Resolution führender Tropenforscher:
„Agro-Kraftstoff-Boom gefährdet lebenswichtige Ressourcen“  [22.02.08]

Gesellschaft für Tropenökologie beschließt Tagung an der Universität Hohenheim mit Appell an Bundesregierung und EU

In großem Tempo würden derzeit die noch verbliebenen natürlichen tropischen Lebensräume in Nutzflächen umgewandelt, um den enormen Flächenbedarf für Agro-Kraftstoffe zu schaffen, stellt die Gesellschaft für Tropenökologie (gtö) zum Abschluss ihrer fünftägigen Tagung an der Universität Hohenheim fest. „Ein Raubbau unter dem Deckmantel des Klimaschutzes, der vor allem wirtschaftlichen Interessen dient – ohne dass die Folgen für das Weltklima, die Nahrungsmittelversorgung, die Gesundheit und die sozio-ökonomischen Folgen für die betroffene Bevölkerung angemessen bilanziert werden“, erklärt gtö-Präsident Prof. Dr. Karl Eduard Linsenmair. In einer Resolution appellieren die 200 Wissenschaftler aus aller Welt an Bundesregierung, EU und weitere am Klimaschutz beteiligten Organisationen, sich für eine umfassendere, objektive Analyse der Biotreibstoffthematik einzusetzen und nur die Entwicklung von solchen Nutzungskonzepten (inklusive des Anbaus von Energiepflanzen) zu fördern, bei denen kein weiterer Raubbau an den natürlichen Ökosystemen der Tropen stattfindet, die für die gesamte Erde lebenswichtige Leistungen erbringen. Organisiert wurde die Tagung in Kooperation mit dem Institut für Botanik und dem Tropenzentrum der Universität Hohenheim.

Wer heute zur Apotheke laufe, um sich ein Medikament zu holen, sollte sich klar machen, dass die Hälfte aller Arzneimittel auf Naturstoffen basiert: Der jährliche Handelswert von traditioneller Arzneimittel liege bei 80 Milliarden Dollar. Weltweit hingen 80 Prozent der Menschheit von solcher Naturmedizin ab.

Pharmazeutisch seien die immer noch weitgehend unerforschten Tropen ein gigantisches Reservoir noch ungenutzter Wirkstoffe, deren Wert derzeit von pharmazeutischen Forschern wiederentdeckt würde. „Unsere Forscher sehen große Potentiale, z.B. in der Entwicklung neuer Antibiotika aus Hautgiften tropischer Frösche oder Antigerinnungsmittel aus dem Speichel von Vampirfledermäusen, um nur zwei von vielen weiteren Nutzungsmöglichkeiten anzuführen“, bemerkt gtö-Präsident Prof. Dr. Linsenmair.

Auch die Kulturpflanzen hätten ihren Ursprung weitgehend in den Tropen. „Hier gibt es noch die Wildarten in tausend genetischen Varianten. Wie sollen wir Reis, Mais, Tomaten oder Kartoffeln für den Klimawandel anpassen, wenn wir mit den tropischen Ökosystemen auch dieses wertvolle Zuchtmaterial zerstören?“, fragen sich die Tropenökologen.

 

Nahrung, Wald und Energie – Koexistenz ist möglich

"Die Grundidee der Bio-Kraftstoffe, die man richtiger als Agro-Kraftstoffe bezeichnen sollte, ist nicht schlecht“, kommentiert Prof. Dr. Wolfgang Küppers, Professor für Botanik an der Universität Hohenheim und Mitveranstalter der Tagung. So habe die Tagung auch vielversprechende Beispiele für angepassten Anbau von Energiepflanzen gezeigt: „Als Beispiel denke ich an Biodiesel aus Jatropha-Pflanzen, die auf ausgelaugter Erde wachsen und dabei wieder fruchtbare Böden aufbauen“. Hier gäbe es aber noch einen großen Forschungsbedarf, um sicher zu stellen, dass ein ökonomisch lebensfähiger Anbau auch ökologisch nachweislich akzeptabel sei.

Stattdessen erlebten die Tropen derzeit jedoch aus massiven ökonomischen Interessen heraus ein überstürztes Handeln, bei dem die Anbaugebiete für Bio-Kraftstoffe massiv und ohne Abschätzung der Folgen ausgeweitet würden. „Felder von Kleinbauern werden rasant aufgekauft, um große zusammenhängende Plantagen zu schaffen. Diese verlieren dann ihre Lebensbasis. Teilweise können sie noch auf qualitativ schlechtere Böden ausweichen, wo sie aber wegen der schlechteren Qualität der Böden größere Flächen roden müssen, um die Nahrungsmittelproduktion zu halten. Damit wird aber der Druck auf die restlichen Flächen weiter erhöht“, bilanziert Prof. Dr. Linsenmair.

 

Unwetter, Verarmung und Migrationsdruck als Folge

Vermisst wird seitens der Tropenforscher, dass weder die Folgen abgeschätzt noch die Klimabilanz kritisch hinterfragt wird: „So viel Treibhausgas, wie bei großflächigen Entwaldungen z.B. in Brasilien oder Borneo entsteht, kann man durch den Agrodiesel auch in vielen Jahrzehnten nicht reinholen“, stellt die gtö fest.

 

Klimaschutz als Deckmantel

Den Klimaschutz hält gtö-Präsident Linsenmair deshalb meist für ein vorgeschobenes Argument: „Hier geht es primär ums Geld, nachdem die Energiepreise und der Energiebedarf so weit gestiegen sind, dass jetzt die Bio-Kraftstoffe sehr attraktiv werden."

Statt unkontrolliertem Raubbau fordern die Tropenforscher deshalb nachhaltige Nutzungssysteme, die Nahrungs- und Energiepflanzen mit standortgerechten, einheimischen Gehölzpflanzen und deren angepasster Nutzung vereint. „Um nachhaltige Nutzung zu entwickeln, brauchen wir aber den ständigen Vergleich mit den natürlichen Ökosystemen – und der ist bei dem derzeitigen rasanten Raubbau bald nicht mehr gegeben.“

 

Appell an Bundesregierung, EU und andere Klimaschutz-Organisationen

Gleichzeitig zeige das Beispiel aus der Pharmazie, dass die Biodiversität der tropischen Ökosysteme noch ein immenses Reservoir an wirtschaftlichem Potential bereithalte. „In den Plantagen haben wir 98 Prozent der vorherigen Arten verloren – das haben wir gemessen“, sagt Co-Veranstalter Prof. Dr. Küppers. „Mit dem Raubbau benehmen wir uns wie ein Kind, das einen Computerchip oder ein wertvolles Buch zerstört, weil es noch nicht gelernt hat, den Inhalt zu lesen."

 

Text: Klebs

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Manfred Küppers, Institut für Botanik
Tel: 0711 459-23594, Fax: 0711 459-23355, E-Mail: kuppers@uni-hohenheim.de


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