Wahlprognose für US-Präsidentschaftswahl:
„Von papierdünner Mehrheit bis zum Erdrutschsieg scheint alles möglich“  [30.10.08]

Wahlkampf im Visier der Forschung: Universität Hohenheim liefert Themen, Analysen, Hintergründe zur US-Präsidentschaftswahl (Teil 5)
 
Vollständiges Themenpaket unter www.uni-hohenheim.de/us-wahl

Die spannendste Wahlnacht seit 1952 erwartet Kommunikationswissenschaftler und Wahlkampf-Analyst Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim für die US-Präsidentschaftswahl am 4. November 2008. Den Sekt für die Siegesfeier könne Barack Obama nach allen Kriterien wissenschaftlicher Prognose-Modelle zwar schon bereitstellen, von der papierdünnen Mehrheit bis zum Erdrutschsieg scheint für den Kandidaten der Demokraten jedoch alles drin zu sein.

Nur ein Terror-Anschlag oder das Gespenst des Rassismus könnten dem Gegenkandidaten John McCain jetzt noch in die Hände spielen, so das Analyse-Ergebnis von Prof. Dr. Brettschneider. Dabei stützt der Wahlkampf-Analyst sein Urteil weniger auf Obamas aktuelles Hoch in den Meinungsumfragen („in der Wahlkabine vergleichsweise wertlos“) als auf langfristige Prognose-Modelle.

Wahlentscheidend – so die bisherigen Analysen – sei demnach, wie gut der Wähler den amtierenden Präsident bewerte, wie gut er die Wirtschaftslage empfinde und wie lang die Partei des Amtsinhabers schon an der Macht sei – „alles Kriterien, die Obama in Vorteil setzen“, so Prof. Dr. Brettschneider. „Der Präsident wird so schlecht bewertet, wie schon lange nicht mehr, die Wirtschaftslage wird als desaströs empfunden und nach acht Jahren Amtszeit für die Republikaner sehnt sich das Wahlvolk nach einem Wechsel.“

 

Spannendste Wahl-Konstellation seit über 50 Jahren

Allerdings gäbe es eine Besonderheit, die die Prognose einschränke: „Auf Seiten der Republikaner stehen weder Präsident Bush noch sein Vize zur Wiederwahl an. Stattdessen haben die Republikaner mit McCain einen Parteifreund als neues Gesicht nominiert“. Eine Konstellation, die es laut Prof. Dr. Brettschneider das letzte Mal 1952 gegeben habe. „In den USA heißt diese Besonderheit Open Seat-Election. Und die Lehre aller Open Seat-Elections lautet, dass sie umso knapper ausgehen, je stärker sich der Parteifreund vom Amtsinhaber abhebt“, erklärt Prof. Dr. Brettschneider.

Entsprechend habe McCain keine Gelegenheit ausgelassen, sich von Amtsinhaber Bush abzusetzen – eine Strategie, die im dritten TV-Duell in seinem Angriff gegen Obama gipfelte: „Wenn Sie gegen Bush kämpfen, hätten Sie vor vier Jahren antreten müssen“. Brachial, aber wenig erfolgreich, urteilt Prof. Dr. Brettschneider nun im Rückblick. „Schließlich konnte Obama nachweisen, dass McCain an vier Fünfteln der Bush-Entscheidungen beteiligt war.“

 

Repolitisierung der Jugend – und Unsicherheitsfaktor Rassismus

Schwerwiegender sei der Unsicherheitsfaktor, welchen Einfluss die Hautfarbe der Kandidaten auf das Wahlverhalten habe. „Hier gibt es Spekulationen und Fakten. Doch dass wir den heimlichen Rassismus nicht unterschätzen dürfen, haben uns die Vorwahlen gezeigt“, so Prof. Dr. Brettschneider. Dort habe der schwarze Präsidentschaftskandidat Obama in den meisten Umfragen besser abgeschnitten, als bei den Wahlen selbst: „Ein Hinweis, dass niemand, der öffentlich gefragt wird, als Rassist dastehen möchte. Allein in der Wahlkabine sieht es dann anders aus.“

Kompensiert werden könnte dieser Effekt durch ein neues Wahlverhalten. „Natürlich hofft Obama, gerade schwarze Wahlberechtigte zur Wahl zu mobilisieren.“ Hinzu käme die Gruppe der Hispanics, die die Afro-Amerikaner als größte Minderheit inzwischen abgelöst haben. „Daneben erleben wir derzeit eine Repolitisierung der USA. Im Kongress werden die Abstimmungen schärfer, auf der Straße finden es die Jugendlichen wieder cool, sich für Politik zu interessieren. Das war lange Zeit nicht so."

 

Zwei Trümpfe für den Erdrutschsieg

Für einen potentiellen Erdrutschsieg sprächen außerdem zwei weitere Trümpfe in der Hand Obamas: die Wahlkampf-Finanzierung und die Geschlossenheit seiner Partei. „Mit 700 Millionen Dollar Spendengelder besitzt Obama fast doppelt so viel, wie sein Gegner McCain mit 400 Millionen Dollar.“ Geld, das Obama in der heißen Phase vor allem in Fernsehzeit investiere: „Zahlreiche Wahlwerbespots in der Prime Time – darunter sogar ein 30-minütiger Spot. Das kostet“, meint Prof. Dr. Brettschneider. Und zwar alleine schon zwei Millionen für den 30-minütigen Spot. Soviel, wie Obama täglich an Spendengeldern online einsammelt.

Gleichzeitig habe Hilary Clinton, die bei der parteiinternen Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten gegen Obama unterlag, streng diszipliniert darauf verzichtet, „die Beleidigte zu spielen“. Stattdessen gäbe sie „die gute Parteisoldatin, die Obama unterstützt, wo sie kann“. Kontrastiert werde die Geschlossenheit der demokratischen Partei durch Chaos bei den Republikanern. „Hier haben die Stäbe von McCain und seiner fehlbesetzten Vizekandidatin Sarah Palin bereits begonnen, sich die Schuld für eine potentielle Niederlage gegenseitig in die Schuhe zu schieben.“

 

Zur Person:

Sein Freitag gehört der US-Präsidentschaftswahl: Jeweils zum Ende der Woche wertet Prof. Dr. Frank Brettschneider gemeinsam mit dem Inhaltsanalyseinstitut Media Tenor International Wahlumfragen und Berichterstattung von ABC, CBS, NBC, Fox News, Time und Newsweek über den Wahlkampf jenseits des Atlantiks aus. In seinem DFG-geförderten Projekt „Die Amerikanisierung der Medienberichterstattung über Wahlen“ geht der Kommunikationswissenschaftler der Frage nach, ob sich die Wahlberichterstattung der deutschen Massenmedien an die der amerikanischen Fernsehsender und Tageszeitungen angleicht und welche Konsequenzen dies für das Wahlkampfmanagement in Deutschland hat. Zu seinen generellen Forschungsschwerpunkten zählen die Medienwirkungsforschung, die Wahl- und Einstellungsforschung, das Themenmanagement in Wirtschaft und Politik sowie das Communication Performance Management. Ein zweites Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Wirtschaftsberichterstattung der Massenmedien und ihren Konsequenzen für die Wahrnehmungen und Verhaltensweisen der Menschen (u.a. Anleger- und Konsumentenverhalten).

 

Text: Klebs

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft
Tel.: 0711 459-24030, E-Mail: frank.brettschneider@uni-hohenheim.de


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