen Amtszeit von Heinrich von Pierer eher positiv. Probleme im Medienimage resultierten aus der öffentlichen Kritik am Personalabbau und der als unzureichend bewerteten Strategie für einzelne Geschäftsfelder.
Wenig Vertrauen in die Strategie
Doch nicht nur beim Image des Spitzenpersonals, auch beim wichtigen Imagefaktor „Strategie“ hat Siemens seit 2001 kontinuierlich verloren. Siemens war es nicht gelungen, Investoren von der Richtigkeit und Notwendigkeit der Strategie zu überzeugen. Beiträge über strategische Ausrichtungen und Entscheidungen enthielten 2005 und 2006 fast 20 Prozentpunkte mehr negative als positive Wertungen des Konzerns. So wurden die angekündigten Kosteneinsparungen denn auch nicht besonders von der Börse honoriert.
Mitarbeiter als Kostenproblem?
Insbesondere beim Thema „Personalentscheidungen“ besaß der Konzern nicht das nötige Fingerspitzengefühl: Arbeitslosigkeit, Abwanderung ins Ausland und Entlassungswellen sind nach wie vor Reizthemen. Die Medienberichterstattung zwischen Januar 1998 und Oktober 2006 zeigt, dass personalbezogene Themenfelder (Einstellungen, Personalabbau, Vorruhestand, Qualifizierung, Arbeitszeiten etc.) zwischen vier und 14 Prozent des gesamten Medienimages von Siemens ausmacht und damit in den vergangenen neun Jahren prägenden Einfluss auf das Gesamtimage hatte. Das neue Management hatte die durchgeführten Maßnahmen bisher nicht gut kommuniziert. Vor allem zum Thema Personal verzeichnet das Medienbild in den vergangenen zwei Jahren einen Überhang von 40 und mehr Prozentpunkten negativer Wertungen. Die bisherigen Versäumnisse, dem Imageverlust entgegenzutreten, haben zur Folge, dass das aktuelle Management seine Integrität noch beweisen muss.
Neben Fehlern in der Vergangenheit, stellt der aktuelle Korruptionsskandal das Vertrauen in das Unternehmen und seine Philosophie besonders in Frage: Die Medien erheben die Reputation des Konzerns selbst zum Thema und beurteilen diese kritisch.
Produktimage ohne Glanz, aber Licht am Horizont
Dem könnte eine durchgehend positive Kommunikation von Produkten und Dienstleistungen entgegenwirken. Gleichzeitig stellt positive Produktkommunikation einen wichtigen Indikator für die mittelfristige Kursperformance dar. Als Mischkonzern hat Siemens hier einen Diversifikationsvorteil, vor allem, weil das Siemens-Logo auch im Alltag für Qualität steht. Entsprechend zeigt der Langzeittrend in der Berichterstattung über Produkte und Dienstleistungen von Siemens bis 2003 ein durchgehend positives Bild, mit einem Überhang von 15 Prozentpunkten positiven gegenüber negativen Wertungen. Mit Beginn der Restrukturierungskommunikation 2004 traten dann aber die Probleme mit der Handysparte stark hervor. Seitdem konnte sich das Produktimage zwar etwas erholen, doch fehlt „der alte Glanz“.
Als Licht am Horizont könnte sich aber die Innovationsleistung des Konzerns erweisen. Die Langzeitanalyse zum Innovationsimage zeigt, dass der Konzern in diesem Feld leicht gewonnen hat. Zuletzt wurden eher 30 bis 40 Beiträge pro Jahr erzielt, im Vergleich zu 20 bis 30 Beiträgen bis zum Jahr 2000. Allerdings ist gleichzeitig die Qualität der Bewertung etwas gesunken. Es ist unklar, ob Journalisten Innovationen und Forschung insgesamt kritischer hinterfragten, oder ob die Neuigkeiten vor dem Hintergrund der Debatte über Umstrukturierungen pessimistischer aufgenommen werden.
Ansatzpunkte
Der kritischen Bestandsaufnahme zum Trotz: Siemens steht regelmäßig unter den Top-10-Unternehmen mit der häufigsten Berichterstattung. Eine Reduktion der Unternehmenskommunikation kann also kaum helfen, das angeschlagene Image aufzubessern. Wie aber die Unternehmensgeschichte selbst beweist, kommt es in schwierigen Zeiten vor allem darauf an, offen zu kommunizieren sowie allen Interessengruppen zu sagen, was sie erwarten können – und dies zu erklären. Natürlich bewerten Investoren Renditen. Aber daneben ist es eine entscheidende Aufgabe des Managements, die unternehmerischen und strategischen Visionen zu vermitteln. Hieran muss Siemens noch arbeiten.
Die Analyse legt dabei einen Zusammenhang zwischen dem Medienbild von Kleinfeld und dem Imagewandel von Siemens nahe: Hier bedarf es nicht kurzfristiger Schnellschüsse, die Kleinfeld eine Einschätzung als „Ruinator“ oder „Rambo“ einbringen, sondern eines regelmäßigen persönlichen Austauschs mit den Journalisten. Über die Person Kleinfelds wird im Vergleich zu seinem Vorgänger von Pierer weniger berichtet. Wertvolles Imagepotenzial wird damit verspielt. Gleiches gilt im Hinblick auf das Engagement der Mitarbeiter und die Zukunftsorientierung des Konzerns. Hier war Siemens in der Vergangenheit oft Trendsetter. Was davon unter den heutigen Bedingungen im Kampf um die besten Mitarbeiter und die neu zu erobernden Märkte Bestand hat, wird sich weisen. Das Medienimage der Siemens AG weist jedenfalls erhebliches Optimierungspotenzial auf.
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, Fruwirthstraße 46, 70599 Stuttgart,
Tel.: 0711 459-24031, E-Mail: frank.brettschneider@uni-hohenheim.de, www.uni-hohenheim.de/komm!/