Studie belegt:
Deutschland noch weit von positiver Kultur des Scheiterns entfernt [24.08.15]
Studie der Universität Hohenheim: Deutsche sind dafür gescheiterten Unternehmern 2. Chance zu geben – wollen das aber nicht selber tun
Scheitern nur bedingt erlaubt: Die Deutschen sind Misserfolgen gegenüber durchaus tolerant – allerdings nicht unbedingt bei unternehmerischen Fehlschlägen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „Gute Fehler, schlechte Fehler – wie tolerant ist Deutschland im Umgang mit gescheiterten Unternehmern“ von Prof. Dr. Andreas Kuckertz von der Universität Hohenheim und seinen Mitarbeitern. Knapp 80 Prozent der Befragten erkennen dabei ganz allgemein Misserfolge als potenzielle Quelle zur Selbstreflexion und Rückbesinnung an und vertreten die Auffassung, dass diese auf lange Sicht gesehen auch zu positiven Ergebnissen führen können. Wenn Unternehmer scheitern, so kann jedoch nur noch jeder zweite diesem Umstand etwas Positives abgewinnen. Für die von der Karl Schlecht-Stiftung geförderte Studie wurden 2.027 repräsentativ ausgewählte deutsche Bundesbürger im Alter von 18 bis 67 Jahren befragt.
Gerade das Alter spielt bei der Bewertung von Fehlschlägen eine bedeutende Rolle. Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass jüngere Menschen zwischen 18 und 29 Jahren unternehmerische Fehler deutlich positiver bewerten als Deutsche zwischen 60 und 67 Jahren.
„Dies könnte ein Indiz für einen anstehenden Kulturwandel und ein gesellschaftliches Umdenken sein“, sagt Prof. Dr. Kuckertz vom Lehrstuhl Entrepreneurship der Universität Hohenheim. Es gelte, diese positive Haltung der jungen Generation auch in Zukunft kontinuierlich am Leben zu halten.
Besonders tolerant: junge Menschen, Akademiker, Selbstständige und Bremer Bürger
Die Toleranz in Deutschland ist regional sehr unterschiedlich verteilt: „Während bei den Menschen in Bremen das Verständnis für unternehmerisches Scheitern am höchsten ist, akzeptieren dies die Bewohner von Mecklenburg-Vorpommern im bundesweiten Vergleich am wenigsten.“
Auch ein höherer Bildungsstand macht die Menschen verständiger, zitiert Mitarbeiter Christoph Mandl aus der Studie. Bundesbürger mit einem Abschluss einer Fach- bzw. Berufsakademie oder einem Fachhochschul- oder Hochschulabschluss sind deutlich toleranter gegenüber unternehmerischen Fehlschlägen als Bürger mit einer abgeschlossenen Lehre bzw. Berufsausbildung oder ohne Abschluss.
Der Beruf spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Beurteilung von Scheitern. „Selbstständige sowie Schüler und Studenten zeigen das höchste Verständnis für unternehmerisches Scheitern“, erläutert Martin Allmendinger, Mitarbeiter am Lehrstuhl. Demgegenüber habe nur rund die Hälfte der Angestellten eine positive Grundhaltung zu unternehmerischen Misserfolgen. Jeder zehnte Angestellte ist gar überwiegend negativ eingestellt.
Zweite Chance für gescheiterte Unternehmer gewünscht – aber lieber von den anderen
Mehrheitlich vertritt die deutsche Bevölkerung die Auffassung, dass gescheiterte Unternehmer eine zweite Chance verdient haben. Dabei sind über drei Viertel der deutschen Bevölkerung der Meinung, einem gescheiterten Unternehmer müsse eine zweite Chance eingeräumt werden. Insbesondere Selbstständige und Menschen, die in ihrem persönlichen oder beruflichen Umfeld jemanden kennen, der bereits unternehmerisch gescheitert ist, weisen dabei in der genaueren Betrachtung eine besonders positive Grundhaltung auf.
Zwar haben die gescheiterten Unternehmer aus der Sicht der Deutschen eine zweite Chance verdient. Diese soll den Unternehmern aber lieber von anderen eingeräumt werden: Über 40 Prozent der Deutschen geben zu, dass sie beim Bestellen von Waren Vorbehalte gegenüber einem bereits gescheiterten Unternehmer hätten. „Die Deutschen müssen hier endlich Taten auf Worte folgen lassen und das gesellschaftlich und wirtschaftlich wichtige Engagement auch von gescheiterten Unternehmern anerkennen“, kommentiert Prof. Dr. Kuckertz diese Zahlen.
Neue Unternehmerkultur gefragt
Um den Gründergeist in der Bundesrepublik zu stärken, sollte sich laut den Initiatoren der Studie die Sichtweise jedes Einzelnen von vereinfachendem Schwarz-Weiß-Denken (Erfolg versus Scheitern) hin zu einem umfassenden Verständnis unternehmerischen Handelns (Ausprobieren, Versuchen, Wagen, Lernen, Testen) verändern. Das könne gerade dann gelingen, wenn insbesondere erfolgreiche Persönlichkeiten immer wieder in der Öffentlichkeit deutlich machen, wieviel vorangegangene Fehlschläge letztlich zu ihrem aktuellen Erfolg beigetragen haben.
Ebenso sprechen sich Prof. Dr. Kuckertz und sein Team dafür aus, dem Thema tolerante und fehlerfreundliche Unternehmerkultur allgemein eine erhöhte Aufmerksamkeit in Politik, Wirtschaft und Medien zu geben.
Hintergrund: Die Studie „Gute Fehler, schlechte Fehler“
Für die von der Karl Schlecht-Stiftung geförderte Studie „Gute Fehler, schlechte Fehler – Wie tolerant ist Deutschland im Umgang mit gescheiterten Unternehmen?“ wurden 2.027 repräsentativ ausgewählte deutsche Bundesbürger im Alter von 18 bis 67 Jahren befragt. Die Teilnehmer entsprechen dabei nach Geschlecht, Alter und Herkunft (Bundesland) dem deutschen Bevölkerungsdurchschnitt.
Der Fragebogen berücksichtigt eine Reihe von demographischen Merkmalen, wie das jeweilige Geburtsjahr, die Herkunft des Befragten (Bundesland), das Haushaltsnettoeinkommen, den Bildungsstand und die berufliche Tätigkeit. Darüber hinaus werden die Befragten mit unterschiedlichen Aussagen zum unternehmerischen Scheitern konfrontiert sowie mit verschiedenen Gründen für unternehmerische Fehlschläge und wie sie diese wahrnehmen.
Die detaillierten Ergebnisse der Studie sind online unter www.neue-unternehmerkultur.de frei verfügbar.
Text: Antje Schmid / Klebs
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Andreas Kuckertz, Universität Hohenheim, Fg. Unternehmensgründungen und Unternehmertum (Entrepreneurship)
Tel.: 0711 / 459 24820; E-Mail: andreas.kuckertz@neue-unternehmerkultur.de