Noch 1 Jahr bis zur Bundestagswahl (27.9.09):
„Einen amerikanischen Wahlkampf wird es hier nicht geben!“  [24.09.08]

Wahlkampf im Visier der Forschung: Universität Hohenheim liefert Themen, Analysen, Hintergründe zur US-Präsidentschaftswahl (Teil 2)
Vollständiges Themenpaket unter www.uni-hohenheim.de/us-wahl

Inszenierung vor Inhalten, Persönliches vor Politischem, Personen vor Parteien – droht auch im deutschen Wahlkampf der Einbruch amerikanischer (Un-)Sitten, wie Kritiker befürchten? „Jein“, so die Analyse von Prof. Dr. Frank Brettschneider, von der Universität Hohenheim, aus laufenden Forschungen zum US-Wahlkampf und neuen Trends in der politischen Kultur der Bundesrepublik. Sein Urteil: Vor den auffälligsten Auswüchsen aus den Staaten bewahren uns in Deutschland Parteiensystem, politische Tradition und strengere Gesetze. Die tatsächlichen Gefahren der Amerikanisierung blieben von der Öffentlichkeit eher unbeachtet: Auch hierzulande droht die schleichende Entwicklung hin zum gläsernen Wähler.

Eine der zweifelhaftesten Errungenschaften des US-Wahlkampfs ist für Prof. Dr. Brettschneider, vom Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, das sogenannte Micro-Targeting: Dank lascher Datenschutzbestimmungen in den USA können Parteien ihren Wahlkampf fast schon auf Einzelpersonen ausrichten.

„So ist es zum Beispiel möglich, persönliche Daten von Kreditkartenunternehmen einzukaufen. Zusammen mit Daten aus den öffentlich zugänglichen Wählerverzeichnissen der USA, gelänge es den Parteien so, bis auf einzelne Häuserzeilen genau zu rekonstruieren, wo ihre potentiellen Wähler wohnen, um diese dann mit einem maßgeschneiderten Wahlkampf zu umwerben.“

 

Werbeanrufe beim Gläsernen Wähler

Das Prinzip des Gläsernen-Wählers ginge soweit, dass Parteien am Nachmittag des Wahltags einzelne Wähler, deren Profil ihnen Stimmen versprächen, anriefen, um sie zum Urnengang aufzufordern. „Dabei bedienen Sie sich ganz legal der Wählerverzeichnisse, um die Unentschlossenen herauszufiltern, die bis dahin noch nicht gewählt hatten.“

Unvorstellbar in Deutschland? „Noch“, warnt Prof. Dr. Brettschneider, „Doch schon jetzt bedienen sich die Parteien aus Daten der Marktforschung, um gezielter werben zu können. Auch die zahlreichen Direktmarketing-Institutionen verkaufen bereits Informationen über Alter, Geschlecht und Milieu-Zugehörigkeit. Hier müssen wir wachsam bleiben.“

 

Nicht nur oberflächlich - Entwarnung bei weitverbreiteten Klischees

Zugegeben, es stehe außer Frage, dass sich der Wahlkampf in Deutschland verändert habe. „Gerade auf den Privatsendern hat eine Boulevardisierung von Wahlkampfthemen stattgefunden, die verstärkt Themen wie die Frisur der damaligen Kanzlerkandidatin Angela Merkel und Verbraucherminister Horst Seehofers unehelichen Nachwuchs zum Berichtsinhalt werden lassen“, bestätigt Prof. Dr. Brettschneider.

Gleichzeitig hätten sich die Politiker nicht nur darauf eingelassen, sondern bemüht, diesen Trend zu ihren Gunsten zu instrumentalisieren: „Schon in den 80er Jahren ließ sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl im Umgang mit den Medien von bekannten Journalisten beraten – oft verfügten diese über einen Boulevardzeitungs-Hintergrund“, berichtet Prof. Dr. Brettschneider.

Generell seien Inszenierung und Boulevardisierung in Deutschland von den US-Verhältnissen jedoch „noch meilenweit entfernt“, so Brettschneider: „Ein Grund ist, dass die Organisation des Wahlkampfs in den USA weitgehend in den Händen professioneller externer Berater liege. In Deutschland wird der breite Wahlkampf von Parteimitgliedern getragen, das demokratisiert den Wahlkampf – lässt ihn aber auch hausbackener erscheinen. In den USA fehle den Parteien schlicht die Basis dazu.“ Ein weiteres Bollwerk gegen solche Tendenzen bildeten die öffentlich-rechtlichen Sender, die für sachlichere Berichterstattung stünden und Sendezeit nach Proporz zuteilten.

Hinzukomme noch eine gewisse Rest-Beißhemmung unter deutschen Kandidaten, die in den USA viel geringer ausgeprägt sei. Was daran liege, dass „der Wettbewerbsgedanke tiefer in der US-amerikanischen Mentalität verankert ist: Negative Campanging, also die verbalen Attacken auf den politischen Gegner, wie sie dieses Jahr vor allem bei Hillary Clinton gegen Ihren Parteikontrahenten Barack Obama zu beobachten war, wird von Amerikanern ganz anders wahrgenommen als von Deutschen.“

Wahlentscheidend sei die neue Oberflächlichkeit jedoch weder in den USA noch in Deutschland: „Studien belegen: TV-Duelle und Co führen nicht dazu, dass Amerikaner oder Deutsche in Wahlkabine nach Aussehen und Auftreten entscheiden.“

 

Das US-Wahlsystem begünstigt Individualisten, das deutsche die Parteien

Auch die Furcht, dass der in Deutschland übliche Wettbewerb zwischen verschiedenen Parteiprogrammen von einem Wahlkampf abgelöst würde, bei dem sich nur noch schillernde Einzelpersonen präsentierten, sieht Prof. Dr. Brettschneider so nicht gegeben. „Bislang gibt es in Deutschland keine nachweisliche Entwicklung hin zu einer personenfixierten Berichterstattung“, so Prof. Dr. Brettschneider: „In einem Wahljahr wird ein Kanzlerkandidat zum Superstar stilisiert, im nächsten steht dann wieder mehr die Partei im Vordergrund.“

Richtig sei dagegen, dass in US-amerikanischen Zeitungen immer weniger von Parteien die Rede sei, berichtet der Kommunikationswissenschaftler: „Alles dreht sich um die Spitzenkandidaten.“ Ein wichtiger Grund dafür liege im US-amerikanischen Wahlsystem. Anders als in Europa wird der Regierungschef und das Staatsoberhaupt – beides ist der US-Präsident – praktisch direkt vom Volk gewählt.

„Die Parteien werden in den USA tatsächlich eher als Bündnisse auf Zeit angesehen“, weiß Prof. Dr. Brettschneider. „Bizarrerweise denken ausgerechnet die Bürger der größten Macht der Erde selten über den Lokalkreis hinaus: Es gibt die Politiker vor Ort und den Präsidenten als starkes Individuum. Das Bewusstsein, dass eine Partei Bundespolitik macht und der Präsident nur ein Repräsentant ist, fehlt." Entsprechend hätten Republikaner und Demokraten auch erst in den 1980er Jahren nationale Geschäftsstellen eingerichtet.

In Deutschland würden Kandidaten dagegen normalerweise nicht losgelöst von ihren Parteien wahrgenommen, erklärt der Kommunikationswissenschaftler. Hierfür sorge auch auf absehbare Zeit das parlamentarischen Wahlsystems der BRD.

Gleichzeitig verfügten Parteien der BRD nicht nur über eine größere Einheit, sondern seien auch tiefer in der Gesellschaft verwurzelt: „Während die SPD in Deutschland beispielsweise unter protestantischen Arbeitern und die CSU unter traditionsbewussten Katholiken Stammwähler rekrutieren kann, ist die Zahl der Wechselwähler in den USA deutlich höher“, erklärt Prof. Dr. Brettschneider. „Das führt automatisch zu einem heftigen Kampf um die Stimmen.“

 

Gebremste Macht der Meinungsumfragen

Außer auf die Spitzenkandidaten stürzen sich die US-Medien bis zur letzten Minute auch mit Freude auf Umfrageergebnisse. „Dieser sogenannte Horserace-Journalismus nimmt auch in Deutschland von Jahr zu Jahr zu“, so Prof. Dr. Brettschneider. Allerdings sei in Deutschland die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen unmittelbar vor der Wahl verboten. „So stehlen Umfragen inhaltlichen Debatten zwar nicht vollkommen die Schau, andererseits werden Wählerinnen und Wählern aber auch wichtige Informationen über die Stimmung in der Bevölkerung vorenthalten.“

 

 

Zur Person:

Sein Freitag gehört der US-Präsidentschaftswahl: Jeweils zum Ende der Woche wertet Prof. Dr. Frank Brettschneider gemeinsam mit dem Inhaltsanalyseinstitut Media Tenor International Wahlumfragen und Berichterstattung von ABC, CBS, NBC, Fox News, Time und Newsweek über den Wahlkampf jenseits des Atlantiks aus. In seinem DFG-geförderten Projekt „Die Amerikanisierung der Medienberichterstattung über Wahlen“ geht der Kommunikationswissenschaftler der Frage nach, ob sich die Wahlberichterstattung der deutschen Massenmedien an die der amerikanischen Fernsehsender und Tageszeitungen angleicht und welche Konsequenzen dies für das Wahlkampfmanagement in Deutschland hat. Zu seinen generellen Forschungsschwerpunkten zählen die Medienwirkungsforschung, die Wahl- und Einstellungsforschung, das Themenmanagement in Wirtschaft und Politik sowie das Communication Performance Management. Ein zweites Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Wirtschaftsberichterstattung der Massenmedien und ihren Konsequenzen für die Wahrnehmungen und Verhaltensweisen der Menschen (u.a. Anleger- und Konsumentenverhalten).

 

 

Text: Leonhardmair / Klebs

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft
Tel.: 0711 459- 24030, E-Mail: frank.brettschneider@uni-hohenheim.de


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